Biokraftstoffe: Zwischen Tank und Teller

Biosprit hat Konjunktur, doch der Boom birgt Gefahren. Er könnte den Hunger in der Welt verschlimmern. In Brüssel suchen Fachleute nach Lösungen.

Blühende Landschaften durch Biodiesel? So einfach ist das nicht, wie sich mehr und mehr herausstellt. Bild: dpa

BRÜSSEL taz Die Debatten könnten spannend werden. Zwei Tage lang reden in Brüssel Energieexperten aus China, Indonesien, Malaysia, den USA, der Ukraine und einigen afrikanischen Ländern über Biotreibstoffe. Brasiliens Präsident Lula da Silva hält eine Rede. Die europäischen Gastgeber sind mit gleich drei EU-Kommissaren vertreten, die zeigen, wie vielschichtig das Thema mittlerweile auf europäischer Ebene wahrgenommen wird: aus außenpolitischer, energiepolitischer und handelspolitischer Perspektive. Die Außenkommissarin wird in ihrer Begrüßung betonen, dass "die Kommission garantieren will, dass Biotreibstoffe so hergestellt werden, dass sie unseren Planeten schützen, statt neue Risiken zu erzeugen".

Flüssigen Treibstoff aus Pflanzen gibt es derzeit in drei Varianten. So können unbehandelte Pflanzenöle (PöL) zum Beispiel aus Raps in Dieselfahrzeugen direkt eingesetzt werden. Auch altes Fett aus Fritteusen eignet sich als Treibstoff, was unter anderem auch die Fast-Food-Kette McDonalds in Großbritannien jetzt nutzen will. Allerdings müssen für diese Variante die herkömmlichen Motoren umgebaut werden.

Anders beim sogenannten Biodiesel, der erst durch chemische Behandlung (Umesterung) zu Diesel wird. Dieser wird mittlerweile in Deutschland zu gut 4 Prozent dem konventionellen Diesel aus Mineralöl beigemischt. Auch für Benzinmotoren gibt es eine pflanzliche Alternative. Aus Zuckerrüben, Getreide oder Kartoffeln wird durch Gärung und Destilation in großen Industrieanlagen Bio-Ethanol, der dann in unterschiedlichen Mengen dem Benzin beigemischt wird. Ein Anteil von 15 Prozent ist auch bei serienmäßigen Motoren möglich, für höhere Konzentrationen wie zum Beispiel die derzeit in Skandinavien getesteten 85 Prozent oder die 100 Prozent in Brasilien sind technische Veränderungen nötig.

Noch in der Entwicklungsphase sind derzeit die Biokraftstoffe der zweiten Generation, die sogenannten BtL(Biomass-to-Liquid)-Kraftstoffe. Bei diesem Verfahren können auch feste Pflanzen oder -teile, wie Brennholz, Stroh, Bioabfall, oder Tiermehl als Rohstoffe genutzt werden.

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Das klingt naheliegend, spielte aber bislang bei der Biodiesel-Debatte kaum eine Rolle. Noch Anfang Januar sangen auf der Grünen Woche in Berlin Vertreter der Agroindustrie, deutsche Grüne und die europäische Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel gemeinsam ein Loblied auf den Biosprit. "Der europäischen Landwirtschaft bietet sich dadurch eine hervorragende Gelegenheit, zur Bewältigung einer der größten Herausforderungen beizutragen, mit denen die Europäische Union gegenwärtig konfrontiert ist", jubelte die dänische Kommissarin. Und Bauernvertreter Sonnleitner startete mit dem Slogan "Kornkraft statt Kernkraft" eine neue Karriere als Werbetexter.

Am 10. Januar hatte die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, wonach ein Agrardiesel-Anteil von 10 Prozent im Sprit bis 2020 verbindlich gemacht werden soll.

