: Dem inneren Zwang folgen
Bücher Der Verlag Ankerherz hat in der Bleibtreustraße sein Hauptstadtbüro eröffnet. Aktueller Erfolgstitel ist „Die Frau, die Nein sagt“, seine Mission liegt in Büchern, die wie „Bilderkrieger“ einfach gemacht sein wollen
von Brigitte Werneburg
Es waren einmal die drei Brüder, Carl, Heinrich und Christian Fritz, die waren Zimmerleute in Charlottenburg, wo sie im Jahr 1899 in der Bleibtreustraße 52 ein elegantes Mietshaus bauten, als Investment. Denn sie glaubten, die Gegend habe Potenzial. Das hatte sie. Und das hat sie noch heute.
Deshalb haben die Veranstaltungskauffrau Kathrin M. Limburg und ihre Geschäftspartnerin Verena Nobis-Wicherding die Belle Etage der Bleibtreustraße wieder in ihren originalen Zustand einer hochherrschaftlichen Wohnung zurückversetzt, mit der Küche als Herzstück, in der die Originalfliesen aus der vorigen Jahrhundertwende mit Elementen des New Yorker Loftstils kombiniert sind. Ihre stilvolle Etage vermieten sie nun als Eventlocation.
Die Helden des Alltags
Ein Raum freilich, die Bibliothek, ist dauerhaft belegt. Hier residiert nun das Hauptstadtbüro des Ankerherz Verlags, dessen Neuerscheinung „Die Frau, die Nein sagt“ kurz nach Erscheinen schon auf der Spiegel-Bestsellerliste steht. In dem Buch schildert der Hamburger Journalist Malte Herwig seine Begegnung mit der heute hochbetagten Malerin Françoise Gilot. Vor mehr als 60 Jahren ließ sie Pablo Picasso, mit dem sie zwei Kinder hatte, sitzen – nach zehnjährigem Zusammenleben. „Die Frau, die Nein sagt“ hatte sie Picasso selbst, gleich als er sie kennengelernt hat, genannt.
Françoise Gilot wie die Gebrüder Fritz könnten durchaus zu den „Helden des Alltags“ gehören, in denen Stefan Krücken „die große Klammer“ des Programms seines 2007 gegründeten Verlags sieht: „Deswegen kommen bei uns Kriegsfotografen, Bergleute aus dem Ruhrgebiet oder alte Ordensschwestern zu Wort. Deswegen arbeiten wir aktuell an einem Buch über Feuerwehrleute, Polizisten. Über all diese Leute, die Großes im Kleinen tun.“
Sie interessieren die Leser. Die Bücher des kleinen Verlags, der seinen Sitz – oder „seine Weltzentrale“, wie Krücken spöttelt –, in Hollenstedt bei Hamburg hat, verkaufen sich gut.
Was auch damit zu tun haben mag, dass Stefan Krücken Verleger aus Verlegenheit ist. Als er und seine Frau Julia mit der Idee eines Buchs über alte Kapitäne bei den einschlägigen deutschen Verlagen vorstellig wurden, hatten sie sehr unerfreuliche Erfahrungen. „Wir haben dann gesagt, okay, machen wir es selbst. Meine Frau hat ihren Job gekündigt, wir haben einen Kredit aufgenommen. Die Leute haben uns für verrückt erklärt, eingeschlossen Freunde, die meinten, wir wären völlig bescheuert. Wie man in der heutigen Zeit nur einen Buchverlag gründen könne.“
Vorher war Stefan Krücken Reporter und seine Frau Julia Bildchefin bei Max. Als Nichtprofis, die sie im Verlagsgeschäft waren, einigten sie sich darauf ihre Bücher hochwertig zu produzieren, mit Leineneinband, umweltfreundlichem schwedischen Papier und schönen Details wie einem Buchbändchen. Sie wünschten sich ihre Bücher nachhaltig, inhaltlich wie gestalterisch. Ihre Idee kam an. „Das erste Buch, ‚Orkanfahrt‘, war direkt ein Spiegel-Bestseller“, sagt Stefan Krücken im Gespräch in Berlin. „Das hat es uns überhaupt ermöglicht weiterzumachen.“
Thema Kriegsfotografie
Das Buch, auf das gleich mein Blick fiel, als ich das erste Mal die „Venue West Berlin“, also die Belle Etage in der Bleitreustraße, besuchte, war „Bilderkrieger. Von jenen, die ausziehen, uns die Augen zu öffnen“. In diesem Buch sammelt der vielfach ausgezeichnete US-amerikanische Kriegsfotograf Michael Kamber Gespräche, die er mit seinen Kollegen an der Front führte. Die deutsche Ausgabe folgt der amerikanischen, die, wie Krücken sagt, „sehr auf den Irakkrieg fokussiert ist“, nur bedingt. „Gemeinsam mit Fred Grimm, der das Buch bearbeitet und herausgegeben hat, haben wir gesagt, dass wir das Thema Kriegsfotografie etwas allgemeiner halten wollen.“
„Bilderkrieger“ ist eine aktuelle Anthologie, die lange gefehlt hat. Denn selbst an Fotografie und Journalismus Interessierte kennen nur selten den Namen oder gar das Gesicht der Männer und Frauen, deren Bildern wir in den Medien tagtäglich begegnen. Anja Niedringhaus, durch ihren Tod 2014 in Afghanistan über den Kreis ihrer Kollegen und Auftraggeber bekannt geworden, spricht in dem Buch von einer unerwarteten Angst: der, dass es ihren Beruf in zehn Jahren gar nicht mehr gebe. Weil die Zeit dafür fehle: „Man kann viele Themen eben nicht in drei Tagen machen.“ Und sie spricht vom Vietnamkrieg-Veteranen Don McCullin – von dem es im Buch ein spannendes Porträt von Stefan Krücken gibt –: „Don McCullin ist jetzt mit 77 Jahren nach Syrien gegangen. Der hat eine bestimmte Art von Bildern vermisst: das tägliche Leben in der Zeit des Bürgerkriegs, den Alltag der Familien, die nicht geflohen sind oder fliehen konnten. Das kann ich gut nachvollziehen.“
Das Buch als Mission
Solche Bilder verschwinden gerne hinter denen von Terror, Grausamkeit und Tod. Sie sind die spektakulären, die schockierenden Bilder, die umstrittenen, die es zu so etwas wie einer Mission machen, dieses Buch zu verlegen, wie Stefan Krücken sagt: „Man hat an so ein Buch keine Erwartungen. Das darf man auch nicht haben, denn die Leute setzen sich mit dem Thema nicht gerne auseinander. Man besetzt das Thema, weil man glaubt, dass es wichtig ist. Das ist ein innerer Zwang, ein Bedürfnis diese Geschichten zu erzählen.“
Malte Herwig: „Die Frau, die Nein sagt. Rebellin, Muse, Malerin - Françoise Gilot über ihr Leben mit und ohne Picasso“. Ankerherz Verlag Hollenstedt 2015, 186 Seiten, 29,90 Euro
Michael Kamber: „Bilderkrieger: Von jenen, die ausziehen, uns die Augen zu öffnen. Kriegsfotografen erzählen“. Übersetzt von Fred Grimm. Ankerherz Verlag Hollenstedt 2013, 230 Seiten, 29,90 Euro
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