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Rock am Couchtisch

WOHNZIMMERKONZERTE Künstler zum Anfassen statt Konzertgraben: In der Nische floriert der Trend zu Musikgigs in Privatwohnungen. Über das Revival einer eigentlich schon sehr alten Idee

VON ALEXANDRA WELSCH

Die Tür von Christinas Wohnung steht weit offen, ihre Küche hat sie zur Bar umfunktioniert, das Wohnzimmer wird bevölkert von Fremden. Dicht an dicht hocken sie auf dem Boden. Augen und Ohren sind auf einen Twentysomething gerichtet, der gerade eine Coverversion des Oasis-­Hits „Wonderwall“ spielt. Alle stimmen ein, „Because maybe, you‘re gonna be the one that saves me.“

Was der Singer-Songwriter Finner da an einem Sonntagabend in einem Darmstädter Hinterhaus zum Besten gibt, klingt nicht besonders originell. Besonders an dem Auftritt ist vielmehr der private Austragungsort – „Neuland“, wie er sagt.

Für das Darmstädter Veranstalterteam „Bedroomdisco“ ist das längst kein Neuland mehr: Seit 2011 organisiert es Konzerte im Privaten, mittlerweile wegen des wachsenden Erfolgs auch in Hamburg, Nürnberg und Augsburg. Geld verdienen will man damit nicht. „Es ist ein Liebhaberkonzept“, betont Mitinitiator Dominik Schmidt, der im Booking arbeitet. Hundert Prozent der Einnahmen, die bei den Gigs als Spenden mit einem Hut eingesammelt werden, gehen an die Musiker. „Wir wollen Bands in einem schönen Rahmen präsentieren“, sagt er.

In einer Wohnung entfalle die Barriere zwischen Band und Publikum. Und das Exklusive dabei spiele auch eine Rolle. „Man gewinnt den Eindruck, es kommt nicht jeder rein.“ Denn öffentlich angekündigt werden die Konzerte nicht: Man wird per Newsletter informiert und kann sich um die Teilnahme bewerben.

Revival der Hausmusik

Die Bedroomdisco-Macher sind keinesfalls Pioniere, sondern Teil eines Trends, der seit ein paar Jahren in den Nischen alternativer Veranstaltungskultur stattfindet. Und der neu belebt, was vor 200 Jahren als ­Salon- oder Hausmusik zelebriert wurde: Konzerte im privaten Rahmen, abgehalten für geladene Gäste. Waren die Konzerte einst adligen oder gehobenen bürgerlichen Kreisen vorbehalten, so gibt es heute ein Spektrum von Privatpersonen, die Musiker und Zuhörer zu sich nach Hause einladen, bis zu internationalen Künstleragenturen, die Musiker in Wohnzimmer vermitteln. Es ist eine Möglichkeit, Musik sehr intim zu genießen. Aber es ist auch eine Privatisierung von Livekultur. Und die geht längst weit über Darmstadt hinaus.

„Es geht schon um diese Intimität“, sagt Elena Brückner. Sie veranstaltet unter dem Titel „Live in the living“ einmal im Monat Wohnzimmershows in Berlin seit mehr als acht Jahren. „Als ich angefangen habe, gab es so was hier nicht“, sagt die Schauspielerin, die das Konzept aus Holland nach Deutschland importiert hat.

Ihr gehe es darum, ein konzentriertes Publikum zu haben und unbekannten Musikern eine Plattform zu bieten. Für Brückner bedeutet das sehr viel Arbeit. Sie sucht Bands und Räume aus, karrt Getränke und Sitzgelegenheiten heran, dann bringt sie die Musiker meist bei sich zu Hause unter. „Ein Mordsaufriss“, sagt sie. Das könne keiner rein ehrenamtlich leisten. Immerhin, sie verlangt einen Obolus für Eintritt und Getränke und bezahlt den Musikern davon eine feste Gage. „Reich werde ich davon nicht, aber es kommt genug rum, sonst würde ich es ja nicht machen.“

Noch ganz neu dabei ist Peter Schneider, der Wohnzimmerkonzerte im Berliner Wedding anbietet. Der 51 Jahre alte Betreiber von „Abstecher Booking“ ist vor zwei Jahren von München nach Berlin gezogen und verfügt seither über ein sehr großes Wohnzimmer. Dort ließ er schon ein paarmal Musiker aus seinem Programm spielen, meist kamen die Freunde. Teils, weil sich einfach keine andere Auftrittsmöglichkeit gefunden hatte, teils gestaltete Schneider die Konzerte aber auch als Zusatzshow im kleinen Rahmen.

„Man kann sich vorher und nachher mit den Künstlern unterhalten“, sagt er. Das habe etwas sehr Entspanntes. Und für die Gage gehe ein Hut rum. Er kenne auch Musiker, die mittlerweile nur noch in Wohnzimmern spielen.

Für Stephen Burch ist es eine Möglichkeit, freie Tage auf einer Tour zu füllen. Der in Nürnberg lebende Brite tritt auf als The Great Park und hat schon eine Menge Wohnzimmerkonzerte gegeben. Angefragt wird er meist übers Internet. Durch die Intimität entstehe oft eine knisternde Atmosphäre, sagt er. Aber der Mangel an Distanz zwischen Publikum und Musiker sei vor allem anstrengend. Es gebe keinen Backstagebereich, meist esse und übernachte man auch beim Gastgeber, die Auftritte seien eingebettet in Gespräche mit dem Publikum und man kenne die Menschen vorher nicht. „Nur House-Shows zu spielen wäre das Letzte, was ich tun würde“, sagt er.

