Eigentlich alles wie immer

Zensur Nach Anschlägen, Entführungen und Regierungsskandalen sperrt die türkische Regierung immer wieder Webseiten – angeblich um Ermittlungen nicht zu gefährden

Journalistinnen der konservativen „Zaman“ Foto: Murad Sezer/reuters

Aus Istanbul ÇIĞdem Akyol

Als letzte Woche in der Türkei mal wieder kurzzeitig der Kurznachrichtendienst Twitter gesperrt wurde, war eigentlich alles wie immer. Nach dem mutmaßlichen Terroranschlag in Suruç, bei dem 32 Menschen umgekommen waren, hatte die Türkei zeitweise Internetseiten gesperrt, die Bilder vom Ort des Attentats und der Opfer veröffentlicht hatten. Mit der Twitter-Blockade wollte Ankara Aufrufe zu Protesten gegen die ­Regierung verhindern.

Dass die türkischen Behörden Medien Maulkörbe verpassen, ist nicht neu. In Sachen Zensur leistet die konservativ-islamische AKP-Regierung ganze Arbeit. Immer wieder werden Internetseiten gesperrt oder die Berichterstattung über ganze Themen verboten. Anfang April, nach der Geiselnahme eines Staatsanwalts in Istanbul, wurden soziale Netzwerke und YouTube blockiert. Damals waren Bilder des Staatsanwalts aufgetaucht, der von Mitgliedern der linksextremistischen DHKP-C ermordet wurde. Ankara hatte daraufhin kritisiert, einige Medien hätten sich verhalten, als ob sie „terroristische Propaganda verbreiten würden“.

Ein schwerer Vorwurf, den Journalistenorganisationen nicht nur in diesem Fall zurückweisen. Seit Jahren schon sprechen türkische Presseverbände von einem Klima, das an die McCarthy-Ära in den USA erinnere. Reporter ohne Grenzen bescheinigt der Türkei ein „pressefeindliches Rechtssystem“. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 149 – von 180. 2003, als Erdoğan Ministerpräsident wurde, befand sich das Land noch auf Rang 116. Dass es so weit nach unten gerutscht ist, liegt auch an der staatlichen Zensur.

Neben den gesperrten Onlineseiten werden auch ganze Themen auf den Index gesetzt. Die türkische Rundfunkaufsichtsbehörde schickt regelmäßig eine Verbotsliste an Journalisten. Die Tageszeitung Hürriyet Daily News schreibt, dass zwischen 2010 und 2014 150 Themen gesperrt wurden, weil der Rundfunkrat oder Gerichte das so bestimmten. Wer die Nachrichtensperre bricht, muss mit Geldstrafen rechnen. Begründung ist meist, dass die Ermittlungen durch Berichte gefährdet würden.

So lautete auch das Argument bei den türkischen Botschaftsmitarbeiter, die im Juni 2014 von IS-Jihadisten in Mossul entführt wurden. Türkische Medien durften darüber nicht berichten, nachdem einige der Regierung zuvor vorgeworfen hatten, die Eskalation im Irak durch Unterstützung des IS mitverschuldet zu haben. Erdoğan, der damals noch Ministerpräsident war, kritisierte, Opposition und regierungskritische Medien würden die Geiselnahme für politische Zwecke nutzen und Menschenleben gefährden.

Tote Kurden? Kein Wort!

Auch Berichte über das Massaker türkischer Streitkräfte im Kurdengebiet steht auf dem Index. Im Dezember 2011 wurden bei einem Luftschlag in der Provinz Șırnak 35 Zivilisten getötet. Die Opfer hatten Diesel und Zigaretten mit Maultieren geschmuggelt. Geheimdienstinformationen, wonach es sich um eine Gruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gehandelt habe, stellten sich als falsch heraus.

Ein weiteres Tabuthema ist der gewaltige Korruptions­skandal, der die Türkei Ende 2013 erschütterte. Mehrere AKP-Minister mussten ­wegen Geldwäsche- und Bestechungsverdacht zurücktreten. Mitschnitte angeblicher Telefonate rückten Erdoğan in die Nähe illegaler Geldgeschäfte. Die AKP-dominierte Rundfunkaufsichtsbehörde verhängte eine Nachrichtensperre – Begründung: Medien hätten Vertrauliches veröffentlicht und das Prinzip der Unschuldsvermutung verletzt.