Watt‘n dat?

LEISTUNGSMESSUNG Die Frankreich-Rundfahrt führt ab heute durch die Berge der Pyrenäen – und wieder einmal fahndet der Franzose Antoine Vayer mit seinem „Radar“ nach „Mutanten“ im Peloton

Der Gelbe am Berg: Chris Froome auf dem Weg zum Gipfel Foto: dpa

Die Tour de France beginnt heute, mit den Bergetappen in den Pyrenäen. Das ist nicht nur Antoine Vayer klar, sondern auch Chris Froome. Das Vorspiel der ersten Woche ist beendet und der Ernst des Tour-Lebens beginnt. „Die wirklichen Unterschiede wird man ab der ersten Pyrenäenetappe sehen“, sagte der Brite, der mit dem gelben Trikot auf den schmalen Schultern in dieses Abenteuer geht.

Dass für Antoine Vayer die Tour de France erst jetzt richtig losgeht, hat seine Ursache darin, dass der frühere Trainer des für die Genauigkeit der Sponsorenuhren ebenso bekannten wie für seine Dopingpräzision berüchtigten Festina-Rennstalls seit einigen Jahren sein Leistungsradar in den Tour-Bergen installiert. „Wir haben in diesem Jahr vier Anstiege bei der Tour, die länger als 40 Minuten dauern und daher geeignet für unser Radar sind. Es handelt sich um die Aufstiege zu La Pierre Saint-Martin, dem Plateau de Beille, La Toussuire und L’Alpe-d’Huez, erzählt Vayer, der bei der Tour-Etappe zur Mur-de-Bretagne unweit seines Wohnorts ins Pressezelt der Tour gekommen war, der taz.

Die ersten beiden Anstiege liegen in den Pyrenäen. „La Pierre Saint-Martin wird das erste Mal angefahren. Es ist ein sehr, sehr harter Berg“, meint Vayer zum heutigen Finalgipfel. Allerdings liegen vor diesem Felsen keine weiteren Berge, sodass Vayer selbst Normwattleistungen von 430 Watt noch nicht für verdächtig halten würde. „Es geht um den Durchschnitt aller vier Radarmessungen. Wer im Gesamtbild konstant über 410 Watt liegt, der ist verdächtig“, erklärt er.

Vayers Analysen beruhen auf der Messung der Zeit, die einzelne Fahrer für die Anstiege brauchen. Um die geleistete Arbeit zu berechnen, werden die Steigungen miteinbezogen und auch die Windverhältnisse mit Konstanten berücksichtigt. Um die Leistungen der einzelnen Fahrer vergleichbar zu machen, wird das individuelle Körpergewicht auf ein Normgewicht von 78 Kilogramm (inklusive Gewicht des Rads) hochgerechnet und die Wattzahl im Verhältnis dazu ermittelt. Potenzielle Fehlerquellen sind – abgesehen von Messfehlern – der Realität nicht entsprechende Konstanten für die Einflüsse von Wind und Rollwiderstand sowie Effekte von Windschatten in den flacheren Abschnitten. Vergleiche mit den realen Wattzahlen einzelner Fahrer, die Vayer vorlagen, ergaben Differenzen von weniger als 2 Prozent. Das macht die Berechnungen durchaus brauchbar. Bei der 400 Watt-Schwelle liegt der Messfehlerbereich also bei 8 Watt.

Die Grenzen – 410 Watt für „verdächtige Werte“, 430 Watt für „wundersame Werte“ und 450 Watt für „Mutanten-Werte“ – bestimmte Vayer aufgrund seiner Erfahrungen bei Festina. „Das war ja ein In-vivo-Doping-Labor, wo man die Effekte von Epo auf einzelne Fahrer und die Leistungen im Vergleich auf ungedopte Fahrer sehr genau erkennen konnte“, erzählt der Bretone dieser Zeitung. Vayers Methode wird von vielen Akteuren im Radsport belächelt. Als „Pseudowissenschaft“ bezeichnete es etwa Sky-Chef David Brailsford. Die vergleichsweise geringen Differenzen zu den realen Wattwerten sprechen aber für Vayer. Die Veröffentlichung der realen Wattzahlen der Top-Fahrer würde die Diskussion sicherlich versachlichen. An Vayers im „Dopinglabor“ von Festina ermittelten Grenzwerten hat bislang ohnehin niemand fundierte Kritik geäußert.

„Wer im Gesamtbild konstant über 410 Watt liegt, der ist verdächtig“

Antoine Vayer

Seinen ersten Radar-Zwischenstand will Vayer am 18. Juli, zwei Tage nach dem Erklimmen vom Plateau de Beille, veröffentlichen. Die Gesamtbetrachtung, einschließlich der beiden Alpenetappen, könnte exakt zur Abschlussparade auf den Champs-Élysées die Öffentlichkeit erreichen. Als Referenzgrößen für sauberes Fahren nennt Vayer aufgrund des Datenmaterials aus den letzten Jahren Kletterer wie Christophe Peraud, Dean Martin und Romain Bardet. Rufen sie ihre Normalleistung ab, dann bietet das erste Anhaltspunkte. Vayer erwartet vom bisherigen Saisonverlauf her allerdings ein „Bergfeuerwerk der großen 4“. Das sind Chris Froome, Nairo Quintana, Alberto Contador und Vincenzo Nibali. Dazu kommt der Amerikaner Tejay van Garderen, derzeit auf Platz 2, meint Vayer. Spannung liegt also in der Luft. Für Menschen mit Stoppuhr und Excel-Tabellen sogar doppelte Spannung. Tom Mustroph