Fotokunst: Pech für die Niederländer

Trotz Nebel und dunkler Wolken: Die 7. Foto-Triennale Esslingen setzt auf hintergründige Beiträge zum Thema "Identität/ Identitätskonstruktion/ Heimat"

Jürgen Schadeberg: "Drum Cover 2, Mai 1958" Bild: villa merkel

Eigentlich knüpft Andreas Baur mit der 7. Internationalen Foto-Triennale Esslingen und ihrem Thema "Identität/Identitätskonstruktionen/Heimat" direkt an die vorangegangene Ausstellung der Villa Merkel an. "Brave Lonesome Cowboy. Der Mythos des Westerns in der Gegenwartskunst" hieß die Schau, die der Leiter der Galerien der Stadt Esslingen anlässlich seines 100. Geburtstags John Wayne zu Ehren konzipierte. Wie keine andere Landschaft repräsentiert der Westen Nordamerikas die Schönheit und das Versprechen auf Glück und Freiheit der Neuen Welt. Wenig verwunderlich, dass der Western, der vor diesem Ur- und Sehnsuchtsbild spielte, schließlich als eine Art Stiftungsmythos der Vereinigten Staaten Karriere machte. Heimat und Identität waren hier, wie anderswo auch, eine Konstruktion; eine mediale Erfindung der Literatur, vor allem aber der Fotografie und des Films. Beispielsweise verdankt Ansel Adams (1902-1984) seine Stellung als Nationalheiliger der amerikanischen Fotografie seinen Aufnahmen der sakralen Landschaften New Mexikos und der Sierra Nevada.

An sie erinnern denn auch die riesigen Schwarzweißabzüge der Schweizer Fotografin Cécile Wick, in denen sie die heimatlichen Alpen für ewig erklärt, obwohl man beim genaueren Studium der Bilder durchaus die Umweltschäden, das Zurückgehen der Gletscher oder das Absterben größerer Waldflächen zu erkennen meint. Liegt es an ihrer überwältigenden, majestätischen Größe, dass es undenkbar scheint, den Zustand äußerster ökologischer Fragilität, der den Bergen zugeschrieben wird, für wahr zu halten? Aber wahr ist diese Feststellung ja auch nur aus unserer Sicht. Wick scheint nun in ihrem bewusst distanzierten Aufnahmestandort eine transhumane Perspektive einzunehmen, in der die schwerlastenden Nebel und dunkeldräuenden Wolken darauf verweisen, dass schon ganz andere Kräfte diese Bergwelt zerzausten. Beschädigt hat das die Bergwelt nicht, nur verändert, in ihrer Form, ihrer Vegetation und ihrer Tierwelt. Freilich sah zu diesen Zeiten niemand in ihr Heimat, gar Schweiz.

Sarah Jones: "The Bedroom (I)" Bild: villa merkel

Eine ähnlich leise Ironie ist auch in den Arbeiten der anderen Fotografen zu entdecken. Der Holländer Jan Koster beobachtete etwa von seinem Apartment aus einen Sommer lang seine Nachbarinnen in ihren Wohnungen. Nun weiß ja die ganze Welt, dass die Niederländer nichts zu verbergen und daher keine Vorhänge oder Jalousien vor den Fenstern haben. Allerdings, so nimmt man an, haben sie auch nichts zu schauen, derart pietistisch sittenstreng leben sie schließlich hinter ihren offenen Fenstern. Koster scheint diese Annahme in seiner streng seriellen Fotofolge zum Glück zu widerlegen. Denn die Kleinformate, die den Rundgang durch die Foto-Triennale eröffnen, lassen in den Nachbarfenstern eine ganze Reihe attraktiver junger Frauen erkennen, die in halbnacktem Zustand durch ihre Wohnungen schwirren. Zum Pech für die Niederländer nimmt man Koster die Sache nicht ab. Denn die Frauen scheinen zu posieren, die Situation scheint inszeniert. Was also nun?

