: Auch Barpianisten haben eine Mutter
SEELENREISE Ozeanfahrt, Adornozitate und immer schön Schubert spielen: „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Klavierspiels“ von Stefan Moster
VON CHRISTINE REGUS
Manche Formen des intimen Umgangs können sehr beglückend sein; es gibt Menschen, die zählen auch das vierhändige Klavierspiel dazu. Die Störanfälligkeit bei allen Formen von Nähe ist jedoch groß und oft ist Krach, wo Harmonie ersehnt wurde. Das weiß Almut nur zu gut. Nicht nur, weil sie jahrelang als Familientherapeutin in einem Leipziger Frauenhaus arbeitete. Ihrem Sohn Sebastian wurde es nach dem Abitur bei der alleinerziehenden Mutter zu eng, es gab Streit, der Kontakt ist abgebrochen. Almut findet sich als Bordpsychologin auf einem Luxusliner wieder. Ihr Job zu Hause sollte Sparmaßnahmen zum Opfer fallen, sie hatte das erste Stellenangebot angenommen – nicht ahnend, dass Sebastian auf demselben Schiff als Barpianist angeheuert hat.
Klar, dass Mutter und Sohn hier aufeinandertreffen werden und dass eine Ozeanfahrt eine gute Kulisse für eine solche Geschichte abgibt. In den Naturgewalten seelische Zustände zu spiegeln hat eine lange literarische Tradition. Ebenfalls nicht neu ist die Idee, den Abenteuern des klassischen Seefahrerromans – der Entdeckung exotischer Welten – die Abenteuer der Psychoanalyse entgegenzusetzen: die Begegnung mit dem fremden Ich, die zuweilen entsetzliche Wahrheiten ans Licht bringt. Mit seinem ersten Roman „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“ ist Stefan Moster, der 1964 in Mainz geboren wurde und heute in Finnland lebt, aber ein gut lesbarer Schmöker gelungen. Er lässt Mutter und Sohn abwechselnd erzählen, so fühlt man sich als Leser fast selbst wie in einer Gesprächstherapie. Schicht für Schicht dringt man in diese Psychogeschichte ein, bis man am Ende wie die Protagonisten erkennt, wer der geheimnisvolle Dritte ist, der ihnen zu schaffen macht.
Sensible Antennen
Leider lässt Moster Almut und Sebastian auf Leute treffen, die dem Figurenkabinett einer vulgärpsychologischen Typenkomödie entsprungen scheinen: von der erfolgreichen TV-Moderatorin, die sich mit sehr jungen Männern vergnügt, über die Krankenschwester, an deren Hüfte sich Sebastians Begehren vorschnell entlädt, hin zum Stasispitzel, der als Junge von den eigenen Eltern verraten wurde. Weiter treten auf: ein einsamer Pfarrer, ein klebriger Betriebsratschef, der Puffreisen nach Brasilien organisiert, ein Gigolo, der von Almuts Brüsten träumt. Die Liste ließe sich fortsetzen und angesichts all des Ödipalen, des vielen Wassers, des gebärmutterartigen Schiffsbauchs und entsprechend konnotierten Meeresgetiers ist auch die um Reproduktion und Regression kreisende Symbolik etwas überbordend.
Immerhin: Alles Private verliert in Mosters Roman, und das ist ja auch eine Pointe des Ödipus-Stoffs, seine Unschuld. Die Beziehungen auf dem Schiff sind geprägt von asymmetrischen Machtverhältnissen, immer liegt die Gefahr in der Luft, Opfer persönlicher Abhängigkeit zu werden. Dabei geht es auch um die Unschuld der Künste: Mutter, Sohn und der Personalmanager des Schiffs, die drei zentralen Figuren, teilen die Leidenschaft für die Musik. Sie ist nicht nur Genuss, geistige Heimat und Trost, sondern kann auch Gewalt, Ausgrenzung oder Zwang bedeuten. Moster bemüht zahlreiche Referenzen aus der Musik- und Literaturgeschichte, Adornozitate und Anekdoten um den Pianisten Wilhelm Kempff, der sich von Göring protegieren ließ. Der Chef testet ständig Almuts Belesenheit und zwingt sie zum vierhändigen Klavierspiel – eine Brutalität, für die sie sensible Antennen hat. Sie selbst merkt aber nicht, wie sehr sie ihren Sohn mit dem Wunsch bedrängt, gemeinsam Schuberts f-Moll-Fantasie zu spielen.
Die Unvollkommenheit Almuts ist das Reizvolle an Mosters Roman. Als Mutter schafft sie es nicht, den Sohn loszulassen. Als Therapeutin agiert sie wenig professionell, ist indiskret. Insgesamt erscheint diese Figur sehr überzeugend und ihr Ton gut getroffen. Der Sohn bleibt dagegen blass. Besonders eindrücklich beschreibt Moster aber wiederum Empfindungen mit starken körperlichen Komponenten, etwa klaustrophobische Zustände, die durch die schalldichten Mauern und dicken Teppiche im Schiffsinneren erzeugt werden. Wunderbare Passagen gelingen, wenn das Schiff in die Häfen Südamerikas einläuft.
Es stimmt nicht, dass vierhändiges Spiel unmöglich ist, wie der Titel des Romans behauptet. Selbst die Leseerfahrung erlaubt, Stimmen nicht nur nacheinander, sondern auch gleichzeitig zu vernehmen. Durch den Nachhall starker Worte etwa. Zuweilen gelingt es Moster, und das sind intensive Stellen, dass die Stimme des Sohnes in den Passagen der Mutter mitschwingt oder umgekehrt. Doch zu verliebt ist Stefan Moster in all die Randfiguren, die sein Buch bevölkern, in die großen Symbole und bildungsbürgerlichen Verweise. Es ist ein bisschen zu viel Operette, die er in dieses Kammerstück gesteckt hat.
■ Stefan Moster: „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Klavierspiels“. mare Verlag, Hamburg 2009, 448 Seiten, 22 Euro