: Die Krise aller
CHOREOGRAFIE Laut und nicht frei von Bewegungs-Klischees - Hofesh Shechter auf dem Festival Foreign Affairs in Berlin
von Astrid Kaminski
Es steht, im Spiegel der Tanzszene, mal wieder schlecht um den Menschen. In David Weber-Krebs’ „Balthazar“ (im HAU in Berlin) überlässt er, seinen Machtmissbrauch reflektierend, die Bühne einem Esel. In Ariel Efraim Ashbel & Friends Retro-Sci-Fi „The Empire Strikes Back“ (ebenfalls HAU) wird er zur Ausstattungsstaffage seines technoid reproduzierten Weltbilds: in seiner humanbiologischen Beschränktheit gerade noch gut genug, um als Puttenersatz eines römischen Brunnens dünne Wasserfontainen zu spucken. Im herrlich kompromissfreien Abgesang der Medientheoretikerin Felicity Colman zum Thema „Dreck“ (in den Berliner Uferstudios) versuppt er in den toxischen Ausdünstungen seiner materialisierten Informationsgeilheit.
Jüngst, bei Hofesh Shechters Uraufführung „barbarians“ im Rahmen des Festivals Foreign Affairs, scheitert er in erster Linie am Choreographen. Und weil der Choreograph das nicht nur explizit thematisiert, sondern sich selbst per Voiceover auch zum überpersönlichen Vertreter seiner Spezies macht, kann das nur ein Untergangsszenario sein.
Foreign Affairs hat Shechter bislang dreimal eingeladen in seinem auf Kontinuität setzenden Programm. Seit er bekannt wurde, befolgt der Choreograph ebenso kontinuierlich vor allem ein Prinzip: Ton voll aufdrehen (und gelegentlich abrupt abschalten). Wer immer die volle Dröhnung will, ist in seinen Stücken richtig. Und seit er der Barockmusik aus den Zeiten des Sonnenkönigs – also auch der Geburtsstunde des Balletts – verfallen ist, attackiert auch das Affektegeplänkel der Gamben die Trommelfelle.
Auch tänzerisch wird, auf der Palette des Eklektizismus zwischen ballettöser Achsenausrichtung und hüftgesteuertem Bouncen, alles gegeben. Schnelle, virtuose Wechsel bei gleichbleibenden Patterns, beatgesteuert wie nur was. Der Sound, vor allem Dubstep, zwingt die 15 TänzerInnen zur Verausgabung, peitscht sie meist gründlich aus – nur selten finden sie ganz in die Aufrechte zurück.
Herrschaftskritik mit den ästhetischen Mitteln des Gegenstands zu betreiben, ob Totalitarismus oder Militarismus, das ist bei Shechter ebenfalls eine Konstante. Der Rest ist Variation.
Das Liebesproblem
„barbarians“ ist dreigegliedert: „the barbarians in love“, „thE bAD“ und „Two completely different angles of the same fucking thing“. Für den ersten Teil stehen lockere weiße Hosen und Shirts, für den zweiten membranartige goldene Ganzkörperanzüge (Amanda Barrow), und für den dritten weiblicher Bürolook und männliche Lederhosengarderobe. Während letzteres deutlich auf das Narrativ — das eines ironischen Charaktertanzes zum Thema Paarkonflikt — verweist, ergeben sich in den ersten zwei Teilen nur vage Verweise auf den Inhalt.
Im Zusammenhang mit den oftmals geduckten, wie abgespulten Bewegungsabläufen lässt der weiße Teil an „Einer flog übers Kuckucksnest“ denken, der goldene an einen archaischen Futurismus. Dazu kommt das Licht im Stil von Suchscheinwerfern, die das Szenario im hohen, dunklen Bühnenraum in die Dimension eines kosmischen Determinismus überhöhen.
Als Ausgangspunkt dient dabei wahrscheinlich erstmal eine Midlifecrisis. Hofesh, was machst du da?, fragt eine Frauenstimme im Big-Sister-Stil. „I’m trying to make a dance piece“, ist die Antwort, die noch ergänzt wird durch ein paar Halbgedanken zur Liebe. Aber darauf lässt sich die Superfrau gar nicht ein: „Hofesh, be quiet“. Worauf das Überich des Choreographen nach einem Psychologen im Publikum fragt.
Im dritten Teil wird dann klar, warum das so schwierig ist mit der Liebe: Er und sie fühlen einfach nicht dasselbe. Ob das ungelöste Liebesproblem schuld am Titel ist? Zwei Millionen Jahre Menschheitsgeschichte und immer noch nicht die Liebe für alle?
Das als barbarisch zu bezeichnen, wäre ganz schön viel Pathos, aber nachvollziehbar.
Stigmatisierung des Raps
Schwieriger ist das immer wieder auftauchende Bewegungsidiom aus dem Rap- und HipHop-Kontext: Hüften vor, Schultern hinterher, ausgebeulte Schlenkerarme. Nicht, dass der körpersprachliche Gestus des Raps keine Kritik vertrüge. Wenn er aber als dominierender Bestandteil zum Thema Barbaren vorkommt, dann gerät das in Stigmatisierungsverdacht.
Wahrscheinlich ist das bei Shechter nicht so gemeint, und das Bouncing etc. ist in seinem postmodernen Bewegungspool nur etwas dominanter als zum Beispiel andere Taktier-Moves, die teilweise auch aus dem Sportkontext entlehnt sind. Und da der Cocktail der Bezüge eher assoziativ funktioniert — nach Mystikals „Tarantula“ wird die barocke Tarantella getanzt, „barbarian“ reimt sich auf „bavarian“ — , sind die „barbarians“ wahrscheinlich doch einfach alle. Hofesh Shechters Krise ist die Krise aller: Das Publikum dröhnt auf derselben Dezibel-Stärke zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen