piwik no script img

Ein Herz für Kabelfetischisten

ELEKTRONIK Der Dokumentarfilm „I Dream of Wires“ ist eine Liebeserklärung an den modularen Synthesizer. Nach der Vorführung heute im Babylon Mitte gibt der Synthesizer-Pionier Morton Subotnick ein rares Konzert

von Tim Caspar Boehme

Wer sich diese Geräte kauft und seine Zimmer damit vollstellt, muss schon etwas sonderbar sein. Modulare Synthesizer, das sind sperrige Metallkästen, mit denen man ganze Wände tapezieren kann. Viele ihrer Besitzer tun das auch. Regler, Steckverbindungen und blinkende Kon­trollleuchten gehören zu den äußeren Erkennungsmerkmalen. Seit den sechziger Jahren gibt es sie, und bis heute finden sich Menschen, die diese Apparate den entschieden raumfreundlicheren Software-Versionen für den heimischen Computer vorziehen.

Eine Art Liebeserklärung an den modularen Synthesizer ist der Dokumentarfilm „I Dream of Wires“ des kanadischen Regisseurs Robert Fantinatto. Produziert hat ihn sein Landsmann Jason Amm, der unter dem Namen Solvent selbst elektronische Musik produziert. Von ihm stammt auch die Filmmusik. Viele seiner Kollegen kommen darin zu Wort, von Synthesizer-Pionier Morton Subotnick und New-Wave-Ikone John Foxx über den Techno-Star Carl Craig bis zum House-Produzenten James Holden. Heute hat die Kinofassung im Babylon Mitte Premiere, im Anschluss gibt Morton Subotnick ein Konzert. Der Film kommt nicht als Nerd-Projekt für ein Nerd-Publikum daher, sondern erzählt die Entstehung des Synthesizers als Geschichte von zwei neugierigen Ingenieuren, die an der Ost- und Westküste der USA unter sehr unterschiedlichen Bedingungen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kamen.

Pioniere Moog und Buchla

In New York arbeitete der Physiker Robert „Bob“ Moog in den sechziger Jahren in einem eher akademischen Umfeld an seinen ersten Synthesizern, die er mit herkömmlichen Tastaturen versah – was für den Erfolg seiner Firma später entscheidend werden sollte. In San Francisco trieb sich der ehemalige Nasa-Ingenieur Don Buchla bei Fluxus-Happenings herum und ließ sich vom bewusstseinserweiternden Brauchtum der Gegenkultur inspirieren.

Zu den Musikern, mit denen Buchla Umgang pflegte, gehörten auch die Klangforscher des San Francisco Tape Music Center, allen voran Ramon Sender und Morton Subotnick. Sie beauftragten Buchla, ein konzerttaugliches elektronisches Ins­trument zu entwickeln. Subotnick insbesondere redete Buchla die Idee aus, Tasten zu verwenden. Er habe damals an neue Arten des Musikmachens gedacht und nicht einfach mit vertrauten Mitteln arbeiten wollen, erinnert er sich im Film. Dafür waren manche Geräte Buchlas, die auch bei Happenings zum Einsatz kamen, mit einem „red panel“ versehen, einer roten Platte, die angeblich in LSD getunkt war, damit man sie für zusätzliche Inspiration ablecken konnte.

Subotnick war es dann, der das erste Album mit rein elektronischer Musik im Auftrag einer Plattenfirma einspielte. „Silver Apples of the Moon“ von 1967 ist ein Klassiker und führt die mäandernden Patterns des Buchla-Synthesizers auf herrlich entrückte Weise vor – eine aktualisierte Fassung wird Subotnick in seinem Konzert spielen. Den weit größeren Verkaufserfolg sollte allerdings ein Jahr später Walter (heute Wendy) Carlos mit „Switched-On Bach“ haben, einer Demonstration der Möglichkeiten des Moog-Synthesizers am Beispiel diverser Bach-Interpretationen.

Der Film erzählt neben dieser Erfolgsgeschichte auch den Verfall des Synthesizers, angefangen mit dem Imageverlust, den der Synthesizer gegen Ende der Siebziger vorübergehend durch Punk erlitt, bis ihn ehemalige Punk-Musiker wie John Foxx oder Gary Numan für sich entdeckten. Den Tiefpunkt erreichte die elektronische Musik aber ausgerechnet durch eine technische Innovation: Mit dem DX7 schuf Yamaha in den Achtzigern einen digitalen Synthesizer, der zahllose Instrumente imitieren konnte, jedoch höchst umständlich zu bedienen war. Mit der Folge, dass mehr und mehr Musiker darauf verfielen, die vorprogrammierten Sounds zu benutzen.

Eine in LSD getunkte Platte konnte man für zusätzliche Inspiration ablecken

Während digitale Instrumente den Markt eroberten, wurden die alten modularen Systeme aussortiert, verschrottet oder günstig an Liebhaber abgegeben. Ein Comeback erlebten die analogen Geräte erst mit dem Aufkommen von Acid House. Doch waren es weniger die großen Kästen als die kleinen, billigen Modelle, die für House und Techno interessant waren. Da die alten Synthesizer aufwendig zu warten waren, entstand in den Neunzigern schließlich eine weitere Bewegung: Kleine Firmen wie Doep­fer im bayerischen Gräfelfing begannen, günstige modulare Geräte mit heutiger Technologie zu bauen.

Seitdem gibt es eine Renaissance des modularen Synthesizers, den auch das Aufkommen der Software-Synthesizer nicht stoppen konnte – im Film äußern sich die befragten Musiker gelangweilt und enttäuscht von den virtuellen Computerversionen. An diesem Punkt kippt der Film ein wenig in eine Werbever­anstaltung für die jungen Synthesizer-Hersteller, die, wie die Erzählerin mehrfach hervorhebt, noch nicht im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen sind.

PR-Schlenker

Dieser PR-Schlenker wäre im Grunde unnötig gewesen. Denn „I Dream of Wires“ macht allemal neugierig auf die analogen elektronischen Klangwelten, die nach wie vor nicht erschöpft sind. Robert Fantinatto und Morton Subotnick werden dem Publikum nach dem Film – und vor Subotnicks Aufritt – Rede und Antwort stehen. Moderiert wird das Gespräch vom Musiker Alec Empire von Atari Teenage Riot. Auch er ist unter den Protagonisten des Films.

„I Dream of Wires“. Regie: Robert Fantinatto. Kanada u. a. 2014, 94 Min. Heute im Babylon Mitte, 20 Uhr, mit anschließendem Konzert von Morton Subotnick

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen