: Der Tod ist ein Zeitvertreib
EXPERIMENT Nach fünf Jahren schließt am Samstag die „Staatsgalerie Prenzlauer Berg“. Zum Finale steigt eine Gruppenschau mit 18 assoziierten Künstlern
von Robert Miessner
Vor wenigen Wochen noch ging Henryk Gericke zur Arbeit durch die Hintertür seiner Wohnung. Der kurze Dienstweg hatte für den Gründer der Staatsgalerie Prenzlauer Berg Vor- und Nachteile. Gericke, der die Staatsgalerei im September 2010 am Anfang der Greifswalder Straße eröffnet hatte, wohnte in den angrenzenden Räumen und hielt die Tür zumeist offen. Es konnte vorkommen, dass Besucher der Galerie plötzlich vor seinen Bücher- und Plattenregalen oder gleich in der Küche standen. Gericke erklärte dann höflich, dass seine Privatsphäre nicht Teil einer erweiterten Installation sei.
Das muss er jetzt nicht mehr tun. Umgezogen ist er bereits. Sein Arbeitsweg führt ihn jetzt weg vom Kollwitzplatz, durch ein Viertel, das er im Gründungsmanifest seiner Staatsgalerie Prenzlauer Berg in einem knappen Satz beschrieben hatte: „Da läutet es ,Kolle Belle‘, da tönt es ,Immanuelkirch Carré‘, da dröhnt es ,Prenzlbogen‘ oder säuselt es ‚Winsgärten‘.“ Er fügte hinzu: „Eine solch stolze Gemeinde braucht einen Dom. Oder, reicht der Glaube nicht, eine Staatsgalerie.“ In den bisherigen Räumen eröffnete Gericke am gestrigen Donnerstagabend die letzte Ausstellung. Am Sonnabend schließt die Galerie, nachdem mit dem Vermieter nicht mehr über die Miethöhe zu reden war.
Gericke, DDR-Punk alter Schule, mag das nicht beklagen. Ihm – er wurde zum Dichter, Verlagsmitbegründer, Plattenliebhaber und -händler, Ausstellungsmacher („too much future – Punk in der DDR“) und Zeitschriftenherausgeber – ging und geht es um Behauptung. Betont er, dass „Galerie“ im Rotwelschen für „Diebesbande“ steht, dann ist ihm das Vergnügen ins Gesicht geschrieben. Umso mehr, wenn man ihm die diesbezüglichen Nachforschungen des österreichischen Schriftstellers Hermann Gail zu lesen gibt: „Ein Galerist spaziert direkt aus dem Verbrecheralbum, welches früher Galerie genannt wurde. Doch nicht jeder x-beliebige Lump oder Vorbestrafte ist gleich ein Galerist. Ein wirklicher Galerist ist nur einer mit entsprechendem Flair, er muss sich in der Unterwelt einen Namen gemacht haben. Ein Galerist hat Hirn und Eleganz.“
Die Räume der Staatsgalerie fand Gericke neben der von ihm frequentierten NEU!-Bar, in der er auch als DJ auftritt. Beiden Orten gemeinsam ist eine nicht ungefährliche Treppe ins Hinterzimmer. Ein Freund meinte: „Von hier kannst du eine Republik ausrufen.“ Gericke: „Einen Staat!“ Die solcherart getaufte Galerie sollte 90 Malerei- und Fotografieausstellungen präsentieren. Hinzu kamen über 200 Veranstaltungen – Lesungen, Konzerte, Film- und Buchpremieren, Bankette, Salons und eine Séance.
Die Ästhetik des Hauses speiste sich aus den Avantgarden des 20. Jahrhunderts, aus Surrealismus und nicht reaktionärer Romantik, aus einer grundsätzlichen Lust am Experiment, das nicht um seiner selbst willen durchgeführt wurde. Die Ausstellungen und Ereignisse konnten verstören, sie konnten irritieren; immer eingedenk des Satzes von Jacques Prévert: „Wenn das Leben sich langweilt, ist der Tod sein Zeitvertreib“.
Eines war Gericke und dem Kreis der Künstler, Sympathisanten und Unterstützer wichtig: Das Gründungsmanifest der Galerie sprach von „einem Ort, der um seine Relevanz streiten und sie nicht mittels eines bemühten Lokalkolorits behaupten wird.“ Kein Museum der Moderne also noch das einer gewesenen Subkultur, die mit dem Namen Prenzlauer Berg verknüpft ist und dem Bezirk einen Mythos verschaffte, der ihm nicht nur guttat.
Albanien, Litauen, Sachsen
Die jüngste Künstlerin der Galerie ist immer noch in den Zwanzigern; andere Beiträger stammen aus Albanien, Litauen, England oder Sachsen. Mit einer gewissen Ironie, die nicht mit Leichtfertigkeit verwechselt werden sollte, ließe sich daher vom Prenzlauer Berg als ortsungebundenem Territorium reden. „Er ist überall, wo nicht nirgends ist“, sagt Gericke. Seine vorläufige Abschiedssausstellung ist eine Gruppenschau mit 18 Künstlern, deren Arbeiten alle auf ihre Weise programmatisch für die Galerie stehen können. Zu sehen sind Objekte von Jens Becker, MK Kaehne und Robert Lippok, Fotokunst von Mathias Bertram, Joe Dilworth, Juliane Duda, Thomas Gust und Joerg Waehner. Die Maler Jürgen Eisenacher, Martin Frese und Jutta Scheiner sind dabei wie der Grafiker Frank Siewert. Micha Brendel und Johannes Jansen präsentieren Text-Bild-Hybride, Tippi Tillvind und Majla Zeneli Collagen.
„Öffentliche Demontage“, der Titel der Ausstellung, basiert auf der Punkweisheit, die besagt, dass ein Untergang nicht das Ende ist. 2016 will sich die Staatsgalerie Prenzlauer Berg neue Räume suchen. Vorher wird am Sonnabend um 20.00 Uhr der Schriftzug über dem Eingang Buchstabe für Buchstabe demontiert. Das Messingschild daneben hat bereits Patina angesetzt und einige Buchstaben eingebüßt. Es liest sich mittlerweile „Staatsgalerie Rfnzuer Berg.“ Das nun säuselt so wenig, wie es tönt. Es knarrt und knirscht.
Öffentliche Demontage der Staatsgalerie Prenzlauer Berg, Greifswalder Str. 128; noch bis Samstag; Finissage 25. 7. um 19.00 Uhr
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