Reichensteuer für SPD, Mehrwert für Union

Die Sozialdemokraten beharren auf Gegenleistung für höhere Konsumsteuer. CDU warnt vor „Erpressung“

BERLIN taz ■ Gestern Abend blieben Union und SPD noch drei bis vier Tage, um ihre große Koalition zum Erfolg zu verhandeln. Weil der Koalitionsvertrag Ende dieser Woche fertig sein soll, nehmen Kurzatmigkeit und Lautstärke zu. Nach der gestrigen Sitzung des SPD-Präsidiums stellte Partei-Vize Kurt Beck ausdrücklich die Verbindung her zwischen der Erhöhung der Mehrwertsteuer und der so genannten Reichensteuer. „Wenn das eine kommt, wird auch das andere unabdingbar sein, alleine wegen der Ausgewogenheit“, sagte Beck. Die Anhebung der Mehrwertsteuer, die die Konsumenten belastet, steht im Wahlprogramm der Union, die zusätzliche Belastung der Wohlhabenden bei der SPD.

Laut SPD-Wahlmanifest sollen Singles mit Jahreseinkommen ab 250.000 Euro und Verheiratete ab 500.000 drei Prozent mehr Einkommensteuer zahlen. Nach Einschätzung von Ökonomen würde der Staat dadurch zusätzliche Einnahmen von einer bis 1,5 Milliarden Euro jährlich erzielen. Einschränkend sagte Beck, dass es auch andere Instrumente gebe, um ein Zeichen in Richtung sozialer Gerechtigkeit zu setzen. Nach dieser im Vergleich zum bisherigen Verlauf der Verhandlungen deutlichen Ansage warnte CDU-Generalsekretär Volker Kauder vor „Erpressung“.

Roland Koch, Chefverhandler der Union in Sachen Finanzen, sagte, die Reichensteuer sei ein „grundfalsches Signal“. Ob er sich schließlich trotzdem dafür erwärmen könne, ließ Koch offen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) äußerte sich eher ge- wunden. Es gehe darum, dass durch Steuererhöhungen nicht zu viele Arbeitsplätze gefährdet würden.

Die Reichensteuer inspirierte gestern auch die öffentliche Diskussion. Weil die Polarisierung zwischen Arm und Reich zunehme, haben 26 kirchliche Verbände für die Neuausrichtung der Steuerpolitik plädiert. Diskutiert werden müsse etwa über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Luxusgüter oder eine Zusatzsteuer auf hohe Einkommen, sagte Kirchenrat Henry von Bose vom Diakonischen Werk Baden-Württemberg.

Ökonom Stefan Bach von Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) betrachtet die Reichensteuer mit einer gewissen Skepsis. Geringen Einnahmen stehe ein negativer Eindruck auf den internationalen Kapitalmärkten gegenüber. Das könne zu vermehrter Steuerflucht führen, so Bach.

Was die Bewältigung des Budgetdefizits von 35 bis 43 Milliarden Euro im Bundeshaushalt angeht, verlässt die Union mittlerweile ihre alte Verve. Einen verfassungskonformen Haushalt für 2006 aufzustellen sei „eher unmöglich“, meinte Roland Koch. Wie schon bei der rot-grünen Bundesregierung werden also die neuen Schulden höher liegen als die Investitionen. Dieses Missverhältnis widerspricht dem Grundgesetz.

Seit gestern überlegt die Unionsspitze, mit der SPD ein so genanntes Haushaltssicherungsgesetz zu beschließen. Darin könnte festgelegt werden, alle Ausgaben um einen einheitlichen Prozentsatz zu reduzieren.

HANNES KOCH