Lampe kaputt? Ist halt so

Vor der Terrassentür einer Wohnung in Karlsruhe hat sich die Band zwischen Gitarren und Verstärkern eingerichtet und wartet auf ihren Auftritt. Noch trudeln Gäste ein, Getränke unterm Arm, andere plaudern im Wohnzimmer schon mit den Musikern. Über Verkehrskreisel, zum Beispiel. Oder die Wahl der Instrumente. Doch sobald die Band anfängt, wird das Publikum mucksmäuschenstill. Und hört über eine Stunde lang zu.

„Man hat einen anderen Bezug dazu, als wenn man eine Distanz zur Bühne hat“, erklärt Gastgeberin Gudrun Täther. Die Mathematikerin lädt seit 2012 ­Musiker in ihr gepflegtes Zuhause ein. Sie tut das, wie sie selbst sagt, aus ganz egoistischen und pragmatischen Gründen: Oft stehe sie, die oft zu Konzerten geht, vor dem Problem, nach Shows nur schwer oder gar nicht mehr mit dem öffentlichen Nahverkehr nach Hause zu kommen. „Für mich ist es bequemer, Konzerte in nächster Nähe zu haben, als mir die Nächte um die Ohren zu schlagen.“

Gastgeberin war sie schon immer gern, aber diese neue Aufgabe erfordert eine Speziallogistik: Die Musiker übernachten bei ihr, da müsse sie bettentechnisch auch mal auf Nachbarn ausweichen. Ihre größte Sorge aber ist stets, dass zu wenig Publikum kommt und zu wenig Geld im Spendenhut landet.

Neben Freunden und Kollegen lädt sie über Flyer auch ­Unbekannte ein. Und hat festgestellt: „Es ist überraschend, wie nett die Gäste sind.“ Und wie ist es mit den Bands? „Eine Musikerin fand ich anstrengend“, erzählt sie. Ansonsten sei es immer angenehm. Klar, es gehe mal eine Lampe kaputt. „Aber das ist dann mal so.“

„Man hat einen anderen Bezug dazu, als wenn man eine Distanzzur Bühne hat“

Wohnzimmerkonzert-Gastgeberin Gudrun Täther

Desiree Klaeukens kann sich gut an ein Malheur erinnern, das passierte, als sie vorigen November bei Täther zu Gast war. „Ich hatte Angst, dass ich ein teures Erbstück geschrottet habe“, sagt die 29 Jahre alte Musikerin aus Berlin. Anfangs sei es komisch gewesen, in die Privatsphäre einzudringen. Aber der Auftritt sei total schön gewesen. „So gar nicht Berlin, völlig unhip.“ Das sei ein krasser Gegensatz zu Clubshows vor Hunderten Leuten und könne einen ganz schön auf den Teppich der Tatsachen zurückholen.

Ihre Agentur habe die Idee gehabt, Wohnzimmerkonzerte als Vorbereitung auf eine größere Tour zu spielen. Für sie war das ein Sprung ins kalte Wasser, aber ein tolles Erlebnis. „Gerade für meine Musik ist es schöner, wenn es ruhig ist.“

Auch Sebastian Hoffmann, Booker von der Berliner Agentur Paper & Iron, weiß um die Vorteile von House-Shows und hat auch schon welche an seine Klienten vermittelt: „Ich definiere sie als Mischung aus Off-Day und Konzert, Aufmerksamkeit ist garantiert, die Übernachtungsmöglichkeit ist nahe.“ Er hat diese Alternative zum klassischen Auftritt schon 2008 in den USA kennengelernt, als er ein Jahr in Portland lebte. Damals, sagt er, sei das Konzept Wohnzimmerkonzert eher aus einer Not heraus in der Punk­szene entstanden: Wegen der drakonisch strengen Alkoholgesetze hätten junge Leute unter 21 keine Orte besuchen können, an denen Alkohol ausgeschenkt wird. Also veranstalteten sie ihre Konzerte einfach zu Hause. „Das war ein politischer Akt, um eine gesellschaftliche Schieflage auszugleichen.“

Rückzug ins Private

Auf die neuere und hierzulande wachsende Wohnzimmerkultur blickt er aber mit zwiespältigen Gefühlen. „Negativ finde ich die Exklusivität.“ Das Verlagern eines eigentlich öffentlichen Akts in den privaten Raum empfindet er auch als elitär. Auch wenn es unter dem Deckmantel von Authentizität gern als romantisches Ideal verkauft werde. „Aber die Heterogenität des öffentlichen Raums fehlt einfach.“

Hoffmann sieht das auch als Ausdruck eines Rückzugs ins Private, da würden auch Mühen und Kosten gescheut. Hoffmann habe schon erlebt, dass Leute über eine Internetplattform als Gastgeber vermittelt worden seien, denen der Musiker aus New York für ihre wohl situierte Villa dann doch ein bisschen zu schräg war. Da gehe es dann eher darum, sich mit einem Musiker zu schmücken wie mit einem Designgegenstand. „Das hat dann eher was von Privat­audienz mit Künstler.“

Ob das auch auf Christina in Darmstadt zutrifft? Unklar. Die Rolle als Konzertgastgeberin scheint ihr aber zu gefallen. Beseelt lächelnd lauscht auch sie dem Folk von Finner. „Danke, Christina“, ruft ihr einer der Gäste irgendwann über den Publikumsteppich zu. Sie winkt und lacht: „Gerne.“

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