: Am Himmel über Berlin
STERNEGUCKEN Aus einem Haufen Kriegsschutt im Süden der Stadt wurde der Insulaner. Auf seiner Spitze thront seit 50 Jahren die Wilhelm-Foerster-Sternwarte
■ Der Namensgeber der Sternwarte auf dem Insulaner, Wilhelm Julius Foerster (1832–1921), war Astronom, Direktor der Berliner Sternwarte und als Wissenschaftsorganisator auch entscheidend beteiligt an der Einführung des metrischen Systems mit Meter und Kilogramm in Deutschland. Außerdem war Foerster 1888 Mitbegründer der Urania. Und – ganz gegen den Trend seiner eher nationalistisch gesinnten Zeit – Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft, der ältesten Organisation der deuschen Friedensbewegung.
■ Am Mittwoch, 30. Januar, feiert die Wilhelm-Foerster-Sternwarte auf dem Insulaner 50. Geburtstag und lädt dazu zu einem Festakt mit verschiedenen Veranstaltungen. Treffpunkt ist aus organisatorischen Gründen um 17 Uhr am Fuße des Insulaners im Planetarium. Munsterdamm 90. Der Eintritt ist frei. www.planetarium-berlin.de
VON JULIANE WIEDEMEIER
Wer an der Station Priesterweg aus der S-Bahn steigt, den erwartet der Charme einer Autobahnauffahrt: Breite Straßen, keine Fußgänger, die Busstation heißt schlicht „Endhaltestelle“. Am Straßenrand erhebt sich ein grüner Hügel – oder für Berliner: ein Berg. Wie jede bemerkenswerte Erhebung in dieser Gegend entstand er aus dem Schutt des Weltkriegs, der auf einen Haufen gekippt und danach begrünt wurde. Schulkinder gaben ihm den Namen Insulaner. Auf seiner Spitze thront seit nun fünfzig Jahren die Wilhelm-Foerster-Sternwarte. Ganz bewusst hat man sie gerade dort hingesetzt, wo sonst nicht viel ist. Denn wer Sterne beobachten will, der braucht es dunkel, auch in der näheren Umgebung.
Karl-Friedrich Hoffmann sucht den Lichtschalter. Der pensionierte Chemiker ist Vorsitzender des Vereins, der die Sternwarte und das dazugehörige Planetarium betreibt. Nun will er das Herzstück der Sternwarte präsentieren, das in einer ungeheizten Kuppel auf der Spitze des Insulaners steht. Endlich geht das Licht an, und da steht auf einem grünen Stativ der weiße Bamberg-Refraktor. Schon nach fünf Minuten Unterhaltung mit Herrn Hoffmann kann man sich nicht mehr vorstellen, einmal nicht gewusst zu haben, dass dies der Name des Fernrohrs ist. Der Mechaniker Carl Bamberg hat es 1889 in seiner Werkstatt in Friedenau gebaut, wie auf einer Plakette rund um das Okular vermerkt ist. Qualitätsarbeit. „Das Gerät funktioniert immer noch einwandfrei“, sagt Hoffmann.
Aus Ruinen geborgen
Einst stand der Refraktor in der alten Urania an der Invalidenstraße, die auch als Volkssternwarte diente. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er dort verschüttet und Anfang der 1950er Jahre von Hans Mühle geborgen. Der gehörte zu den sogenannten Straßenastronomen, die zwischen den Trümmerhaufen des Nachkriegsberlins ihr Fernrohr aufbauten und die Menschen für ein paar Pfennige mal durchgucken ließen. „Mühle hat den Refraktor aus dem ausgebombten Gebäude quasi unter Lebensgefahr geborgen – sonst wäre der verschrottet worden“, erzählt Hoffmann. In einem Offizierskasino in der Papestraße wurde er in mühevoller Kleinarbeit repariert und wieder in Betrieb genommen.
Doch der Standort hatte einen Haken: Aufgrund der Nähe zu dem Bahnhof, dem heutigen Südkreuz, war es viel zu hell und oft zu dunstig zum Sternegucken. Der verwaiste Hügel des gerade frisch entstandenen Insulaners kam da gerade recht. „Den Berg könnt ihr haben, aber Geld gibt es nicht“, soll der damalige Schöneberger Bezirksbürgermeister geantwortet haben, als man ihn um das Bauland bat. Dafür gab er den Astronomen noch den Tipp, sich um finanzielle Unterstützung bei der Lottostiftung zu bewerben. Da dies erfolgreich war, konnte die Sternwarte am 30. Januar 1963 eröffnet werden. Zwei Jahre später folgte das Planetarium am Fuße des Insulaners. Anders als in der Sternwarte kann man hier keine echten Sterne sehen. Die werden wie in einem Kino an die große kuppelförmige Leinwand projiziert.
Seit fünfzig Jahren steht der Bamberg-Refraktor auf dem Schöneberger Schuttberg. Stolz präsentiert Hoffmann nun, wie sich die Kuppel über ihm in der Mitte öffnen und drehen kann, damit man mit dem Fernrohr auch alle Bereiche des Himmels betrachten kann. Mit einem Seil lässt sich der fünf Meter lange Refraktor in Position ziehen. Da das Okular zum Durchsehen dabei manchmal in drei Meter Höhe landet, kann man eine kleine Treppe heranschieben und besteigen. „Sie ist eine Spezialanfertigung, damit auch bei viel Publikum jeder mal durchsehen kann“, erklärt Hoffmann.
