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Groove aus dem Metallbaukasten

KLANGKUNST Ein Abend voller Entdecker: Der Synthesizer-Veteran Charles Cohen, Instrumentenkonstrukteur Pierre Bastien und die javanischen Tribal-Punker Senyawa trafen am Mittwoch im Berghain aufeinander

Lässt die Klänge zu sich kommen: Synthesizer-Pionier Charles Cohen Foto: Roland Owsnitzki

von Tim Caspar Boehme

„Die Klänge kommen!“ Bei einem Konzert sollte das eigentlich keine große Überraschung sein. Doch die Ankunft der Klänge, die der Musiker Charles Cohen zu Beginn seines Auftritts am Mittwoch im Berghain verkündete, diente als Hinweis darauf, dass Klänge nicht einfach so vorhanden und abrufbar sind, sondern immer eine Frage des richtigen Moments, der eigenen Bereitschaft des Musikers, sie zu empfangen, womöglich „von weit weg“, um dann loszulegen.

Cohen, der in seiner Heimatstadt Philadelphia mehr als 40 Jahre lang unter Ausschluss einer größeren Öffentlichkeit gewirkt hat, bekommt jetzt endlich die Aufmerksamkeit, die seine strukturierten Synthesizer-Improvisationen verdienen. Der vom Free Jazz geprägte Musiker spielt bei seinen Auftritten seit den frühen Siebzigern einen Buchla Music Easel, einen kompakten Kasten, aus dem er auch an diesem Abend mit größter Ruhe und Konzentration seine Töne hervolholte, die wahlweise holzartig pluckern, metallisch klackern oder kristallin klingeln.

In der Musik Cohens passiert gleichzeitig sehr viel und sehr wenig. Viel, weil seine Patterns mit ihren mutierenden Klängen stetig im Fluss sind, er meditiert nicht stundenlang über einem Brummton oder ein und derselben Rhythmusfigur, sondern liebt quecksilbrige Abwechslung. Dabei hält er die Elemente stets übersichtlich, türmt sie nicht blindlings aufeinander, sondern lässt sie kaum merklich verschmelzen, um sie nach und nach wieder zu verabschieden. Seine Improvisationen folgen einer inneren Dramaturgie, in der alles seinen Platz findet – und das im passenden Moment.

In Philadelphia soll Cohen in seinen Konzerten oft nach zwanzig Minuten die Geräte wieder abgeschaltet haben, ganz gleich, ob er gerade mitten im Flow war oder nicht. Am Mittwoch spielte er zum Glück etwas länger als die angekündigte halbe Stunde, und zum Ende seines Programms lieferte er noch einen indirekten Kommentar zur permanenten Mutation in seiner Musik: „Wir sind eine Spezies von Entdeckern. Wir wenden uns dem Klang zu, um uns zu verwandeln.“ Ein angemessen kauziges Schlusswort.

Dass Cohen international überhaupt wahrgenommen wird, ist zu großen Teilen das Verdienst des in Berlin lebenden libanesischen Musikers Rabih Beaini. Ende 2013 war eine große Werkschau von Cohens Schaffen auf Beainis eigenem Label ­Morphine Records erschienen. Beaini war es auch, der den Abend, der ganz im Zeichen seines Labels stand, eröffnete. Mit Schlagzeuger Daniele de Santis mischte er analoge Synthesizerfrequenzen mit Perkussion wie der süditalienischen Tammorra, was nach anfänglichem Tasten in einen ausgeschlafen swingenden Jam mündete.

Jede Menge Schauwert bot der französische Instrumentenbastler Pierre Bastien

Weniger Swing, dafür jede Menge Schauwert bot der französische Instrumentenbastler Pierre Bastien. Seine eckige Konstruktion, die einem Metallbaukasten entsprungen zu sein schien, erfreute mit diversen Zahnrädern, Metallschienen und versteckten Tonabnehmern, mit denen Bastien nicht nur mechanisches Rattern, sondern auch präzise Rhythmen als Schlaufen spielte oder die Klänge seiner Trompete – mit Klarinettenmundstück – mal wie ein sehr heiseres Saxofon säuseln oder als Basstöne wie von einer Tuba summen ließ.

Um sich am Anblick von Bastiens rotierenden Gebilden zu erfreuen, musste man sie nicht einmal aus nächster Nähe betrachten. Ein Projektor warf ihre Umrisse wie bei einem Schattenspiel an eine große Leinwand. Dort erschienen in regelmäßigen Abständen auch geloopte Filmaufnahmen mit Gitarrespielern oder Gospelsägerinnen, deren Tonspur Bastien in seine repetitiven Suiten mit einbaute. Die rhythmische Synchronisation mit den übrigen Klangerzeugern schien ihn jedoch nur begrenzt zu interessieren, vielleicht um für zusätzliche Reibungsenergie zu sorgen. Die Technik simulierte bei ihm jedenfalls keine unerbittlich durchlaufende Maschine, sondern hatte ihre Imperfektionen gleich mit eingebaut.

An weniger apparathaften, dafür ebenfalls selbst gebauten Instrumenten spielte die Band Senyawa. Das Duo aus Java nutzt Stimme und traditionell anmutende Saiteninstrumente, die der Gitarrist Wukir Suryadi nach seinen Bedürfnissen angefertigt hat. Senyawa spielen eine anarchische Punkversion indonesischer Folklore, die mehr an Heavy Metal als an Weltmusik denken lässt, dazu singt Rully Shabara mit eruptivem Gesang, der von tiefstem Gurgeln bis zu engelhafter Ekstase reicht. Schöner hätte man die Vielfalt von Morphine Records nicht abbilden können.

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