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EntwicklungsländerWenn Schulden illegitim sind

Die Weltbank räumt ein, dass die Kreditvergabe an Entwicklungsländer teils unfair war. Aber diese sollen die Schulden trotzdem nicht als illegitim zurückweisen.

Weltbank-Sitz in Washington: Sittenwidrige Kreditverträge? Bild: dpa

BERLIN taz Lösungsansätze für Schuldenkrise drehten sich bislang immer nur um die Frage: Wie viele ihrer Schulden können die Entwicklungsländer zurückzahlen? Nur wenn die so genannte Schuldentragfähigkeit überschritten war, kam es mitunter zu einem Schuldenerlass. Neuerdings wird die Frage immer häufiger anders gestellt: Welche Schulden sollen die Entwicklungsländer überhaupt zurückzahlen? Sind die Kreditverträge nicht zum Teil geradezu sittenwidrig? Mit Verweis auf die Forderungen der Zivilgesellschaft nach der Streichung solch illegitimer Schulden stellt sich jetzt auch die Weltbank diese Fragen in einem neuen Arbeitspapier.

Mit Norwegen bekannte sich vor einem Jahr erstmals ein Gläubigerland zu seiner Mitverantwortung am Schuldendebakel und strich Schulden, die es selbst als illegitim einstufte. Das Land hatte in den 1970er-Jahren Entwicklungsländern Kredite gegeben, damit diese Schiffe aus Norwegen kauften. Inzwischen gibt die Regierung in Oslo zu, dass mit diesem Programm, durch das so manche Entwicklungsländer in eine Überschuldungssituation gerieten, nur der eigenen Werftindustrie geholfen werden sollte.

Die Weltbank bezieht sich in ihrem Papier allerdings auf ein älteres völkerrechtliches Konzept. Ein russischer Jurist hatte es in den 1920er-Jahren entwickelt als Antwort auf die Frage, wie die junge Sowjetunion mit den Altschulden des zaristischen Regimes umgehen sollte. Demnach sind Schulden "verabscheuungswürdig" und damit nicht zurückzahlbar, wenn drei Kriterien erfüllt sind: keine Zustimmung durch die Bevölkerung, also vor allem Kredite an diktatorische Regime; kein Nutzen für die Bevölkerung, also etwa die Finanzierung von Kriegen und Repression; und schließlich das Wissen um diese Probleme auf Seiten der Gläubiger. Zuvor hatten schon die USA ganz ähnlich argumentiert, als sie 1898 den Spaniern Kuba abnahmen: Die Schulden gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht seien nicht legitim und daher nicht rückzahlbar.

In einem anderen, jüngeren Fall, wollten die USA jedoch nichts von diesem Ansatz wissen: Zwar drängten 2004 sie mit Erfolg auf einen umfassenden Schuldenerlass für den Irak, um das besetzte Land wenigstens ökonomisch zu stabilisieren. Aber keinesfalls sollte ein Schiedsgericht die Schulden auf ihre Rechtmäßigkeit durchleuchten. "Die USA wollen doch keine Diskussion darüber, wie viel Militärhilfe sie an Saddam Hussein geleistet haben", lästerte damals ein deutscher Beamter. Offiziell hieß es, ein Schulden-Schiedsverfahren dauere zu lange und sei noch zu unerprobt.

So ähnlich argumentiert die Weltbank auch jetzt in ihrem Papier. Zwar könne allein die Möglichkeit, dass Schulden hinterher als illegitim zurückgewiesen werden, auf die Kreditgeber sehr disziplinierend wirken. Denn diese würden sich dann genauer überlegen, ob sie wirklich Kredite and diktatorische oder korrupte Regime für Waffen oder unsinnige Prestigeprojekte vergeben wollen. Aber für die Praxis sei das Konzept dennoch nicht brauchbar, schreibt die Weltbank und verweist auf die "Unmöglichkeit einer genauen Abgrenzung" und "das Risiko, dass die Finanzflüsse in Entwicklungsländer vollständig unterbrochen werden".

Daher sei ein anderes Vorgehen sinnvoller. "Das Konzept der illegitimen Schulden wird aus einer moralischen Entrüstung und der Notwendigkeit eines gerechten Kreditvergabesystems Kreditvergabe gespeist", heißt es in dem Papier. "Diese Probleme können aber durch bessere Praktiken der Kreditgeber und der Empfängerstaaten angegangen werden." Darunter versteht die Weltbank eine konsequentere Korruptionsbekämpfung vor und Mindeststandards für verantwortungsvolle Kreditvergabe, die sich die Kreditgeber selbst auferlegen mögen. Der Vorteil: Die Weltbank müsste auch ihre eigene Kreditvergabe an Entwicklungsländer nicht hinterfragen lassen -- so zum Beispiel an den indonesischen Diktator Suharto, mit Wissen der Weltbank fast ein Drittel der Gelder in die eigene Tasche steckte, aber sein Volk anschließend auf dem Schuldenberg sitzen ließ.

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