Denn für viele Besucher ist die Sternwarte gedacht. „Uns geht es um Volksbildung“, meint Monika Staesche, die wissenschaftliche Leiterin. Vor allem Kitas und Grundschulen lassen sich regelmäßig in die Welt der Sterne einführen. Auch Vereinsmitglieder kommen, um mit dem eigenen Auge Sternenkonstellationen zu entdecken, die sie sonst nur aus Büchern kennen.
Die Wissenschaft gibt sich derweil längst nicht mehr mit einem alten Fernrohr auf einem Berliner Berg ab. „Heute sitzen die Fachleute in einem Büro und steuern über das Internet ein Fernrohr in der chilenisches Atacama-Wüste“, sagt Staesche. Dort herrsche völlige Dunkelheit und dank der großen Trockenheit an 300 Tagen im Jahr bester Himmel. „Der einzige Stern, den wir an vielen Tagen verlässlich zeigen können, ist der auf dem Europacenter.“
Das allerdings reicht vielen nicht mehr. Denn auch wenn Staesche und Hoffmann das im Jubiläumsjahr nicht gerne ansprechen: Die Anteilnahme an ihrer Einrichtung war schon mal größer. Wenn eine besondere Konstellation wie etwa der Venustransit im Sommer des vergangenen Jahrs ansteht, ist das Haus zwar voll. Ansonsten ist das Interesse eher mäßig. Wer sich für Astronomie begeistert, kauft sich ein eigenes Fernrohr und bekommt etwa in der Dunkelheit der Mark Brandenburg mehr Sterne vor die Linse als auf dem vergleichsweise hellen Insulaner. Überhaupt lässt das mit dem Sternegucken nach. „Astronomie ist nicht mehr so ein großes Thema wie etwa zum Boom der Raumfahrt,“ räumt Hoffmann ein. Und dieser Boom war in den sechziger Jahren.
Ein doppeltes Angebot
Trotzdem leistet sich Berlin bis heute gleich zwei Sternwarten und Planetarien. Die Doppelung mit dem Zeiss-Großplanetarium in Prenzlauer Berg sowie der Treptower Archenhold-Sternwarte ist ein Relikt der Teilung. „Die Zusammenlegung ist immer wieder ein Thema“, sagt Hoffmann. Gescheitert sei sie jedoch bislang an den unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen.
Während die Einrichtungen im Osten der Stadt dem Deutschen Technikmuseum zugeschlagen wurden, ist für den Insulaner der gemeinnützige Verein zuständig. Sechs feste Mitarbeiter und viele Ehrenamtliche halten den Betrieb aufrecht. Die Senatsverwaltung für Bildung finanziert die Bildungsangebote, das Bezirksamt alle notwendigen Sanierungen. Bei großen Investitionen hilft seit der Gründung immer wieder die Lottostiftung. Was mit ihrem Geld gebaut wird, geht in das Eigentum des Landes Berlin über. Dieses schließt wiederum den Vertrag mit dem Verein als Betreiber. Seit 2010 gibt es nur noch Jahresverträge. „Seitdem hängen wir in der Luft,“ meint Staesche. „Für längerfristige Projekte fehlt uns eine klare Ansage.“
Auf Nachfrage bei den zuständigen Senatsverwaltungen für Bildung sowie Kultur kommt heraus, dass alle Einrichtungen auf jeden Fall erhalten bleiben sollen. Allerdings sei man bereits seit Jahren in Gesprächen, was die Organisation und mögliche Synergien angehe. Spruchreif sei da jedoch noch nichts. „Wir wollen die Profile der einzelnen Häuser stärken und sie mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken“, sagt Diedrich Wulfert, Büroleiter des Staatssekretärs für kulturelle Angelegenheiten. Konkreter wird er nicht.
„Berlin ist groß genug für zwei solche Angebote“, meint Karl-Friedrich Hoffmann. Und legt noch nach, dass das Planetarium am Insulaner ja technisch viel moderner sei als sein Pendant in Prenzlauer Berg. 2010 wurde eine Beamer-Anlage installiert, die es ermöglicht, die komplette Kuppel mit Filmen zu bespielen. So kann man nicht nur durch die Milchstraße spazieren, sondern auch extra für dieses Format produzierte Filme ansehen. Das Angebot reicht derzeit von einer virtuellen Achterbahnfahrt bis zu einem Sechzigminüter, der „The Wall“ von Pink Floyd visualisiert. „Solche Angebote locken auch mal andere Besucher zu uns“, meint Staesche. Kein Planetarium in Deutschland könnte heute ausschließlich von Sternenshows leben. Bei seiner Sanierung in diesem Jahr soll allerdings auch das Planetarium im Ostteil der Stadt mit dieser Technik ausgestattet werden.
Mittlerweile ist es dunkel geworden, doch auch heute ist einer dieser Tage, an dem sich der Berliner Sternenhimmel hinter Wolken verbirgt.
Also schließt Hoffmann die Kuppel über den Bamberg-Refraktor, sucht wieder den Lichtschalter und schließt die schwere Eisentür zu. Den gewundenen Weg geht es bergab Richtung Planetarium. Von weitem sieht es aus, als habe man vor vielen Jahren die Kuppel des Berliner Doms in den Wald am Insulaner gelegt und dort vergessen. In ihrer Trostlosigkeit mag die Gegend an eine Autobahnauffahrt erinnern. Doch sie führt in entfernte Galaxien.