: Einer folgt dir, und er will dir Böses
HORRORFILM Effektives Gruseln, von Zynismus keine Spur: In David Robert Mitchells „It Follows“ werden Beziehungen toxisch wie Kredite. Und Teenager-Figuren werden unbedingt ernst genommen
von Thomas Groh
Schnell zerschlagene Teenieträume: Gerade noch war man mit dem Auto rausgefahren an diesen gewissen Ort, wo einen vor romantisch-entlegener Kulisse niemand stört, hatte Sex mit dem Jungen, der vielleicht ein bisschen sonderbar ist, aber beharrlich Avancen macht, und sinniert nun verträumt, während man im schmelzend-schönen Licht der Straßenlaterne badet, wie man sich das einst vorgestellt hatte, erste Liebe, romantischer Sex, jugendlicher Aufbruch, all diese „Bonnie & Clyde”-Dinge eben – und schon hat man chloroformgetränkten Stoff im Gesicht und erwacht an einen Stuhl gefesselt, in einem scheußlich kaputten, brutalistischen Betonparkhaus, entführt von jenem Jungen, dem man sich gerade noch anvertraut hatte. Und während er, Hugh (Jake Weary), sie, Jay (Maika Monroe), noch fahrig zuschwadroniert – er wolle ja nichts Böses – , geht auch schon die Panik mit ihm durch: Denn draußen schlurft mit einem Mal eine nackte Frau ans Gebäude heran, langsam, zielstrebig, bizarr anzusehen.
Hugh hat Jay beim Sex was angehängt. Kein Kind, keine Geschlechtskrankheit – einen Fluch, der an ihr haften bleibt. Es sei denn, sie hängt ihn per Beischlaf einem weiteren Menschen an. Ist dieser Mensch aber erst mal tot, fällt der Fluch eine Weitergabe-Generation zurück. Und der Fluch besteht darin, dass dir einer folgt und Böses will: Immer wieder taucht da plötzlich jemand auf, pirscht sich an, von den anderen unbemerkt. Die Gestalt ist wandelbar, das Tempo gemächlich. Groteske Auftritte – die Oma im Nachtrock auf dem Campus – sind rasch durchschaut, doch was, wenn die Erscheinung das Aussehen eines Vertrauten annimmt? Und wie verantwortbar ist es, unter solchen Bedingungen Sex zu haben? Jays Nachbarsfreund seit Kindertagen, der Prototyp des schmachtenden Zukurzgekommenen, bietet sich jedenfalls als Retter an, wie auch der virile, skeptische Womanizer.
Klingt nach okayem Horrorschmarrn, wird in den Händen von Regisseur und Autor David Robert Mitchell aber nicht nur bloß als Horrorfilm richtig gut, sondern wächst sich auch zu einer schönen Coming-of-Age-Meditation in kristallklaren und doch sonderbar entrückenden Digitalbildern über Jugend, Sex und Freundschaft aus. Kein Zufall: Mitchell kommt vom Indie-sensiblen Teenieslackerfilm (“The Myth of the American Sleepover”, 2010), dessen Koordinaten er nun in den Schwebezustand der Weirdness verlegt: Was ist das für ein Fluch, wo kommt er her, ist es vielleicht ein Geist, irgendein Stephen-King-Hokuspokus? Die Antworten bleiben aus, der lakonische Titel ist Programm: „It Follows”.
Eklig, flapsig, unsexy
Dass Mitchell die handwerkliche Finesse mitbringt, die es für atmosphärisch dichtes, effektives Gruseln braucht, ist die eine große Stärke des Films. Die andere, dass er im Tonfall erwachsen bleibt, seine Figuren also an keiner Stelle den zynischen Mechanismen des Durchschnitts-Teenieslashers preisgibt, sondern ihre Gefühle, Sorgen und Überforderungen ernst nimmt, besonders dann, wenn er die eingeschworene Schicksalsgemeinschaft, die sich rund um Jay bildet, ganz nebenbei so zeigt, wie Jugendliche oft sind, wenn sie in ihre neuen Körper und neuen Leben hineinwachsen – also nicht bloß als projizierter Inbegriff begehrenswerter Jugendlichkeit, sondern eben auch einfach mal auf nasepopelnde Weise eklig, flapsig, unsexy.
Gefilmt ist „It Follows” über weite Strecken in den ruinösen Vororten von Detroit. Sehr selbstverständlich bewegen sich Jay und ihre Freunde durch diese in Auflösung begriffene Welt, der sie sich schlussendlich Richtung Norden entziehen. Wenn man so will: Finanzkrisen-Gothic, gerade so, als ob auch der gesellschaftliche Verfall wie ein Fluch von einem zum anderen wandert – wie die ungedeckten Kredite, die stets noch eine weitere Runde in der abstrakten Zirkulationssphäre des HiTech-Kapitalismus drehen.
Hatte Ryan Gosling Detroit in seinem enttäuschenden Regiedebüt „Lost River” vor Kurzem noch auf hipster-kompatible Postkartentauglichkeit hin abgescannt, entwickelt die Stadt hier nun tatsächlich eine poetische, nie bloß dekorative Metaphernqualität: auch insofern, als „It Follows” nicht bloß davon handelt, wie soziale Bindungen toxisch werden und erodieren, sondern auch davon, ob – und falls ja: wie – sich noch im Moment dieser Erosion womöglich neue, solidarische Bündnisse bilden lassen. Das letzte Bild des Films sucht tröstende Hoffnung – nicht ohne den nagenden Restbestand des Unbehagens.
„It Follows“. Regie: David Robert MItchel. Mit Maika Monroe, Keir Gilchrist u. a. USA 2014, 100 Min.
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