Die Ära des Ohrenstöpsels

Auch Desertrocker werden mal älter. Auf ihrem neuen Album „Era Vulgaris“ ist die Stonerband Queens of the Stone Age noch dreckiger und noch tätowierter: alles in allem also noch besser

VON JENNI ZYLKA

Früher waren Ohrstöpsel was für Weicheier. Heute leuchtet beim Konzert der Queens of the Stone Age ein tätowiertes, glatzköpfiges Muskelpaket den bierversifften Boden minutenlang geduldig mit seinem Handydisplay ab, um das kleine gelbe Ding wiederzufinden, während oben Schlagzeugbreaks und psychedelische Gitarrenbretter gewittern. Man möchte eben die Ohren doch noch weiter nutzen.

Die Stoner- und Desertrockgemeinde im wüstenfreien Deutschland ist entsprechend kleiner als die in den USA. Aber sie funktioniert ähnlich: Männer in schwarzen, bedruckten T-Shirts stehen beim Berliner Konzert der bekanntesten amerikanischen Stoner-Band im Publikum, nicken im Takt mit den Köpfen und trinken Bier. Die Queens mit Sänger und Bandgründer Josh Homme aus Palm Springs, California stehen auf der Bühne und trinken zwischen den Songs ebenfalls Bier. Deutsches Bier. Sie testen ihr soeben erschienenes, neues Album „Era Vulgaris“ mit einem Clubkonzert.

Josh Homme ist der Grund, wieso bei den Queens eine Menge mehr Frauen im Publikum sind als bei seiner ebenfalls herausragenden Vorgänger-Band Kyuss, die sich vor zehn Jahren auflöste und bei der Homme nur Gitarre spielte, aber nicht sang: Er ist fast zwei Meter groß, klingt im Falsett genauso sexy wie in der normalen Stimmlage, und bei ihm ist alles tätowiert, sogar die Freundin. Neben Homme sehen Troy Van Leeuwen, seit fünf Jahren Gitarrist und Keyboarder bei den Queens, und der aktuelle Bassist Michael Shuman aus wie schwarzhaarige Zwerge.

Homme spielt „Sick, Sick, Sick“, die erste Single-Auskopplung vom neuen Album, ein typisches Queens-Stück mit hämmerndem, x-mal gedoppeltem Gitarrenriff, auf der Platte wurde es vom Strokes-Mann Julian Casablancas begleitet, der die lange Tradition der Queens an Gastmusiker und -sängern fortsetzt. „Das ist eine Möglichkeit, jemanden einzubeziehen, dessen Musik man respektiert“, sagt Troy Van Leeuwen dazu. Nicht nur auf Queens-of-the-Stone-Age-Platten werden Musiker getauscht – die gesamte Stoner-Szene ist eine Art Familienstammbaum, ganz unten bilden Kyuss und die Masters of Reality die Wurzeln, und bis heute entstehen immer wieder neue Blüten wie die Eagles of Death Metal, eines von Josh Hommes aktuellen Nebenprodukten.

„Era Vulgaris“, wie viele Werke der Queens in ein geschmackloses Cover gepackt, das laut Troy Van Leeuwen eine Hommage an überkandidelte Fünfziger-Jahre-Werbung sein soll – eine kaputte Cartoon-Glühbirne qualmt eine Zigarette und plaudert mit einer als Pirat verkleideten anderen Glühbirne – klingt dreckiger als die letzten beiden Alben. Instrumente und vor allem die Stimmen sind noch stärker verzerrt, Störgeräusche, Fiepen und reiner Lärm bilden den ständigen Hintergrund zum psychotischen Beat und dem für die Band typischen fetten Gitarrensound. „Das ist das Album, auf dem wir am meisten mit Sound herumexperimentiert haben“, sagt Van Leeuwen. „Sogar für uns ist das eine moderne Platte!“ Trotz wieder öfter eingesetztem, tief grummelndem Keyboard ist es aber straighter, rauer und vor allem knapper als „Lullabies to Paralyze“ von 2005. Die schnellen Songs sind, sowohl im Studio als auch live, martialisch und körperlich, das langsame „Into The Hollow“ mit seinen Slidegitarren, dem melodischen Bass und dem hohen, gefühlvollen Gesang erinnert an die voluminöse Psychedelia-Wucht von Cream. Dieser Song, das bestätigt Gitarrist Van Leeuwen, der seine Sonnenbrille frühestens in der Dämmerung abnimmt, steht im Zentrum der Absicht, verstärkt weibliche Fans anzusprechen. „Es ist eher eine Herausforderung für uns, unsere Musik tanzbar und hörbar zu halten, das Schreien auf ein Minimum zu reduzieren“, behauptet er.

Vielleicht hat der rothaarige Homme, dem man in seiner demonstrativen Coolness sogar die beginnende Bierschwammigkeit verzeiht, in seiner Babypause neue Seiten an sich entdeckt. Freundin Brody Dalle, böse guckende Frontfrau der US-Punkband The Distillers, brachte im Januar 2006 eine Tochter zur Welt, und schon vorher firmierte das Paar in der amerikanischen Boulevard-Presse als „Mr. und Mrs. Rock“.

Leise hören darf man trotzdem kein Stück auf „Era Vulgaris“. Weder das zynische „I’m Designer“ noch „Turnin On The Screw“, das mit einem gregorianischen Gesangsfetzen losgeht und klingt, als ob die Boxen durchgebrannt sind. Live spielen die Queens beim Testgig in Berlin als Zugabe den in den USA und Europa gleichermaßen großen „Feelgood Hit Of The Summer“ von 2002 mit seiner einzigen Textzeile, bestehend aus einer Lieblingsdrogenliste, und Homme intoniert über einen langen Solo-Schlagzeugteil launig und spontan: „Everybody knows you dance like you fuck / you dance like you fuck / you dance like you fuck/ everybody knows you dance like you fuck / so dance like you fuck with me“. Vielleicht keine große Poesie. Aber besser kann man’s nicht ausdrücken.

Queens of the Stone Age: „Era Vulgaris“ (Interscope/ Universal) Live: 28. 6. Köln, 4. 7. Berlin