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Archiv-Artikel

Sachsen ist keine Modellregion

Ein Jahr mittelgroße Koalition: Die Wahlverlierer CDU und SPD loben zum Geburtstag fleißig ihren Politikabschnittspartner. Den Preis für Stabilität zahlt jedoch die SPD

DRESDEN taz ■ Am sächsischen Wesen kann die Politik genesen. Schon die CDU-Alleinregierung in Sachsen präsentierte sich gern als Musterknabe. In der Koalition mit der SPD ist es nicht anders.

„Was in Sachsen gut läuft, ist auch für Berlin gut.“ Die Fraktionsvorsitzenden Fritz Hähle (CDU) und Cornelius Weiss (SPD) überhäuften sich gestern zum einjährigen Bestehen der mittelgroßen Koalition mit Komplimenten. „Die Menschen im Land wollen keinen Parteienstreit, sondern dass es vorwärts geht“, nahm Hähle frühere Rechthaberei der CDU zurück. Sein Lob des Koalitionsvertrages, er enthalte „weiter keine Hemmnisse für die Entwicklung des Landes“, klang allerdings nach feiner Ironie auf Kosten der SPD.

Auf der Spitzenebene spielt niemand mit dem Gedanken an Neuwahlen, zumal die Umfragewerte für keine der beiden Parteien dies nahe legen. Die CDU war im September 2004 auf 41,1 Prozent abgestürzt, die SPD sank unter die 10-Prozent-Marke. Den Bundestagswahlkampf hat die sächsische Koalition erstaunlich gut überstanden.

Nur wenige Härtefälle konnte die SPD im Sommer vor einer Schulschließungswelle bewahren. Über die Erfassung der sexuellen Neigung von Schwerverbrechern oder die Pendlerpauschale kam es zum Krieg der Pressemitteilungen. Die CDU heftete sich wenig fair die Umwidmung von EU-Mitteln ans eigene Revers. Und Ministerpräsident Georg Milbradt kündigte kurz vor der Wahl an, die erwartete CDU-Politik im Bundesrat komplett durchzuwinken.

Die SPD schluckt viel, ging doch mit der Regierungsbeteiligung das Trauma von 14 Jahren Opposition in Sachsen zu Ende. „Trommeln gehört zum Geschäft“, bekundet Fraktionschef Weiss sogar Verständnis für starke Töne der CDU. Milbradts Satz in kleiner Runde, es laufe „im Grunde alles wie zuvor“, hat er nicht gehört. „Dresden ist wegen der unterschiedlichen Ausgangspositionen und Kräfteverhältnisse kein Testfall für Berlin“, sagte der Exrektor der Uni Leipzig im Sommer zur taz. Gestern kehrte er die Blickrichtung um: „Die große Koalition auf Bundesebene würde uns den Alltag in Sachsen sehr erleichtern.“

In Sachsen wie in Berlin droht den Koalitionären eher Gefahr aus den eigenen Reihen. Ministerpräsident Milbradt hofft noch immer auf die Einsicht seiner CDU, dass es „zur Politik in Dresden keine Alternative gibt“. Doch bei der Wahl zum Landesvorsitzenden am Sonnabend bekam er nur noch knapp 77 Prozent der Stimmen.

Starke Kreise um den Patriotismusprediger Matthias Rößler haben den Machtverlust noch nicht verkraftet. CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer betätigt sich gern als Heckenschütze, so gegen das Koalitionsprogramm für ein „weltoffenes Sachsen“. Zur Patriotismusdebatte bahnt sich übrigens der nächste Koalitionskrach an.

Aber auch die SPD muss ihren Chefaufklärer Karl Nolle gelegentlich daran hindern, mit Pressemitteilungen etwa zum Landesbank-Untersuchungsausschuss der CDU wie gewohnt schwer auf den Füßen zu stehen. Auffällig oft schwenkt der Blick vier Jahre voraus. 2009 – spätestens – wird neu gewählt.

MICHAEL BARTSCH