Die Flucht

„Der irrationale Rest“, Regie: Thorsten Trimpop, Deutschland 2004, 95 Min.

„Wie kann es sein“, fragt einer der drei ehemaligen Freunde aus Pankow, „dass man mit jemandem eine Sache durchzieht, zu der ganz viel Vertrauen gehört, und diese Person danach nie wieder sieht. Ich weiß da auch keine Antwort drauf.“ Zwei Frauen, ein Mann: Eigentlich ist das eine klassische Ausgangssituation fürs Genrekino. Kein Wunder, dass es auch Regisseur Thorsten Trimpop gereizt hat, die drei nach sechzehn Jahren Sprachlosigkeit wieder für eine Dokumentation zusammenzubringen. Das Resultat ist „Der irrationale Rest“ – doch dieser Bericht einer späten Wiederbegegnung kann nur noch feststellen, dass die Zeit eben nicht alle Wunden heilt.

Damals, in der DDR, sind zwei ein Liebespaar, die Dritte ist die beste Freundin. Diese und der Mann haben die Verhältnisse satt, sie wollen nicht länger in einem Staat leben, in dem jeder ein Spitzel sein könnte. Dadurch werden sie gezwungenermaßen selbst zum Verräter an der Dritten. Doch der Fluchtversuch scheitert, die beiden wandern für mehrere Monate hinter Gitter. Anstatt anschließend in den Westen abgeschoben zu werden, wie sie gehofft haben, finden sich die beiden nach einer Amnestie in der DDR wieder. Die Dritte bekommt Besuch von der Stasi, die ihr Informationen über ihr soziales Umfeld abpressen. Sie, die nicht fliehen wollte, muss ihre Ausbildung abbrechen. Nach der Haftentlassung gehen sich alle konsequent aus dem Weg.

Was überdeutlich wird: In einem totalitären Staat sind selbst die engsten sozialen Beziehungen infiziert. Aber irgendwann beginnt man sich zu fragen, was diese Menschen jemals zueinander gebracht hat, so unterschiedlich sind ihre Sichtweisen auf die Ereignisse damals und ihre Reaktionen heute. Bei der Wiederbegegnung an ebenjenem Ort, an dem sie von Soldaten geschnappt wurden, sagt die Frau: „Hätte ich nicht gedacht, dass mich das so berühren würde.“ Der Mann sagt: „Ich war den ganzen Tag schon aufgeregt.“ Er muss immer wieder an den Ort zurückkehren, an dem er eingesperrt war, entschließt sich, als Zeitzeuge Führungen durch den Knast anzubieten. Sie lässt den Osten komplett hinter sich, noch heute, sagt sie, fühle sie sich unwohl dort.

Die statische Kamera und die isolierenden Einstellungen verstärken nur den Eindruck eines irreparablen Bruchs. Der Wunsch, die drei wieder zu vereinen, war eine Motivation für den Film, gibt der Regisseur Trimpop zu. Daran scheitert der Film. Aber dass es nicht reicht, Menschen, die einander verletzt haben, vor eine Kamera zu stellen, um eine tränenreiche Versöhnung zu erreichen, wie dies von so vielen Fernsehshows gerne behauptet wird, das stimmt auch irgendwie tröstlich.

DIETMAR KAMMERER