: Hamburg wertet Gefahrengebiete aus
Bilanz Hamburgs Polizei erteilte im vergangenen Jahr massenhaft Aufenthaltsverbote in den Gefahrengebieten St. Georg und St. Pauli. Wie viele genau, präsentiert nun der rot-grüne Senat
Die Hamburger Polizei hat im Jahr 2014 im „Gefahrengebiet St. Georg“ 12.623 Personen überprüft – davon sind gegen 5.582 Überprüfte Aufenthaltsverbote ausgesprochen worden. Das geht aus dem Bericht des Hamburger Senats über diese Hamburgensie nach dem Polizeigesetz zur Datenverarbeitung hervor.
In sogenannten Gefahrengebieten, wie eines im Bahnhofsviertel St. Georg de facto seit 1995 besteht, sind verdachtsunabhängige Personen- und Blickkontrollen in Taschen durch Polizisten zulässig, die zu Platzverweisen und Aufenthaltsverboten führen können. Im „Gefahrengebiet St. Pauli“ sind im selben Zeitraum 3.158 Personen kontrolliert worden, von denen 2.864 mit einem Aufenthaltsverbot für das Rotlicht-Viertel belegt worden sind. Die Maßnahmen sind offiziell dazu da, die „öffentlich wahrnehmbare Drogenkriminalität“ einzudämmen. Kritiker sprechen dagegen von „Racial Profiling“, weil gezielt Leute mit schwarzer Hautfarbe von den Kontrollen betroffen sind.
Im Gefahrengebiet St. Pauli kommen noch diejenigen hinzu, die in dem etwas kleiner abgesteckten Terrain Pauli-Kiez wegen „allgemeiner Kriminalität“ ins Visier geraten sind. Hier sind nochmals 3.973 Personen überprüft worden, 1.327 davon erhielten ein Aufenthaltsverbot.
Diese Zahlen belegen, dass die Polizei das Instrument rege anwendet. Auch abgesehen von den 1.573 Personen, die von Polizeieingriffen im größten Gefahrengebiet aller Zeiten im Januar 2014 betroffen waren, als 80.000 Menschen nach angeblichen Attacken auf Polizeireviere für zehn Tage unter Generalverdacht gestellt worden sind.
Das Hanseatische Oberverwaltungsgericht hatte das Instrument des Gefahrengebietes im April als „verfassungswidrig“ eingestuft. Der Passus im Polizeigesetz lasse dem Vorsitzenden Richter Joachim Pradel zufolge „Normenklarheit und Bestimmtheitsgebot“ vermissen, die „Kerngrundrechtseingriffe“ rechtfertigen könnten.
Obwohl auch die Polizei-Justitiare Richter Pradel ausdrücklich um eine rechtliche Bewertung gebeten hatten, hält die Polizei seither unbeirrt an ihrer Praxis fest. „Das Urteil fußt derzeit auf einer Einzelfallentscheidung“, sagte jüngst die neue Revierleiterin der St.-Pauli-Davidwache, Cornelia Schröder, dem Internetportal st.pauli-news.de. „Bislang laufen hier auf St. Pauli alle Maßnahmen weiter wie zuvor.“ Sie befürworte auch weiterhin die Einrichtung eines Gefahrengebiets auf St. Pauli.
„Das kann die Polizei zwar so sagen“, sagt die grüne Innenpolitikerin Antje Möller. „Die Polizei darf aber nur verfassungskonforme Mittel anwenden.“ Eine Überarbeitung der umstrittenen polizeilichen Praxis will sie im Herbst auf die Tagesordnung setzen. KAI VON APPEN
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