Fußball WM der Frauen: Das Hirn soll rennen

Vor dem WM-Auftakt gegen die Auswahl des Südamerikameisters Argentinien ist in der deutschen Delegation viel vom Kämpfen die Rede und von altbekannten Tugenden.

Zähne zeigen: Birgit Prinz (r) und Simone Laudehr sind bereit. Bild: dpa

Die Anfahrt zum Hongkou-Stadion in Schanghai werden die Deutschen am Montag genießen. Der Bus des Teams wird eskortiert von zwei Polizeiautos. So geht der Transfer vom Teamhotel Hua Ting zur Arena sehr viel schneller als üblich. Das Blaulicht schlägt eine Schneise in den Dauerstau von Schanghai, der sich zäh über die Hochstraßen der Stadt wälzt. Sogar rote Ampeln werden vom Tross des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ignoriert, mancher Spielerin jagt das ein bisschen Angst ein.

Am 10.09. beginnen die fünften Weltmeisterschaften im Fußball der Frauen. Deutschland ist Titelverteidiger und trifft im Eröffnungsspiel in Schanghai auf die argentinische Mannschaft (14 Uhr, ZDF). Die DFB-Equipe muss dabei neben den Gastgeberinnen sowie Norwegen und den USA zum Favoritenkreis gerechnet werden. Im DFB hat Frauenfußball nicht erst seit dem Titelgewinn von 2003 Konjunktur. DFB-Chef Theo Zwanziger ist ein ausgesprochener Freund des Frauenfußballs und ist sicher, "dass unsere Mannschaft mit ihrem Auftreten in China wieder Sympathien und damit neue Fans gewinnen wird." Na dann.

Am Lu-Xun-Park angekommen, steht heute 14 Uhr mitteleuropäischer Zeit das Eröffnungsspiel der Frauenfußball-Weltmeisterschaft an (live auf ZDF und Eurosport). Die Deutschen treten also nach erstaunlich kurzer Busfahrt in der Gruppe A gegen Argentinien an, Nummer 29 der Weltrangliste. Alles andere als ein Sieg wäre höchst problematisch für den Titelverteidiger, der vor vier Jahren ein überzeugendes WM-Turnier spielte und den Pokal ganz gern behalten würde. Die Konkurrenz ist groß. Die USA wollen gewinnen, Schweden, Norwegen und Brasilien ebenso, und nicht zu vergessen Gastgeber China.

Argentinen ist zum zweiten Mal bei einer Weltmeisterschaft dabei, trainiert wird das Team von José Carlos Borello (51), der offenbar auf Traditionen steht. Er vertraut auf einen Libero. Man erinnert sich: Das war ein Spieler, der recht frei in der Abwehr agiert und bisweilen dem Vorstopper beim Verteidigen hilft. Vorstopper wiederum sind prähistorische Defensivstrategen, die den gegnerischen Stürmern mit ziemlicher Penetranz auf den Leib rücken. Das heißt: Argentinien verteidigt aller Wahrscheinlichkeit nach mit nur drei Spielerinnen, was dem Weltmeister entgegenkäme. "Wir müssen viel über die Flügel kommen", sagt Mittelfeldspielerin Melanie Behringer (21), "dann sind wir immer eine mehr."

Die Elf von Bundestrainerin Silvia Neid (43) hat das Spiel gegen einen Libero in der Vorbereitung proben wollen und das Team Tschechiens nach Gera eingeladen. Doch Tschechien foppte die Deutschen und trat mit einer Viererkette an. So muss Neids Auswahl ohne das Gefühl für den Libero in die Partie gehen.

Bei der Weltmeisterschaft im Jahre 2003 wurde Argentinien in der Vorrunde noch mit 6:1 besiegt, weswegen die Innenverteidigerin Celeste Barbitta nun von einem Revanche-Match spricht. Die Südamerikanerinnen sind seit dem Championat in den USA besser geworden, sie haben in diesem Jahr China mit 1:0 bezwungen, sind Südamerika-Meister geworden und haben in der WM-Qualifikation die Elf Brasiliens düpiert, die allerdings damals ohne ihre Schlüsselspielerinnen Marta und Katia auflief. Morgen muss Borellos Team wohl auf die Nummer zehn, Mariela Coronel, "das Hirn der Mannschaft" (womensoccer.de) verzichten, weil sie sich im Training eine Meniskusquetschung zugezogen hat; angeblich wird sie in der Heimat mit Juan Román Riquelme verglichen, jenem somnambul-genial spielenden Profi.

In ähnlicher Position wie Coronel spielt Renate Lingor (31) im deutschen Team. Früher sagte man Spielmacher oder Führungsspieler, in Zeiten der spielerischen Synergieeffekte ist Lingor eine von vielen Akteuren, jedoch eine Fußballerin, auf die Coach Neid im wichtigen Auftaktmatch nicht verzichten will. "Wir wissen um die Heißblütigkeit der Argentinierinnen", sagt sie und verweist auf deren Aggressivität im Zweikampf. Das dürfte Lingor nicht gefallen. Vom Grätschen und überharten Spiel hält sie gar nichts. "Grätschen? Nee, das mag ich nicht. Wer gut zum Ball steht, hat das nicht nötig", so Lingor.

Nach dem letzten Vorbereitungsspiel der Deutschen wurde Lingor, die, noch geschwächt vom Pfeifferschen Drüsenfieber, beim 2:2 eine eher mediokre Vorstellung gegen Norwegen bot, von der Presse gescholten. Sie sei außer Form, hieß es. Jetzt sagt die über 120-malige Nationalspielerin: "Ich fühle mich gut, aber ich muss mehr leisten als bisher. Gegen Norwegen hat mir dieses Ich-will-den-Ball-haben-Gefühl gefehlt." Das gesamte Team müsse "diese Halbherzigkeit" ablegen, dann könne es ein erfolgreiches Turnier werden. "Wenn wir hundert Prozent drauflegen, dann wird das okay", sagt sie. Die Elf will zunächst einmal kämpfen und rennen, auf die bekannten Tugenden zurückgreifen.

Auch Lingor, selbst technisch ziemlich versiert, möchte sich auf die einfachen Dinge des Fußballspiels konzentrieren. "Es geht nicht darum, die Welt retten zu wollen und den tödlichen Pass zu spielen. Ich muss auch mal simple Dinge machen", sagt sie. "Ich muss nicht der absolut kreative Spieler sein, dieser Anspruch schadet meinem Spiel manchmal." Oft scheint sie übermotiviert, versucht sich mit einer spektakulären Aktion ins Spiel zu bringen - und scheitert. Im Kampf gegen die übergroße Motivation sagt sie sich nun: "Der entscheidende Pass kommt zwangsläufig, als ein Nebenprodukt des normalen Spiels."

Es geht also darum, bloß nichts erzwingen zu wollen - abgesehen vom Sieg im Auftaktspiel gegen Argentinien.

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