AfD-Parteitag

Frauke Petry wird am Samstag in Essen mit 60 Prozent zur neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Wie weit rückt die Partei nach rechts?

Politik machen für Pegida

Machtkampf Auf dem Parteitag der AfD wird gebrüllt, gebuht und ausgelacht. Parteigründer Bernd Lucke kassiert eine deutliche Niederlage, aber lässt offen, ob er die Partei verlässt. Frauke Petry präsentiert sich als Zukunft der Partei und wettert gegen den Islam

Bernd Lucke überlegt eine neue Partei zu gründen.Der rechte Flügel um Frauke Petry hat den Machtkampf klar für sich entschieden Foto: Wolfgang Rattay/reuters

aus Essen von Sabine am Orde

Um zwanzig nach sechs steht Bernd Lucke auf, klappt den Laptop zusammen und verlässt das Podium. „Bernd, Du bleibst die Gallionsfigur der Gründerzeit“, hat Frauke Petry gerade gesagt und ihm damit eine weitere Demütigung zugefügt. Davon hat Lucke an diesem Samstag in der Essener Grugahalle einige einstecken müssen. Die Mitglieder haben ihm eine krachende Niederlage beschert. Die AfD hat Frauke Petry, die den rechten Flügel der Partei hinter sich versammelt hat, mit 60 Prozent zu ihrer neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Lucke hat gerade mal 38 Prozent der Stimmen bekommen. Das ist eindeutig. Luckes Zeit ist vorbei.

Das Klima in der Halle, in der sich 3.500 AfD-Mitglieder zur Entscheidungsschlacht um die Parteiführung versammelt haben, ist von Anfang an aufgeheizt. Viele haben sich Aufkleber auf die verschwitzten Kurzarmhemden und T-Shirts geklebt. „Weckruf nein Danke“ steht darauf. Den Weckruf hatte Lucke vor wenigen Wochen gegründet, um die AfD vor einem Rechtsruck zu bewahren. Implizit hatte der neoliberal-konservative Wirtschaftsprofessor, der im Europaparlament sitzt, damit gedroht, die Partei zu verlassen und eine neue zu gründen, wenn der Parteitag nicht in seinem Sinne entscheide. Nicht nur Kritiker warfen ihm Spaltung vor.

Als Lucke zum ersten Mal ans Redepult tritt, schallen laute Buh-Rufe durch die Grugahalle. Er muss warten, bevor er sprechen kann. Einige stehen auf und klatschen. Schon vor elf Uhr ist klar: Hier wird mit allen Mitteln gekämpft. Da werden Kurznachrichten mit Verhaltensanweisungen ans eigene Lager verschickt und Listen herumgereicht, wer gewählt gehört – vom Tagungspräsidium bis zum Schiedsgericht. Da wird gebrüllt, gebuht und ausgelacht. Ob wirklich deutlich mehr Petry Anhänger gekommen sind oder ob sie nur lauter schreien, weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Derart feindselig sei er zuletzt von der Antifa im Wahlkampf ausgepfiffen worden, sagt Lucke.

Ein typischer Lucke-Fehler

Anfangs versucht er das, was er gar nicht gut kann: Er streckt die Hand aus. Der Weckruf sei kein Zeichen der Ausgrenzung, sondern eine Einladung zum Gespräch gewesen, sagt er. „Weckruf raus“, schallt es, manche halten rote Karten hoch. Einen seiner Gegner spricht Lucke direkt an: Björn Höcke, den Thüringischen Landeschef, der nicht alle NPD-Mitglieder für rechtsextrem hält. Höcke habe in der Auseinandersetzung immer mit offenem Visier gekämpft. Dafür zolle er Respekt. Der Subtext ist klar: Andere, wie Petry, kämpfen anders, hinterhältig und intrigant. „Höcke, Höcke“, brüllen sie auf den Rängen. „Nazis raus“ schreit eine.

Dann dankt Lucke jenen Teilen des Bundesvorstands besonders, die ihm nahe stehen. Ein typischer Lucke-Fehler, integrieren kann er nicht. Petry grinst. Sie bedanke sich „ausdrücklich bei allen, egal, ob wir einer Meinung waren oder nicht“, sagt sie kurz darauf am Redepult. Die sächsische Fraktionschefin, die bisher die AfD mit Lucke und dem Publizisten Konrad Adam gemeinsam führt, fordert einen „respektvollen Umgang“ nach Monaten des mitunter verletztenden Streits.

Einen Rechtsruck in der Partei könne sie nicht erkennen. Die öffentliche Debatte aber habe oft „totalitäre Züge“. Meinungen würden schnell als „ausländerfeindlich und rechts“ diffamiert. Die AfD müsse mutig bleiben und inhaltlich stehen, auch wenn sie als rechts gebrandmarkt werde. Oft wird Petry von Applaus unterbrochen, manchmal von Buhrufen. Sie beendet ihre Begrüßung mit einem Seitenhieb auf Lucke, der als Egomane gilt: „Heute geht es gerade nicht ums ich, sondern ums wir.“ Kräftiger Applaus, keine Buhrufe.

