Bayreuth (3): Heiß und wieder deutschtümelnd

Keine Karten bekommen? Trösten Sie sich. Hier zwei Argumente, sowieso lieber zu Hause zu bleiben.

Das Festspielhaus: Schwitzbad des Nationalgefühls Bild: dpa

Es ist viel zu heiß! Dass Wagner Musik geschrieben habe, die schwitzt, hatte man von Nietzsche-Lesern kolportiert bekommen, was das bedeutet, aber nie so recht kapiert. Leichter erschließen lässt sich, dass Bayreuth eine schweißtreibende Angelegenheit ist. Auch fürs Publikum - das wissen alle spätestens seitdem Angela Merkels zum Gruße erhobener Arm dunkellachsfarbene Achseln preisgab.

Das liegt gewiss auch an der Jahreszeit, der warmen, die ein unseliges Bündnis mit der Festspielhaus-Architektur eingeht. Alle Wände sind holzverkleidet, damit weder Schall-Wellen noch Wärme-Wallungen entweichen. Sie sitzen in Reihen, dicht an dicht, im Winter wäre das so richtig kuschlig. Und dann kommt die Musik, beziehungsweise das Gesamtkunstwerk, komponiert aus wirrer Bühnenhandlung, Stabreimverrenkung und harmonisch ultrakomplexer "unendlicher Melodie".

Letztere nennt man nur so. In Wirklichkeit gibt es fast alle zwei Stunden Unterbrechungen. Das Wegdämmern? Schwierig. Die Sitze sind hart, wegen der Akustik, und weil Wagner das Publikum, diesen "eigenwilligsten, grausamsten und schmutzigsten Kunstbrotgeber", hasst. "Das Publikum unsrer Theater", schreibt er 1851 in Oper und Drama, wolle "sich vor der Bühne zerstreuen []; und dem Zerstreuungssüchtigen sind künstliche Einzelheiten, nicht aber die künstlerische Einheit Bedürfnis". Also kriegt es von ihm - künstlerische Einheit und harte Stühle.

Deshalb sitzen Sie nun da, zur Regungslosigkeit verdammt, Sie schwitzen, schauen sich eine Komödie an, deren Humor-Motor zwei Prügeleien und ein vertauschtes Manuskript sind, ja diese "Meistersinger", welch ein toller Plot! Die Musik wird lauter und lauter. Sonnig-warmes C-Dur! Blechbläser! Die Musik rückt näher. Ihr Nachbar auch. Wenn Sie merken, dass etwas Sie überwältigen will, dann schüttet Ihr Körper Stresshormone aus. Auch die regen die Schweißdrüsen an, alle vier Millionen. Die Zahl der Kollabierenden wird nie veröffentlicht.

Es tümelt wieder. "In Bayreuth kommen jetzt die Deutschen", informiert die Nachrichtenagentur AP. Wertneutral teilt sie mit, dass "die Urenkelin des genialen Komponisten" nur "eine von vielen deutschen Debütanten" sei und die "oft als deutsche Nationaloper bezeichneten Meistersinger" so "sehr in einheimischer Hand" wären wie "schon lange nicht mehr". Schon lange? Das geht präziser: seit 1943. Ach, die dunkle Zeit.

Diesmal ist laut AP sogar ein "attraktiver neuer Stolzing aus Holstein" dabei. Er sehe "sehr gut aus". Und "dass er auch noch Deutscher ist, dürfte gerade den konservativeren Teil der Wagner-Gemeinde besonders entzücken". Auch der Dirigent, Sebastian Weigle, sei Deutscher. Das stimmt. Er hat sich jüngst in der FAS besorgt darüber geäußert, dass es "immer weniger deutsche Dirigenten an deutschen Häusern" gebe. Das bedauert er, weil "der deutsche Klang gepflegt werden" müsse. Was Wagner angeht, beziehungsweise Hitler, plädiert der Herr Weigle für einen Schlussstrich: Was schließlich könnten die Stücke dafür, "dass Hitler sie bevorzugte?". Lebte nicht "Wagner lange vor Hitler"? "Warum kann man nicht einfach mal wieder ein paar Schritte zurückgehen?"

Es wäre absurd, in Wagner einen Protofaschisten sehen zu wollen. Fast so absurd, wie die Augen davor zu verschließen, dass er Antisemit war. Der entscheidende Stichwortgeber des Vernichtungs-Antisemitismus, und zwar mit "Das Judentum in der Musik", eine nie verworfene Hetzschrift mit direktem Kontakt zur Operntheorie - und Keimzelle des Plans für ein eigenes Theater. Sein Theater soll als Bollwerk gegen die "Judenagitation" dienen. Die wähnt Wagner allüberall gegen sich wirken. Schließlich sei es die "allermächtigste Organisation unserer Zeit". Deshalb also Bayreuth.

Bayreuth ist eine antisemitisch gegründete Institution, die ab 1933 Weihestätte des Nazi-Regimes war und seither in einem festgeschriebenen, feudalistischen Modus konserviert wird: mit dem Verbot wesentlicher Neubestimmung und mit stetiger staatlicher Subvention. Und jetzt kommen da die Deutschen "wie schon lange nicht". Und das Werk? Kann denn Musik antisemitisch klingen? Zweifelhaft. Aber: Wenn sie deutsch klingen kann, muss auch das möglich sein.

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