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Die universelle Symphonie

FESTIVAL Bei den „Kosmostagen“ im Radialsystem gibt es interessante Kombinationen: Renaissance-Musik trifft auf rituelle Perkussion aus Burkina Faso, uralte Vokalkompositionen auf experimentelle Elektronik-Sounds

Der auf Pythagoras zurückgehende Begriff Kosmos meint „Ordnung im Universum“. Dazu gehört ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Tönen, weshalb Pythagoras alsBegründer der Harmonielehre gilt

von Philipp Rhensius

Kosmos, das klingt irgendwie nach Räucherstäbchen und spiritueller Erleuchtung, aber auch nach Philosophie und Weltraum. Letzteres kommt dem griechischen Begriff am nächsten, denn Kosmos bedeutet „Ordnung im Universum“. Dass der auf den griechischen Mathematiker Pythagoras zurückgeht, bringt uns dann auch sofort zu den Kosmostagen 2015, dem vom Berliner Andromeda Mega Express Orchestra (AMEO) organisierten „Festival für universelle Musik“. Denn Pythagoras begründete nichts weniger als die Harmonielehre, als er – einer Legende zufolge – in einer Schmiede verschiedene Metallstäbe aneinander schlug und so erstmals die unterschiedlichen Tonabstände identifizierte.

Der Name des Festivals ist gut gewählt, denn Harmonie, die Grundlage des Kosmos, bezeichnet nicht nur ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Menschen, sondern auch zwischen Tönen. Wobei das Festival, musikalisch gesehen, keinesfalls einen harmonischen Gleichklang anstrebt. Entstanden doch alle Genres, die im Programm stehen – ob Free Jazz, Neue Musik oder elektronische Clubmusik –, aus der Überzeugung heraus, die traditionellen Harmonien, die alte dogmatische Dur-Moll-Leier, endgültig zu überwinden.

Und genau darum geht es den Initiatoren des zum zweiten Mal stattfindenden Festivals. So steht das AMEO seit seinem 10-jährigen Bestehen für eine Musik, auf deren Landkarte Stilgrenzen längst nicht mehr existieren. Einem größeren Publikum wurde das Orchester, deren Mitglieder aus neun Ländern stammen, erstmals durch die Zusammenarbeit mit The Notwist für deren 2008er-Album „The Devil, You & Me“ bekannt. Bereits dort war zu hören, dass sich ihr Sound zwischen Neuer Musik, Electronica, Noise und Jazz bewegt und sich als Spiegelbild der großen musikalischen Spannweite des 21. Jahrhunderts bezeichnen lässt.

„Unser Orchester ist ein Mikrokosmos. Es besteht aus Musikern sehr verschiedener Hintergründe, die wir im Rahmen eines Festivals mit ihren eigenen Projekten präsentieren wollen“, sagt Daniel Glatzel, Leiter des Andromeda Mega Express Orchestra. So treffen zwei Tage lang, am Freitag und Samstag, im „Radialsystem V“ uralte Vokalkompositionen aus dem 11. Jahrhundert auf experimentelle elektronische Musik, die Renaissance-Musik von Carlo Gesualdo auf rituelle Perkussionsmusik aus Burkina Faso und Neue Musik-Kompositionen des österreichisch-ungarischen Avantgardisten Györgi Ligeti.

Es wird hier also versucht, die postmoderne musikalische Gegenwart abzubilden. Gibt es dafür nicht schon genügend andere Formate in Berlin? Glatzle ist überzeugt: Die Besonderheit der Kosmostage liegt in den „überraschenden Kombinationen“. Es gehe vor allem um die „feinen Eigenheiten der jeweiligen Musik“. Das ist nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Musiker eine Herausforderung. „Für die Musiker wird das sicherlich ein Experiment – sie treffen und spielen mit Musikern aus völlig anderen Bereichen zusammen.“

Wer als Fan experimenteller Formate jetzt noch zweifelt, sollte das Programm genauer anschauen: Eröffnet wird das Festival am Freitagabend von der Berliner Afrofunk-Band Onom Agemo & The Disco Jumpers, die zuerst solo und dann zusammen mit der Vibraphonistin Els Vandeweyer und dem Ensemble Lanaya aus Burkina Faso auf der Terrasse mit Spreeblick spielen werden. Danach geht es in der Halle mit einem der Höhepunkte des Festivals weite: Das AMEO tritt mit dem brasilianischen Jazz-Weirdo und Multiinstrumentalisten Hermeto Pascoal auf die Bühne Pascoal, der als „Brasiliens Antwort auf Sun Ra“ gilt, und den sein einstiger Kollege Miles Davis einen der wichtigsten Musiker der Welt nannte. Hier lassen sich noch weitere Zuschreibungen von verrückt und bunt einfügen. So brachte der 79-jährige Pascoal 1977 lebendige Schweine auf die Bühne, um sie als Percussioninstrumente zu benutzen, indem er ihnen am Schwanz zog. Seine exzentrischen Outfits, etwa den mit seinem weißen Bart kontrastierenden Hawaiihemden, passen derweil einfach wunderbar zur nicht selten ins Dadaistische neigenden Musik.

Verschroben geht es am Samstag weiter. Nach einem Konzert der Band Sun mit dem The Notwist-Schlagzeuger Andi Haberl wird das Andromeda Mega Express Orchestra zusammen mit Oferi Consort und Lanaya den ersten Teil der „Universe Symphony“ des US-amerikanischen Komponisten Chales Ives aufführen. Ives, der ein manischer Perfektionist war und erst posthum bekannt wurde, strebte mit seinen nie fertig gestellten Kompositionen eine ultimative Symphonie des Universums an. Wem das zu anspruchsvoll oder zu vermessen erscheint, der kann sich anschließend bei einem der raren DJ-Sets von Mouse on Mars wieder erholen. Basiert doch schließlich jeder Kosmos auf Ausgewogenheit.

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