Da liegt man am See und denkt, alles sei gut. Doch dann kommt diese Sprechstundenhilfe daher: Sprachkotze zwischen den Bässen
Zumutung
Anja Maier
Schön ist es dieser Tage wieder in unserem Örtchen. Sommerschön. Auf unserer einzigen Hauptstraße gondeln Menschen in T-Shirt und Shorts, mit großformatigen Sonnenbrillen im Gesicht auf und ab. Zur Schule und nach Hause, in die neu eröffnete Eisdiele. Und immer wieder treibt es die Menschen zum nahen Strand, gelegen am Ortsausgang.
Dort, auf ein paar Tausend Quadratmetern weißem Sand unter märkischen Kiefern, treffen sie dieser Tage aufeinander. Die Abiturientin auf den Rentner, der Azubi auf die junge Mutter. Der Nazi auf den Flüchtling.
Erwähnte ich, dass in unserer ostdeutschen Idylle Ende vergangenen Jahres eine Flüchtlingsunterkunft eröffnet wurde? 250 neue Mitbürger, die mittlerweile auf ihren gespendeten Fahrrädern durch den Ort pflügen. Zum Bahnhof, zum Supermarkt, zum Deutschunterricht, zum Amt. Und ja, auch zum Strand.
Sie kennen diese Bilder, nicht wahr? Gruppen tätowierter Skinheads auf der einen Seite, ziemlich dünne Flüchtlinge, die sich etwas abseits auf ihre kleinen Handtücher kauern, auf der anderen.
Ich darf hiermit vermelden, dass nullkommanix von dem vorfällt, was sich da gerade in Ihrem Kopfkino abspielt. Es ist voll. Es ist warm. Es ist alles ein bisschen aufgeladen. Ja. Aber wenn da am Strand jemand Stress macht, dann ist es eher dieser besoffene Endzwanziger, der seit Stunden auf die Jungmänner-Besatzung eines sehr kleinen Motorbootes mit sehr großer Musikanlage einbrüllt.
Kindertechno schallt aus den Boxen: Loops und Beats der schlichten Sorte, unterlegt mit Quäkstimmen. Und das Ganze schön laut. Wir sollen alle etwas davon haben an diesem warmen Sommersonntag. Der volltrunkene Monologist steht seit Ewigkeiten neben dem Boot, bis zu den Knien im Wasser. Er trinkt Bier um Bier und muss, wegen der an- und abschwellenden Bässe, immer lauter schreien. Es geht um Weiber, Alk und Paintball-Schießen. Das ist leider nicht zu überhören. Er röhrt dermaßen laut, dass ich zu meiner Begleitung sage: „Gleich kotzt er.“ „Sprachkotze“, sagt die Begleitung. Wir sind genervt. Aber wir sagen auch nichts.
Am Montag drauf gehe ich zum Arzt in der nahen Kreisstadt. Ich bin da schon ewig in Behandlung, die Sprechstundenhilfe kennt mich. Wie war das Wochenende, Frau Maier? Toll, war ja Spitzenwetter, sage ich. Und dass nur dieses besoffene Getöse am Strand einen kleinen Schatten auf mein Gesamterlebnis geworfen habe. Aber, sage ich, man traut sich da ja nichts zu sagen.
Das ist das Stichwort. Die Sprechstundenhilfe erklärt mir freundlich, wozu „man“ auch sonst besser nichts sagt. Von den Asylanten, sagt sie, sei kürzlich einer am Strand gewesen und habe seine komische Musik gehört. Gar nicht leise. Und er habe dabei auf einer der raren Bänke gesessen. Allein. Was der sich bei so was denke, das frage sie sich wirklich. Aber man traue sich ja nichts zu sagen. Im eigenen Land. Na, dachte ich, wenn das deine größte Sorge ist. Und hey, dachte ich, richtig erfreulich, dass wir in Ostdeutschland endlich was anderes zu sehen bekommen als weiße Besoffene, die stundenlang zu Kindertechno rumbrüllen.
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