: Vergessener Widerstand
80 Jahre nach dem Jahr eins des „Tausendjährigen Reiches“ werden sie wieder hochgehalten, die Ikonen des Widerstands gegen die Nazis. Nicht alle freilich. Weil sie nicht aus dem Adel stammten, keine Militärs waren oder keine Universität besuchten? Oder weil sie zu früh Courage zeigten und damit diejenigen beschämten, die damals noch jubelten?
von Hermann G. Abmayr
Die Ersten, die gegen die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler aufstanden, benötigten nur einen Tag. Am 31. Januar 1933 legten Männer und Frauen aus dem 4.000-Seelen-Dorf Mössingen die Arbeit nieder und marschierten durch ihr Dorf. Vorneweg ein Transparent: „Heraus zum Massenstreik“. „Wäre diese Aufforderung zum Generalstreik befolgt worden“, heißt es 21 Jahre später in einem letztinstanzlichen Urteil des Landgerichts Stuttgart, „so wären diese Maßnahmen durchaus geeignet gewesen, das angestrebte Ziel zu erreichen“, die Regierung Hitlers „lahmzulegen und zum Rücktritt zu zwingen“.
Stauffenberg begrüßte Hitlers Machtübernahme
Das Urteil über den Schwaben-Streik gegen Hitler war ungewöhnlich in der Adenauer-Ära, der Zeit also des Kalten Krieges, der Wiederaufrüstung und der großen Legendenbildungen. Als Widerstandskämpfer wurden damals meist nicht einmal Wehrmachtsoffiziere wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg anerkannt. Der Hitler-Attentäter aus altem schwäbischen Adelsgeschlecht galt vielen immer noch als Verräter. Für die renitenten Mössinger Proleten hätte er nur Verachtung übrig gehabt. Er hatte die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 ausdrücklich begrüßt und sich vor lauter Begeisterung an der Ausbildung der Nazi-Schlägertrupps, der SA, beteiligt.
Verehrt hat die Mehrheit der Deutschen in den 50er-Jahren vor allem eine Propagandaerfindung von Josef Goebbels, einen Held des Ersten und Zweiten Weltkriegs: Erwin Rommel. Hitlers Lieblingsoffizier, der in Ostwürttemberg aufgewachsen ist, galt als Inbegriff des „guten, sauberen Soldatentums“. Einer der Drehbuchschreiber dieser Legende war der Schwabe Hans Speidel, Stabschef der Heeresgruppe B unter Rommel. Er adelte Rommel mit dem Titel Widerstandskämpfer und machte ihn zu einer Ikone der jungen Bundeswehr, nach dem Kasernen, ein Kriegsschiff und Straßen benannt wurden. Bundeskanzler Konrad Adenauer machte Speidel 1950 zu seinem militärischen Berater. Später wurde Rommels ehemaliger Stabschef einer der mächtigsten Militärs des westlichen Verteidigungspakts, Oberbefehlshaber der alliierten Landstreitkräfte in Mitteleuropa.
Rommel oder Stauffenberg? Das war damals die Frage. An die renitenten Mössinger Arbeiter war gar nicht zu denken. Auch der Handwerker Georg Elser sollte viele Jahrzehnte lang nicht geehrt werden. Der Mann, der ganz in der Nähe von Rommels Geburtsort Heidenheim aufgewachsen ist und es beinahe geschafft hätte, Hitler zu ermorden. Zwei Monate nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs und fünf Jahre vor den Attentätern des 20. Juli. Während es über Rommel und Stauffenberg zahlreiche Spielfilme gibt, hat es Elser bisher nur zu einem gebracht, die Mössinger zu keinem. Und der Rummel um Rommel will nicht aufhören. Erst im November des Vorjahrs fand in deutschen Wohnzimmern ein seltsames Rommel-Gedenken statt. Fast sieben Millionen Menschen verfolgten vor der Glotze die soundsovielte Verfilmung des großen Dramas. Nicht dass Regisseur Niki Stein Rommel erneut zum Widerstandskämpfer gemacht hätte, doch ohne positive Identifikation mit dem Helden funktioniert ein Drama nun einmal nicht.
Der Rommel-Mythos bringt Zuschauer; er verkauft sich gut. So war sich der Spiegel nicht zu schade, den Titelumschlag mit einem Propagandafoto aus der Nazizeit zu präsentieren. Die Generalstreiker aus Mössingen schafften es noch nie auf ein Spiegel-Cover. Warum auch? Für ein großes deutsches Drama sind die Mössinger Rebellen ungeeignet. 80 von ihnen landeten zwar wegen Landfriedensbruch im Knast, einige sogar wegen Hochverrat, doch es gab keinen Schuss, keine Märtyrer und keinen, der wie Rommel in den Tod gezwungen wurde.
Doch warum folgten nur wenige hundert Menschen dem Streikaufruf der KPD-Zentrale? Die SPD und die Gewerkschaften verordneten Ruhe als erste Bürgerpflicht. Und die KPD-Spitze hatte sich bei den Arbeitern selbst diskreditiert: Sie hatte bereits so oft erfolglos zur allgemeinen Arbeitsniederlegung gerufen, dass dies kaum mehr ernst genommen wurde. Zudem hatten sich die beiden Arbeiterparteien bis aufs Messer bekämpft. So beschimpfte die KPD die Sozialdemokraten als „Sozialfaschisten“, was die Spaltung der Linken noch vertiefte.
Die Mössinger Linken dagegen nahmen den KPD-Aufruf ernst. Und die Pausa-Arbeiter stimmten mit knapper Mehrheit für den Ausstand, obwohl sich ihr Betriebsratsvorsitzender dagegen ausgesprochen hatte, da keine Anweisung von oben vorlag. Schließlich gaben die Pausa-Chefs ihren Leuten nachmittags frei.
Der Schwaben-Streik gegen Hitler sei „kein Implantat gewesen, das dem ,Dorfkörper‘ gänzlich fremd gewesen wäre“, schreibt Bernd Jürgen Warneken von der Universität Tübingen im Vorwort zur Neuauflage des Standardwerks „Da ist nirgends nichts gewesen außer hier“. Warneken hatte es 1982 herausgegeben. Die Mössinger hätten trotz KPD-Rhetorik „tradierte Handlungsmuster bei ländlichen Rebellionen“ aufgegriffen. Das Thema, merkt Warneken kritisch an, sei bisher zu wenig erforscht worden. Das gelte auch für den Einfluss religiöser Denkmuster auf die Mössinger Blechtrommler.
Das Thema politischer Streik ist immer noch tabu
Die Frage nach politischen Streiks ist in Deutschland fast ein Tabuthema. Dabei sind sie in anderen europäischen Ländern durchaus üblich. Man denke nur an den 14. November des Vorjahres: In Griechenland, Portugal, Spanien, Zypern, Malta und Italien legten Millionen Menschen einen Tag lang die Arbeit nieder, um gegen die anhaltenden Kürzungen ihrer Löhne und Renten, gegen weitere Einschnitte im Gesundheits- und Bildungswesen und immer neue Sparpakete zu protestieren. Ein Streik gegen die Regierungen. Doch das passt genauso wenig in Angela Merkels „marktkonforme Demokratie“ wie die renitenten Montagsdemonstranten in Stuttgart oder die Menschen im Wendland, die sich seit vielen Jahren gegen das Atomlager in Gorleben wehren. „Dabei garantieren Verfassung und Völkerrecht mit der ,Koalitionsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen‘ (Art. 9 Abs. 3 GG) auch die Streikfreiheit“, sagte der Jurist und frühere Vorsitzende der IG Medien, Detlef Hensche, bei einem Vortrag 2012, der mittlerweile als Buchkapitel vorliegt. Folgerichtig habe ein von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) berufener Sachverständigenausschuss festgestellt, dass das hierzulande judizierte Verbot von politischen Streiks völkerrechtswidrig ist.
Die Mössinger hätten sich um diese Rechtsfragen nicht gekümmert. Schon im 19. Jahrhundert beschrieb der Pfarrbericht den im Ort vorherrschenden „Geist des Spottes und der Lästerung“. Zivilcourage war bei vielen von ihnen Bürgerpflicht. Ein Geist, der bei hohen Militärs wie Stauffenberg viel zu lange oder, wie bei Rommel, überhaupt fehlte.
Termine zum Generalstreik:
■ Am 31. Januar wird in Mössingen die Ausstellung „Mössingen, 31. Januar 1933“ eröffnet (www.moessingen.de). ■ Unter dem Motto „Politischer Streik hätte Hitler gestürzt und den Krieg verhindert“ ruft ein breites Bündnis für den 2. Februar um 14 Uhr zu einer Demonstration auf dem Mössinger Jakob-Storz-Platz auf (moessingergeneralstreik.wordpress.com). ■ Der Löwenstein-Forschungsvereins organisiert eine Veranstaltungsreihe zum Mössinger Generalstreik (initiative-loewensteinverein.de). ■ Das von Hermann Berner, Bernd Jürgen Warneken u.a. herausgegebene Buch „ ,Da ist nirgends nichts gewesen außer hier!` Das ,rote Mössingen` im Generalstreik gegen Hitler“ ist im Talheimer Verlag erschienen.