"Biokraftstoffe sind saubere, erneuerbare Brennstoffe, die aus organischem Material hergestellt werden. Zudem können Arbeitsplätze und neue Märkte für die Agrarerzeugung geschaffen werden. () Biodiesel und Bioethanol könnten Diesel und Benzin weitgehend ersetzen. Sie können heute zum Betrieb herkömmlicher Fahrzeugmotoren verwendet werden", behauptete die Kommission in ihrer Mitteilung. Zwar ergäben sich aus bestimmten Herstellungsverfahren neue Umweltprobleme. Doch die ließen sich lösen durch "die Einführung eines Systems von Anreizen und Fördermitteln für die Entwicklung von Biokraftstoffen der zweiten Generation".

Europäische Agrarproduzenten sehen rosige Zeiten auf sich zukommen. Raps und Genmais, so weit das Auge reicht. Intensivdüngung und Pestizide nach Gusto, denn das Endprodukt wandert nicht auf den Teller, sondern in den Tank. Ein Gutachten der europäischen Gaswirtschaft scheint die kühnsten Hoffnungen zu bestärken: Während europäische Bauern mit der Milcherzeugung jährlich 9 Milliarden Euro umsetzen, könnte der Umsatz auf dem Biogasmarkt jährlich 15 Milliarden betragen.

Mitte Januar zogen die europäischen Grünen in Brüssel die Notbremse. "Bauernverband im Treibstoff-Delirium", spottete der deutsche Biobauer und EU-Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Zwar werde durch den Anbau von Grünpflanzen CO2 in Zucker und Sauerstoff umgewandelt. "Aber die gegenwärtigen landwirtschaftlichen Praktiken beim Anbau von Mais, Getreide, Zuckerrohr, Palmöl und Soja für die Herstellung von Treibstoffen basieren vollständig auf Mineralöl. Energiebilanzen rechnen weder den Transport der Energieträger noch Belastungen der Umwelt oder Ernährungssicherheit ein."

Industrialisierte Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion gehörten zu den weltweit größten Energieverbrauchern. Dünger, chemische Zusätze, der Einsatz von Maschinen, Bewässerung, Trocknung, Verarbeitung und Transport führten zu einer verheerenden Energiebilanz. Zudem entstehe eine ernsthafte Konkurrenz für die Lebensmittelproduktion. Diese Frage sei auf europäischer Ebene noch gar nicht durchdacht worden. "Die Europäische Kommission sollte eine genaue Prüfung der Auswirkungen auf Ernährungssicherheit durchführen, bevor die vorgeschlagene Richtlinie zu pflanzlichen Treibstoffen umgesetzt wird. Die EU sollte keine verpflichtenden Prozentzahlen zur Ersetzung von Erdöl durch pflanzliche Treibstoffe vorschreiben, da dies keine Reduzierung des Kraftstoffverbrauchs insgesamt haben würde."

Mit der provokanten Frage "Essen oder Tanken?" versuchten die europäischen Grünen die euphorisierende Wirkung der flotten Sprüche von Sonnleitner und Fischer Boel zu dämpfen. Sie holten Lester Brown vom Earth Policy Institute in Washington nach Brüssel. Seine Zahlen aus den USA zeigen, wo die Entwicklung auch in Europa hingehen könnte: Der hohe Ölpreis macht die Ethanol-Produktion aus Mais und Weizen finanziell attraktiv. Derzeit gibt es in den USA 116 Ethanol-Destillerien, die jährlich 53 Millionen Tonnen Getreide verarbeiten. 79 weitere Anlagen sind im Bau, 200 in der Planung. "Das steigert den Getreidebedarf für Destillerien auf 139 Millionen Tonnen - die halbe für 2008 prognostizierte Ernte in den USA", sagt Brown voraus.

Die Auswirkungen zeigen sich schon jetzt. In Mexiko gingen Hausfrauen auf die Straße, um in "Tortilla-Demonstrationen" gegen gestiegene Maispreise zu demonstrieren. Unterstützung kommt von unerwarteter Seite: Willem-Jan Laan vom Lebensmittelkonzern Unilever klagte kürzlich auf einem Bioenergieforum, dass gestiegene Grundstoffpreise seinem Unternehmen bereits jetzt jährliche Umsatzeinbußen von 500 Millionen Euro brächten.

