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Archiv-Artikel

„Paris ist das Vorbild“

Nach der zweiten Brandnacht in Huchting: Anwohner sind gelassen. Jugendliche locken: „Für 500 Euro kannst du’s brennen sehen.“ Der Sozialarbeiter sagt: „Viele finden es einfach geil, dass in Huchting mal richtig Action ist.“

Bremen taz ■ Das Feuer ist lange gelöscht, doch der Brandgeruch liegt noch immer in der Luft. Der Eingang zur alten Schule am Willakedamm ist völlig verkohlt, die umliegenden Fensterscheiben sind geborsten. Nur notdürftig hat die Polizei den Tatort mit rot-weißem Plastikband abgesperrt, ein paar Arbeiter vernageln die kaputten Fenster. Daneben hängt ein kleines, handgemaltes Pappschild. „Ciao Willake“ steht darauf zu lesen, eine 10. Klasse hat es hier hinterlassen.

„Das war nicht die letzte Schule, die brennt“, meint ein Hausmeister vom benachbarten Schulzentrum Huchting. Gerade eben war er an der ausgebrannten Schule – aus Neugier. „Grausam sieht es da aus.“ Das Gebäude hätte nicht leer stehen dürfen, sagt er. Doch wer jetzt vom „Paris links der Weser“ rede, übertreibe maßlos. „Huchting ist ein schöner Stadtteil“. Und überhaupt: „Es hätte auch anderswo brennen können“.

Aber es brannte hier in Huchting. In der Nacht zu Sonntag. Und in der zu Montag schon wieder. Sechs Müll- und ein Kleidercontainer gingen diesmal in Flammen auf. Hinweise auf die TäterInnen gebe noch nicht, sagt die Polizei. Eine Ermittlungsgruppe hat gerade erst ihre Arbeit aufgenommen.

„Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es Jugendliche waren“, so Polizeisprecher Dirk Siemering, Belege gebe es aber keine. „Wir werden uns nicht an Spekuklationen beteiligen.“ Mehr Polizeistreifen sollen nun den gebrandmarkten Stadtteil sicherer machen. „Huchting ist nicht Paris“, bekräftigt auch Siemering.

Die vier Jugendlichen an der Kirchhuchtinger Landstraße, sehen das anders: „Paris ist das Vorbild“, sagt einer von ihnen. Ihre Namen wollen sie lieber nicht in der Zeitung lesen. „Aber für 500 Euro kannst du’s brennen sehen.“ Auch hier, hundert Meter von der Schule entfernt, loderten unlängst die Flammen. Das Gras ist verkohlt, der Baum daneben auch. Schon ist von einem „Bekennervideo“ die Rede, das in Huchting die Runde machen soll. „Was zahlt die Presse denn dafür?“

Alle vier sind sie arbeitslos, und das Café, in dem sie sich sonst immer getroffen haben, ist auch geschlossen worden. Ihre Eltern kommen aus Afghanistan, der Türkei oder dem Iran. Doch aus Huchting wollen sie nicht weg, keine Frage. Sie sind schließlich hier aufgewachsen. „Ich wohne seit 20 Jahren hier“, sagt einer im akzentfreien Deutsch. „Ich kenne hier jede Ecke.“

Selbst die Zeitungsartikel über Huchting hat er sich aufgehoben. Vor Monatsfrist brannte es beim TuS Huchting, stand da zu lesen, und im Sommer brannten die Papierkörbe schon mal. Kein Problem für die vier Jugendlichen. „Solange niemand verletzt wird, sollen sie doch weiter machen“, sagt einer in Kapuzenpulli und Tarnjacke. „Ist doch nur Sachschaden.“

Auch Peter Stech ist seit fast 30 Jahren in Huchting unterwegs, als Sozialarbeiter im Jugendfreizeitheim. Vor zehn Jahren habe es hier noch drei Jugendtreffs gegeben, erzählt er, heute bleibe den Kids nur noch das Freizi. „Viele finden es jetzt einfach geil, dass in Huchting mal richtig Action ist.“ Aber politische Demonstration sei das keine. „Wer am lautesten brüllt, kommt am öftesten in die Medien.“ Das lockt natürlich. „Da sind viele Mitläufer dabei“, glaubt Stech. „Ich sehe jedenfalls keine marodierenden Banden mit 100 Jugendlichen.“

Das Leben in Huchtung geht weiter, von Ausnahmezustand keine Spur. „Nein“, sagt ein Rentner am Straßenrand und schüttelt den Kopf. „Ich habe keine Angst.“ Einst in Ostpreußen ist er aus der Hitlerjugend geflohen, jetzt lebt er schon seit Jahrzehnten in seiner Eigentumswohnung in Huchting. Irgendwie hat der alte Mann sogar Verständnis für die Randale. „Nur sollen sie keine Autos kaputt schlagen.“

Jan Zier