KINO AUS FRANKREICH Der Physis von Adèle Haenel verfällt„Liebe auf den ersten Schlag“, ein Spielfilm von Thomas Cailley: Die Kämpferinund der Vorsichtige
Begegnungsstätte Strand: Im französischen Kino kam es hier schon des Öfteren zu gleichnishaften Koinzidenzen. Gaspard trifft in Eric Rohmers „Sommer“ (1996) an einem Strand erneut auf Margot, bemerkt sie zunächst jedoch nicht. Ein unscheinbarer Moment, der doch zum Sinnbild für die komisch-tragische Beziehung dieser beiden jungen Leute wurde. Oder „Das grüne Leuchten“ (1986), wieder Rohmer, in dem Delphine sich an einem überfüllten Strand verirrt, Platz neben einer barbusigen Schwedin nimmt und als irritiertes, in sich verheddertes Geschöpf doch ziemlich verloren wirkt. Der Taumel geht nach jener Begegnung weiter, er überrascht auch nicht weiter, aber in der visuellen Schmelze zwischen Freizügiger und mit sich Hadernder findet Rohmer ein treffliches und schönes Strand-Bild.
Thomas Cailley versucht in seinem mit vielen Preisen ausgezeichneten Debütfilm „Liebe auf den ersten Schlag“ (der Originaltitel spart sich eine derartige Einsortierung und lautet schlicht „Les Combattants“, also „Die Kämpfer“) Ähnliches und lässt den Erstkontakt seiner beiden Hauptfiguren Madeleine (Adèle Haenel) und Arnaud (Kévin Azaïs) an einem Strand an der südfranzösischen Atlantikküste stattfinden. In der Nähe eines nicht weiter erwähnenswerten Kaffs macht die Armee hier nämlich zu Werbezwecken Station. Madeleine interessiert sich für die Armee, oder besser: Madeleine interessiert sich fürs Überleben und glaubt die Welt vor einem Abgrund – militärisches Spezialtraining hält sie für geeignet, sich auf eine bestimmt verschattete Zukunft vorzubereiten.
Arnaud kommt aus anderen Gründen an den Strand. Der junge Mann hat kürzlich seinen Vater verloren, gemeinsam mit seinem Bruder geht es nun darum, die Tischlerei weiterzuführen. Der erste Auftrag ist makaber: einen Sarg für den eigenen Vater zimmern. So ist der Strand für Arnaud eine Stelle im Außerhalb familiärer Kompliziertheiten. Er driftet mit seinen Freunden dorthin. Und mit ihnen sieht er auch das erste Mal Madeleine, die Kämpfende.
Er beißt sie
Ringen ist eine der Attraktionen, die der Camouflage-Truck vorgesehen hat. Und Madeleine befindet sich im Zentrum, steht im Kreis. Arnauds Freunde erlauben sich einen Spaß und schicken ihren Gefährten zu ihr. Er unterliegt der Stärke dieser Frau, kann sich durch ein unfaires Manöver jedoch befreien: Er beißt sie. Das ist die Strandbegegnung von Arnaud und Madeleine. Ein Kräftemessen, das Arnaud nichtso schnell vergisst. Und Madeleine?
Obschon Cailley seinen Film einigermaßen gleich unter seinen beiden Hauptfiguren aufteilt, ist doch bald klar, dass es Madeleine ist, die von Arnaud beobachtet wird. Vielleicht ist dieser Blick verzerrt. Wahrscheinlich ist aber auch der Regisseur dieser Madeleine verfallen, der Physis von Adèle Haenel. Und mit ihnen der Zuschauer. So ähnlich war es allen schon in „Water Lilies“ (2007) von Céline Sciamma ergangen – Sciamma, Counterpart und Zuschauer. Das Mädchen Marie war hier heimlich in Floriane (Haenel) verliebt,ein Idol, kühl und frühreif, Star der hiesigen Synchronschwimm-Truppe.
Haenel vermochte es, eine nicht weiter bewusst gemacht Zerrissenheit glaubwürdig zu spielen. Und es gelingt ihr auch in „Liebe auf den ersten Schlag“. In „Water Lilies“ wagte sich Marie vorsichtig in die Nähe dieser gefährlichen Floriane. In CailleysFilm nun ist es Arnaud. Dafür wird er zunächst, und es ist im Grunde ein sehr komischer Zufall, erneutmit Madeleine zusammengeführt.
Tauchen mit Ziegelstein
Denn das starke Mädchen lebt mit ihrer wohlhabenden Familie in einem Haus mit Pool und Garten. Und vor diesen Pool soll einPoolhaus gebaut werden – gezimmert von Arnaud. WährendArnaud also beschäftigt ist, ein Fundament zu gießen, klautMadeleine Ziegel des künftigen Häuschens, um damit ihren Körper für das Tauchtraining zu beschweren.
Es geht ums Kampfschwimmen, und Arnaud findet, Madeleine hat eine Meise. Ignorieren aber kann er sie nicht. Möglicherweise auch, weil diese Verrückte sich mit Vehemenz auf etwas vorbereitet, das für die meisten nicht gerade Teil gedanklicher Zirkulationen ist. Madeleine bereitet sich auf ein Leben vor, wenn nur noch die am Leben sind, die Überleben gelernt haben. Sie verschiebt sich selbst auf eine herbeigesehnte Katastrophe – und merkt es natürlich nicht. Arnaud, der seine Aufmerksamkeit auf sie richtet, dafür sehr wohl.
Er ist vorsichtiger in seinen Lebensentscheidungen, fast zaghaft, mehr intuitiv. Zu Madeleine jedenfalls zieht es ihn. Und das ist das Spannende, das Komische und sogar Romantische, das den Film ausmacht. Den Rest besorgen die beiden Schauspieler, die wunderbar sind und zu Recht für ihre Leistung mit einem César ausgezeichnet wurden. Und der Wald, in den sich die Handlung ab einem bestimmten Zeitpunkt verlegt.
Denn Arnaud folgt Madeleine in ein Bootcamp der Armee. Doch darum geht es in Wirklichkeit nur am Rande. Strand, Wald – das sind Topoi, mehr oder weniger geeignete Kulissen, vor denen sich etwas ausagiert. In „Liebe auf den ersten Schlag“ entsteht dabei eine große Hitze. Sie ist sogar so groß, dass der Wald Flammen fängt. Carolin Weidner
„Liebe auf den ersten Schlag“.Regie: Thomas Cailley. Mit Adèle Haenel,Kévin Azaïs u. a. Frankreich 2014, 98 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen