Radsport: WM der schwarzen Schafe

In Stuttgart beginnt die die Straßenradsport-WM. Unverdrossen reden die Funktionäre einer dopingverseuchten Szene von einem Neuanfang. Ein Rückblick auf eine perverse Saison.

Bei der Tour de France sollten nur saubere Sportler mitfahren. Das Ergebnis ist bekannt. Bild: dpa

Die Titelkämpfe der Radrennfahrer in Stuttgart beginnen am Mittwoch mit dem Einzelzeitfahren der U23-Junioren (38,1 Kilometer). Auch die Frauen fahren ihren Zeitfahrtitel am Mittwoch aus (25,1 Kilometer). Am Donnerstag gehen die Profis auf ihre 44,9 Kilometer langen Strecke, um den Titel des Zeitfahrweltmeisters auszufahren. Am Samstag bestreiten die Frauen (133,7 Kilometer) und die U23-Junioren (171,9 Kilometer) ihr Straßenrennen. Höhepunkt der WM ist das Rennen der Profis am Sonntag über 267,4 Kilometer. TAZ

Es sollte der glanzvolle Höhepunkt der Radsportsaison werden. Die Stadt Stuttgart wollte ein großes Fest des Rennsports feiern. 2001 vergab der Internationale Radsportverband (UCI) die Weltmeisterschaft 2007 nach Schwaben. Ohne Doping lief schon damals kaum etwas im Peloton. Doch die Schlagzeilen gehörten seinerzeit noch den Siegern. Radsportler durften noch gefeiert werden. Im Jahr der spektakulären Dopinggeständnisse ist zur Gewissheit geworden: Radsport ist Doping. Abgesagt wurden die Titelkämpfe von Stuttgart nicht. Die Stadt lässt sich das Spektakel 2,3 Millionen Euro kosten, der Bund schießt 150.000 Euro zu. Die Öffentlich-Rechtlichen übertragen. Egal was passiert, der Radsport erhält eine Bewährungschance nach der anderen. Die taz blickt zurück auf ein perverses Radsportjahr.

Ende Februar, die meisten Fahrer bereiteten sich im sonnigen Süden auf die Saison vor, da trat ein längst gefallener Nationalheros vor die Presse und verkündete seinen endgültigen Abschied vom Radsport. Als dummer, uneinsichtiger Trotzlöffel trat Jan Ullrich vor die Presse, bellte seine Kritiker in bester Kampfhundmanier an und gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass er fürderhin als Berater für einen Funktionsunterwäschehersteller arbeiten würde. Das Wort Doping erwähnte Ullrich, gegen den die Staatsanwaltschaft Bonn damals schon lange ermittelte, bei seinem einstündigen Vortrag nicht. Dass er allein deshalb nicht mehr Rennfahrer ist, weil so gut wie sicher war, dass er ein Kunde des spanischen Eigenbluttherapeuten Eufemiano Fuentes gewesen ist - für Ullrich kein Thema. "Ich habe niemanden geschädigt, ich habe niemanden betrogen", so Ullrich damals. Und: "Das ist echt groß." Ein gespenstischer Auftakt des Radsportjahres.

Es war Ende April, als ein ehemaliger Masseur des Teams Deutsche Telekom ausgepackt hat. Jef dHont stellte ein Buch vor, in dem er schilderte, dass in den 90er-Jahren die Fahrer im deutschen Rennstall Team Telekom systematisch mit dem Blutdopingmittel Epo fit gemacht wurden. Organisiert worden sei die Manipulation von Teamchef Walter Godefroot, die Spritzen seien von den Teamärzten gesetzt worden. Die Erfolge einer ganzen deutschen Radsportgeneration schienen nichts mehr wert zu sein. Doch es war nur ein Masseur, der ausgepackt hatte. Die Szene winkte ab - noch.

Bert Dietz war ein Wasserträger des Radsports, einer, der sich abrackerte, damit andere sich feiern lassen konnten. Seine Siegerliste ist nicht allzu lang. Als er in der ARD-Talkshow "Beckmann" bestätigte, dass stimmt, was Jef dHont in seinem Enthüllungsbuch beschrieben hat, war er mit einem Mal zum Protagonisten geworden. Auch er sprach von einem wohl organisierten Dopingsystem beim Team Telekom. Nun konnten die ehemaligen Kollegen nicht mehr anders und mussten - wohl oder übel - auch etwas über ihre betrügerische Vergangenheit erzählen. Zwei von ihnen: Rolf Aldag, mittlerweile Sportlicher Leiter beim Team T-Mobile, dem Nachfolgerennstall des Teams Telekom, und Erik Zabel, Deutschlands nimmermüder Mann für die letzten Meter vor dem Zielstrich. Sie gestanden. Aldag präsentierte sich als verzweifelter Selfmade-Doper, der einfach nur mithalten wollte mit den anderen im Feld. Zabel will nur eine Woche lang Epo zu sich genommen haben. Vom Doping-System war keine Rede mehr. Zabel, für das Team Milram immer noch im Sattel, heulte wie ein Schlosshund und ließ sich nur wenige Tage nach der Heulattacke als Etappensieger der Bayernrundfahrt feiern.

Während halb Deutschland über Doping im Radsport diskutiert, gewinnt ein gewisser Danilo di Luca den Giro dItalia. Strahlend posiert er auf den Siegerpodesten seines Heimatlandes. Dass die Antidoping-Kommission des Italienischen Olympischen Komitees (Coni) gegen ihn ermittelt, weil sein Name in den Akten zu einem illegalen Netzwerk von Dopinghehlern auftauchte, ließ ihn kalt.

Derweil bereitete sich der Spanier Alejandro Valverde in aller Ruhe auf die Tour de France vor. Indizien, dass auch er Kunde des spanischen Blutdopingorganisators Fuentes gewesen ist, gab es schon damals zur Genüge. Fragen zu diesem Thema beantwortete er nicht. Er kann sich bis heute, da die UCI ihn wegen Dopingverdachts von der Weltmeisterschaft ausschließen will, der Rückendeckung seines Teams Caisse dEpargne und seines Nationalen Verbandes sicher sein und will seinen Start in Stuttgart vor dem Internationalen Sportgerichtshof im Lausanne einklagen. Danilo di Luca wird bei der WM nicht dabei sein. Er wartet auf das Ende der Saison. Dann wird er sich als Sieger der ProTour-Jahreswertung der UCI feiern lassen. Di Luca führt das Klassement mit großem Vorsprung an.

Der große Reinfall

Als die Tour de France in London gestartet wurde, hatten die Veranstalter bereits eine schwere Niederlage einstecken müssen. Ihr Vorhaben, nur Fahrer an den Start gehen zu lassen, die über jeden Dopingverdacht erhaben sind, die nichts mit Fuentes Blutdopingpraxis zu tun hatten, war grandios gescheitert. Die Szene war zwar aufgewühlt, weil der deutsche Profi Jörg Jaksche detailliert geschildert hat, wie er zu Epo- und Eigenblutdoping gekommen ist, doch geläutert zeigte sie sich nicht. Es wurde gelogen und betrogen wie eh und je. Matthias Kessler und Patrick Sinkewitz arbeiteten im Vorfeld der Tour mit illegalen Substanzen und flogen auf. Der kasachische Kraftradler Alexander Winokurow raste mit fremdem Blut in den Adern zu zwei Etappensiegen. Der Däne Michael Rasmussen fuhr lange souverän in Gelb, bis bekannt wurde, dass er sich während seiner Tour-Vorbereitung auf einer Art Dauerflucht vor Dopingkontrolleuren befand. Der Italiener Cristian Moreni glaubte, nicht ohne Testosteron über die Pyrenäen zu kommen. Und am Ende gewann einer, dessen Name auf der Liste des berüchtigten Eufemiano Fuentes stand: Alberto Contador.

Gaga-Rudi

Das Wort Neuanfang wurde seitdem arg strapaziert. Einer, der ganz vorne mitmarschieren wollte auf dem Weg zu einem neuen Radsport, ist Rudolf Scharping, Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR). Er berief eine Anti-Doping-Kommission, versprach allerhand und hielt nichts. Mangels finanzieller Ausstattung löste sich das Gremium auf. Als BDR-Vizepräsident Udo Sprenger beschuldigt wird, für sein ehemaliges Team Nürnberger Dopingmittel besorgt zu haben, hält Scharping schützend die Hand über seinen Stellvertreter, anstatt den Fall zu untersuchen. Der ehemalige Busenfreund aller Telekom-Radler hatte nichts dagegen einzuwenden, dass der bekennende Doper Erik Zabel bei der WM an den Start geht, will ihn, der ja "tätige Reue" zeige, gar als Vorbild in den Antidopingkampf einbinden. Ein anderer BDR-Vize, Dieter Kühnle, erklärte nach Zabels Nominierung seinen Rücktritt. Begründung "Ein Neuanfang sieht anders aus."

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