Inhaltlich heizt Marcus Pretzell, NRW-Landeschef und enger Vertrauter Petrys, jetzt die Halle an. Die AfD sei nicht Anti-Euro oder Pegida-Partei. „Wir sind beides“ ruft er und dass die AfD beim Freihandelsabkommen TTIP nicht mit den USA ins Bett steigen und Russland mit Sanktionen überziehen dürfe. Dann sagt er: „Es geht um Systemkritik, ich benutze dieses böse Wort ganz bewusst.“ Lucke hatte genau davor gewarnt. Pretzell bekommt tosenden Applaus. Langsam wird klar: für Lucke wird es eng. Die Wahl eines Generalsekretärs ist längst von der Tagesordnung gestrichen - also der Posten, den Lucke unbedingt einführen wollte .

Petry steigt auf Pretzell ein. Sagt, dass der Islam mit seinem Staatsverständnis „uns völlig fremd und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar“ sei. Dass aktive Bevölkerungspolitik gebraucht werde. Und dass die Pegidademonstranten die Bürger seien, „für die wir Politik machen wollen“. Sie sagt, sie wolle auch wirtschaftsliberale Köpfe für ihr Team gewinnen, und dass die AfD eine „mutige, echte Alternative für Deutschland“ bleiben müsse.

Im Saal ist es heiß, 27,5 Grad sollen es sein, die Stimmung ist aggressiv. Die Wut der Afdler ist spürbar: Auf Flüchtlinge und Muslime, das Establishment, die EU. Und bei vielen auch auf Lucke.

Vielleicht ist diesem schon klar, dass er verlieren wird. Er sagt ein paar seiner typischen AfD-Sätze. Dann grenzt er sich von Pegida ab (“Wir haben nicht beschlossen, dass wir eine Pegida-Partei sind.“). Laute Buhrufe. Er warnt davor, billige Stimmungen zu erzeugen. Die Buhrufe werden mehr.

Der Tagungsleiter greift ein. „Wir wollen respektvoll miteinander umgehen und uns nicht mit Buhrufen überziehen.“ Das wird er noch häufiger sagen müssen.

Lucke warnt davor, Muslime auszugrenzen. Und sagt, dass Flüchtlinge, die Hilfe brauchen, diese auch bekommen müssen.

Endlich wird abgestimmt. Aus Skepsis gegenüber elektronischen Wahlgeräten mit Zetteln in geheimer Abstimmung. Das dauert.

Die Wut der Afdler ist spürbar: Auf Flüchtlinge und Muslime, das Establishment, die EU. Und bei vielen auch auf Lucke

Zwischendurch legt der Rechnungsprüfer seinen Bericht vor und empfiehlt, den alten Vorstand nicht zu entlasten.

Kurz nach sechs verkündet der Chef der Zählkommission Petrys Sieg. Sie lacht. Lucke gibt ihr die Hand. Unten, vor dem Podium, sagt er Journalisten: „Das ist weit weg von dem, was ich 2013 vorhatte mit der AfD.“ Jetzt wolle er mit den Weckruflern über das weitere Vorgehen beraten. „Schnelle Entscheidungen mache ich nicht.“ Anders als viele andere Weckrufler ist er am Sonntag noch da. Aber er deutet an, er könne die Partei bald verlassen.

Oben auf dem Podium rechnet Frauke Petry mit dem Weckruf ab, einen solchen Parteiverein dürfe es nicht mehr geben. Dann versucht sie Joachim Starbatty, wie Lucke Ökonom, Europaparlamentarier und Weckruf-Initiator, für eine Kandidatur als zweiter Vorsitzender zu gewinnen, sie will diesen Flügel nicht ganz verlieren.

Starbatty überlegt, dann lehnt er ab. Am Sonntag sagt er, die Entwicklung, die er am Samstag gesehen habe, gefalle ihm nicht. Für eine Pegida-Partei stehe er nicht zur Verfügung. Entscheidend für sein Nein aber sei der Umgang mit Lucke gewesen. „Einen Vorsitzenden auszubuhen, das geht nicht.“ Seine Entscheidung in der AfD zu bleiben, wird er überdenken. Später hört man, die fünf Europaabgeordneten, die den Weckruf gegründet haben, wollen am Montag eine Entscheidung bekannt geben.

Im Saal verkünden die ersten, die Partei verlassen zu wollen.

Dann geht die Wahl weiter: Jörg Meuthen, Vize-Landeschef aus Baden-Württemberg, der als wirtschaftsliberal gilt, sich selbst aber keinem Flügel zuordnet, wird zum zweiten Sprecher gewählt, ab Ende des Jahres wird er Petrys Stellvertreter sein. So sieht es die Satzung vor, die Lucke durchgesetzt hatte. Als Stellvertreter werden drei vom rechten Flügel gewählt.