Alternatives Theater: Die Germanen geben sich geschlagen

Seit 2003 arbeiten Künstler im verwaisten Wagenhallen-Gelände in Stuttgart. Bald wird die Bahn hier einen neuen Bahnhof bauen. Doch zunächst gibt es Kleists "Hermannsschlacht".

Bild: andreas essig

Ein unaufgeregtes Reich von Ateliers und Spielstätten ist das Gelände der Stuttgarter Wagenhallen. Doch bald werden hier nur noch Baufahrzeuge dröhnen, denn im Kontext des Großprojekts Stuttgart 21 fällt das Gelände Tunnelbauten und Bahntrassen zum Opfer. Senkrecht gestellte Lastwagencontainer, die bald die Unmengen der auszuhebenden Erde aufnehmen sollen, stehen am Rand des Weges zu dem noch verwunschen wirkenden Gelände.

Es ist ein Geröll- und Asphaltfeld, an dessen Saum die aus Backstein erbauten ehemaligen Königlich Württembergischen Wagenhallen von 1895 stehen. Mehrere Fußballfelder passen in sie hinein. Früher wurden hier Waggons der Staatsbahnen instandgesetzt. Als die Hallen nicht mehr genügten, überließ man sie dem Dornröschenschlaf, Pflanzen und Bäume nahmen sie in Besitz. Bis im Jahr 2003 eine Initiative von 17 Künstlern mit der Stadt einen Vertrag über eine temporäre Nutzung der Hallen abschloss. Die Pflanzen wuchern weiter, daneben hat sich kreatives Leben entfaltet - über 70 Künstler arbeiten mittlerweile dort.

Das Areal hat etwas Unfertiges und ist damit anders als das sonstige polierte Villen-Stuttgart. Dieser unregulierte Ort im durchregulierten Stadtkörper von Stuttgart wirkt in seiner vorübergehenden Existenz wie eine Metapher für das vergängliche Leben. Gerade hängt das wegen Regen verwaiste Volleyballnetz schlaff herunter. Im Wiesenhang dahinter ist eine "Volksbühne" gebaut, ein Podest mit einer halbrunden Zuschauertribüne. Vor dem Café Hinterland warten riesige Holzmöbel auf Menschen wie Gulliver und lassen alle anderen als Zwerge erscheinen. Daneben hat ein Blumenkünstler einen Pflanzengarten mit bunten Lichtgirlanden und einem Kaskadenbrunnen aus Blecheimern installiert.

Künstler aller Genres sind hier interaktiv vernetzt. Man kann Fotoausstellungen sehen, argentinischen Tango tanzen, in die Ateliers und Galerien oder ins Stummfilmkino gehen. Man kann Musik machen, selber inszenieren oder dem Diskohüftschwung frönen.

Bevor das alles verschwindet, haben die Künstler als Zeichen des Protest ein Hermannschlachten-Projekt überlegt: Teutoburg existiert - in Stuttgart. Vor dem mutmaßlichen Aus des Areals in ein, zwei Jahren soll hier noch einmal die Schlacht nachgestellt werden, die Schlacht der Germanen gegen die Römer, die als Modell gelesen wird für die Situation der Künstler gegenüber Stuttgart 21.

Die Autorin Dorna Safaian präparierte mit dezenten Schnitten den Inszenierungstext nach Kleists "Hermannsschlacht". An dem Projekt - eine Initiative der Wagenhaller mit Partnern aus Berlin - sind 70 Künstler beteiligt. Vor Beginn gehen die Zuschauer, und auch die Figuren, wie man im Nachhinein bemerkt, in einer Falz- und Papierwelt namens Teutoburg umher, einer Installation von Studierenden der Akademien der Bildenden Künste Stuttgart, Nürnberg, München, der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und der UdK Berlin. Die mit den Figuren gemeinsam geteilte Welt verwandelt die Zuschauer in Germaniens Volk und zu Mitstreitern im Kampf gegen Rom.

Die Teutoburg ist ein buntes Kunstrummelfest. Man findet neben der Bar ein SubCity-Investment-Büro, ein Maschinengewehrlager, einen Teutosouvenirshop, einen Stall mit weißen Hühnern. Hier in Teutoburg setzt die Inszenierung ein, die aber Stuttgart 21 nur mehr indirekt über den historischen Text thematisiert. Zuschauer und Figuren müssen sich zweimal durch ein Tor der Teutoburg quetschen in ein angrenzendes Hallenschlachtfeld. Das Hin und Her, in seinem Stocken und Fließen, ist wie das Auf- und Abwogen eines Gefechts und zugleich ein Bild für das Transitorische der Künstlersituation vor Ort (Regie: Jonas Zipf). Die Figuren verbleiben jedoch in unpsychologischer Typisierung, manche freilich wie Marbod (Sinan Al-Kurikchi) und Varus (Dietrich Kuhlbrodt) werden befreiend karikiert - generell bewahrt das komische Element die Inszenierung vor einer heroischen Versteifung. Leider wirkt Hermann (Christoph Mueller-Leonhardt) in seinem stetigen Heldenernst einseitig.

Gewitzt integriert wurden Elemente wie Video, Live-Musik und Phantasiefahrzeuge wie ein Rasenmäher mit Rikschathronanhänger. Das langsam verschmutzende Weiß der Kleidung und das Grau und Schwarz der Halle wirkten vereint wie ein Schlachtengemälde von Anselm Kiefer. Vielleicht war das das Beste: mit Mitteln der Schauspielerei und Musik ein episodisches, humorvolles Gemälde zu schaffen.

Allerdings bleibt das Gefühl, dass die Inszenierung die Schlacht eben nur simuliert und in ihrer weitgehenden Texttreue politisch harmlos bleibt. Wo sind die Wege aus der Kunst in die Praxis? Mit solchen Germanen hat das milliardenschwere Rom leichtes Spiel.

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