: Die Damen aus der Schokofabrik
SOZIALKRITIK Dreißig Jahre nach ihrer Gründung würdigt das Bonner Frauenmuseum die Berliner Künstlerinnengruppe „Schwarze Schokolade“ mit einer Einzelausstellung
VON JOHANNA SCHMELLER
Das Berlin der Achtzigerjahre, die spätere Bundeshauptstadt: Sie hießen Chris, Lisa und anders, sie nannten sich „Schwarze Schokolade“, fegten Böden, zogen Tapeten ab und richteten einen ökologischen Dachgarten ein.
Das verschlafene Bonn, die frühere Bundeshauptstadt, dreißig Jahre später: Jene Künstlerinnengruppe, die einst in einer heruntergekommenen Schokoladenfabrik in nur wenigen Monaten das größte Frauenzentrum der damaligen Bundesrepublik und ein europäisches Frauen-Netzwerk entstehen ließen, stellt ihre erste gemeinsame Einzelausstellung vor. Eine Etage hat das Frauenmuseum in Bonn den Feministinnen gewidmet, ihren „neuen Antworten auf alte Fragen“, wie es in der Ausstellungsbeschreibung heißt.
Längst wohnen die Künstlerinnen in verschiedenen Ländern, Gruppenaktivitäten sind rar. Ihre frühen Werke zeigen jedoch Gemeinsamkeiten: Die Künstlerinnen setzen sich besonders mit haptischen Materialien auseinander, die in unübliche Kontexte gerückt werden – kondensierendes Wasser etwa, das nicht als Nebel davonwabern darf, sondern in einem Folienkissen gefangen wird (Video der Performance „Nebelwanderung“, Chris Werner, 1982). Seifenreste, die an einer Wäscheleine aufgehängt sind wie buntes, durchscheinendes Glas. Fahrradschläuche, denen die Luft abgelassen wurde. Und natürlich Bitterschokolade, die ungenießbar gemacht wird, indem sie in Form von Waffen gegossen oder in einem Koffer eingeschlossen wird – oder zu Kacheln verarbeitet ist, über die eine Frau auf goldenen Sohlen gelaufen ist („Golden Traces“, Chris Werner, 2003).
Daneben: Videoinstallationen, etwa von Monika Funke, textile Skulpturen, Environments und Lichtprojektionen. Ein Objekt der Ausstellung ist der Mitgründerin der Gruppe Lisa Lancelle gewidmet, die vor zwölf Jahren bei einem Autounfall starb: „Malorgien“ von Catharina Cosin.
Bunt, wild, innovativ, rebellisch – so wird die Gruppierung von der Presse vor der Wendezeit beschrieben. Und ihre Geschichte liest sich tatsächlich wild und romantisch, fast romanhaft. Vor über dreißig Jahren, im Winter 1979, besetzte ein Frauenzirkel um Rotraud Damerau von der Heide, Chris Werner und Lisa Lancelle einen Ort, der für Fantasie und Sozialutopien besonders geeignet schien: die heruntergekommenen Hallen der Schokoladenfabrik Greiser und Döbritz in Berlin-Kreuzberg. Weitere Frauen – Roswitha Baumeister, Petra Baumgardt, Renate Hampke, Gerda Leopold, Katharina Karrenberg, Ute Wiegand, Claudia Schmidt – schlossen sich an, um „schöpferischen Anteil am historischen Schicksal von Frauen“ zu nehmen, wie es damals in einer Stellungnahme hieß.
Ihre ersten Schritte machten die Gründerinnen jener feministischen Gruppe, deren Titel „Schwarze Schokolade“ ironisch an Herrenschokolade erinnern soll, in einer Zeit, als Künstlerinnen in Deutschland überhaupt erstmals öffentlich als ihren männlichen Kollegen gleichgestellt wahrgenommen wurden. Die Frauenbewegung der Siebziger, die sich gegen das chauvihafte Auftreten der Männer in der APO wandte, hatte ihnen den Weg geebnet. Und bis heute arbeiten um die achtzig Frauen in der Schokofabrik, deren Angebote nun von Frauensport und Workshops bis zu einem Hammam für Frauen reichen.
In Berlin fanden die Künstlerinnen ihre Motive, in Neukölln, im Wedding. Doch sind auch die frühen Arbeiten keine Milieustudien, vielmehr spiegeln sie die feministischen Themen der Achtziger: den weiblichen Körper, Mutterschaft und Unterwerfung, den Freiraum, den Frauen nun in der Gesellschaft einnehmen konnten, und die Art, wie er noch immer beschnitten wurde.
An diese Aufbruchstimmung knüpft auch die Bonner Ausstellung an: Ein gesprengter Gipstorso von Lisa Lancelle erinnert heute an ihre Performance beim „Frauensommer 1982“ in Berlin, lässt aber auch an die gelungene Selbstbefreiung einer Mumie aus ihrer Rüstung denken. Und eine ganz moderne Videoinstallation aus dem Jahr 2011 zeigt eine Mutterbrust, an der ein properer Säugling hängt, daneben ein Augenpaar, das von einem Schleier freigegeben wird sowie eine schwarz verschleierte Pietà – Mutterschaft und Weltreligionen, Zärtlichkeit und die göttliche weibliche Kraft auf drei kleinen Bildschirmen.
Und so wirken die ausgestellten Werke nicht wie ein spätes Klassentreffen, sondern – ja, immer noch – sozialkritisch. Neue Antworten auf alte Fragen also? Vielleicht eher die Einladung zu Gedankenspielen und zur Selbstbefragung, in einem anderen Kontext, in einer anderen Stadt, in einer anderen Zeit.
■ Frauenmuseum Bonn, bis zum Internationalen Frauentag, 8. März. Katalog 19 Euro