Die 7. Internationale Foto-Triennale Esslingen setzt also auf Beiträge, die eher hintergründig mit ihrem Programm korrespondieren. Das Wissen um die Konstruiertheit von Heimat und Identität ist ja längst schon ein Gemeinplatz. Da lohnt es mehr, Arbeiten vorzustellen, die mit unbefangenem, aber genauem Blick solchen Aspekten hinterherforschen, die gerne übersehen werden. Sei es, weil sie schon zu alltäglich sind; sei es, weil sie - da zu neu - noch nicht alltäglich genug sind; sei es, weil sie - da historisch - schon lange nicht mehr alltäglich sind. Nevin Aladags Video der "Familie Tezcan" (2001) zum Beispiel handelt von einer gerade neu entstehenden, hybriden Form kultureller Identität. Der rundliche, stämmige Vater der türkischen Gastarbeiterfamilie ist ein begnadeter Breakdancer, dessen Begeisterung für Hiphop auch seine Frau und Töchter angesteckt hat. Die aber mischen dem Breakdance ganz ungeniert orientalischen Bauchtanz oder Tabledance à la Britney Spears unter. Obwohl Nevin Aladag, selbst in der Türkei geboren und in Deutschland aufgewachsen, diesen Mix aus arabischer Folklore und westlicher Popkultur als private Obsession der Familie Tezcan dokumentiert, macht ihr Video deutlich, dass dort, wo Orient und Okzident aufeinandertreffen, diese Verschmelzung allgemeiner Trend ist.

Nevin Aladag gehört zu den Entdeckungen, die auf der Foto-Triennale zu machen sind. Denn anders als Richard Billingham, Teresa Margoles, Santiago Serra oder Francis Alýs, die ebenfalls vertreten sind, muss sie selbst informierten Beobachtern der Kunstszene kein Begriff sein. Mit der Mischung von Newcomern und bekannten Namen betreibt nun die Triennale ihrerseits eine Identitätskonstruktion als Ausstellung von internationalem Format und zeitgenössischer Aktualität. Billingham, Margoles, Serra oder Alýs garantieren das internationale Niveau, die Jahrgänge 1970 bis 1980 wie Nasan Tur, Anette Merrild oder Christoph Balzar stehen für Aktualität. Allerdings bilden für die 7. Foto-Triennale auch die historische Verankerung und der geografische Schwerpunkt einen wesentlichen Teil ihres Identitätsprogramms. Daher finden sich in der Ausstellung jeweils ein Fokus auf Südafrika und Mexiko, wobei mit den Aufnahmen, die Jürgen Schadeberg in den 50er-Jahren in Sophiatown in Johannesburg machte, die dokumentarische Fotografie und mit dem von Tatiana Cuevas kuratierten Mexiko-Kabinett die fotografische Sammlung als spezifische Form der Erinnerung ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.

Für ihre historische Recherche mexikanischer Stereotypen, die die Fotografie von Anfang an feierte und verbreitete, um heute endlich von einer jungen Fotografengeneration wieder aufgenommen und destruiert zu werden, nutzte Tatiana Cuevas vor allem die Fotosammlung des berühmten mexikanischen Malers Francisco Toledo, der 1996 in Oaxaca de Juárez das Centro Fotográfico Álvarez Bravo gründete. Ihr knapper, aber präziser Überblick reicht von der anonymen Aufnahme einer stolzen Tehuana aus dem Jahr 1865 über die Prostituierten, die Henri Cartier-Bresson 1934 aufnahm, oder Lola Álvarez Bravos weiblichen Akt von 1950 als Symbol von Ursprünglichkeit bis zu Antonio Turoks "Zapatista Woman", die 1994 unter ihrer Strumpfmaske anonym bleibt. Beispiele aus aktuellen Projekten komplettieren diesen Überblick, etwa Daniela Rossells "Rich and Famous"-Serie, in der sie die wirtschaftliche und politische Elite des Landes im surrealen Ambiente ihres jeweiligen Heims bloßstellt.

Diese sorgfältig erarbeiteten Abstecher geben dem postmodernen Thema der Konstruktion von Identität den notwendigen politischen und historischen Hintergrund, und damit gelingt der 7. Internationalen Foto-Triennale Esslingen, was die documenta 12 in Kassel programmatisch anstrebt, aber in der Praxis eher verfehlt: der selbstreflexive, aufklärende Blick auf die ästhetische wie gesellschaftspolitische Geschichte des eigenen Ausstellungsprojekts. Es kann also nicht schaden, sich zunächst mit dem Cowboy zu beschäftigen. Er erzählt eben schon über eine ganze Menge über die berühmt-berüchtigte (Documenta-Idee einer) Migration der Form.

Bis 23. September; Katalog (Verlag für moderne Kunst Nürnberg) 30 Euro

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war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.

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