Alexander Müller, der in der rot-grünen Bundesregierung als Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium saß, arbeitet jetzt als Leiter der Abteilung Natürliche Ressourcen und Umwelt bei der FAO. Er will genau dieses Thema auf der Brüsseler Konferenz zur Sprache bringen. "Wer von Biotreibstoffen redet, wird die Frage beantworten müssen, wie 850 Millionen hungernde Menschen heute und morgen ernährt werden können und zusätzliche 3 Milliarden in naher Zukunft. Wir brauchen eine Strategie, die verhindert, dass die Energieversorgung für den reichen Norden zu einem zusätzlichen Ernährungsproblem für den armen Süden wird."

Die Frage ist nur, wie diese Strategie aussehen könnte. Präsident Lula wird sich die Bedenken von Ernährungs- und Umweltexperten zwar anhören. An seinem Plan, die Zuckerrohrproduktion bis 2014 von bisher 6 auf 9 Millionen Hektar auszudehnen, wird er dennoch nicht abrücken. Warum sollte er auch. Mit der Ethanolproduktion kann Brasilien gleich mehrere Probleme auf einmal lösen: Es kann die Abhängigkeit von Ölexporten reduzieren und Devisen einsparen. Während in Europa die Kosten für die Ethanolerzeugung aus Zuckerrüben oder Getreide so hoch sind, dass erst bei einem Ölpreis von 80 bis 100 Dollar pro Barrel die Produktion rentabel wird, rechnet sich in Brasilien eine Anlage bereits, wenn der Ölpreis 35 Dollar erreicht hat.

Schon jetzt kann Brasilien 40 Prozent seines Spritbedarfes durch Treibstoff aus Zuckerrohr und Soja decken. Die Ökobilanz allerdings fällt verheerend aus: 80 Prozent der Treibhausgase des Landes entstehen dadurch, dass Regenwaldflächen für Zuckerrohr- und Sojaplantagen gerodet werden. Indonesien plant, seine ähnlich rentable Palmölproduktion auf 20 Millionen Hektar auszudehnen, was der gesamten Urwaldfläche des Landes entspräche.

Alexander Müller ist überzeugt, dass sich das Problem nur auf internationaler Ebene lösen lässt. "Die Bioenergiefrage wird im Rahmen der WTO eine immer wichtigere Rolle spielen. Wir brauchen nicht nur faire Agrarmärkte, sondern auch globale faire Märkte für Energie." Dabei müsse Nachhaltigkeit ein wichtiges Kriterium sein "Wie werden Boden und Wasser durch Pestizide belastet? Fällt die CO2-Bilanz positiv aus?" Das sind die Fragen, die Müller beantwortet haben will. Der freie Markt werde das nicht leisten.

Aber man dürfe sich auch auf der internationalen Ebene, im Rahmen der WTO oder des G-8-Prozesses, keine Wunder erwarten. Deshalb baut Müller in einem ersten Schritt auf Selbstverpflichtungen der Produzenten. "Internationale Konzerne haben mittlerweile erkannt, dass ein Imageproblem entsteht, wenn sie nicht nachhaltig produzieren und keine nachhaltigen Energieträger nutzen. Darauf kann man aufbauen."

Das setzt aber voraus, dass Konsumenten erkennen können, welche Energiebilanz hinter einem Produkt steckt und wie der Biosprit produziert worden ist, den sie in ihren Tank füllen. "Biokraftstoffe grundsätzlich abzulehnen ist falsch. Der Zielkonflikt zwischen Klimaschutz, Ernährungssicherheit und Naturschutz ist lösbar", schrieb die deutsche Grüne Bärbel Höhn Anfang Februar in einem offenen Brief an Parteikollegen Graefe zu Baringdorf. Allerdings müsse eine strenge Zertifizierung sicherstellen, dass bei der Herstellung keine Umweltschäden und keine Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion entstünde. Die Konferenz in Brüssel wird zeigen, ob die internationalen Partner für die Sorgen der Europäer Verständnis aufbringen.

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