Irak: Angst in Modell-Kurdistan

In der Türkei hat das Parlament der Regierung erlaubt, die PKK notfalls auch im Irak zu bekämpfen. Die irakischen Kurden glauben, dass Ankara ihnen den Frieden missgönnt.

In den irakischen Kurdengebieten ist die Erinnerung an die vergangene Gewalt noch gegenwärtig. Aufnahme von Erbil nach der Niederschlagung des Kurden-Aufstands von 1991 durch Saddam Hussein Bild: dpa

ERBIL taz Der alte Muhsin Saleh Kattani weiss, wie man einen Guerllakrieg führt. Es war das Jahr 1945 und er selbst gerade einmal 14 Jahre alt, als sich der irakische Kurde den kurdischen Peshmerga im Irak anschloss. Fast vierzig Jahr hat der heute 76-Jährige gekämpft. "Eine Guerilla kann man mit einer noch so großen militärischen Übermacht nicht besiegen," sagt Kattani. "Das hat Saddam nicht geschafft, und es wird auch der Türkei gegenüber der PKK nicht gelingen." Am Mittwoch hat das türkische Parlament der Regierung für ein Jahr grünes Licht gegeben, im Kampf gegen die türkisch-kurdische PKK-Guerilla Truppen über die Grenzen in den Irak zu entsenden.

Hinter den schroff ansteigenden Bergen oberhalb von Baithana findet sich eines von mehreren Lagern der PKK im irakisch-türkischen Grenzgebiet. Von dort aus verüben die Rebellen auch immer wieder Angriffe auf türkische Militärposten jenseits der Grenze.

Die Regierung des kurdischen Teilstaats in Erbil hat dies am Donnerstag verurteilt. Sie werde nicht zulassen, dass ihr Territori um für Angriffe gegen die Türkei oder ein anderes Nachbarland benutzt werde, teilte die Regionalregierung mit. Gleichzeitig appellierte sie an die Türkei, auf militärische Schritte zu verzichten, forderte Ankara jedoch zu direkten Gesprächen auf. "Die Regionalregierung begrüßt den Dialog mit Ankara in allen gemeinsamen Belangen, einschließlich der PKK", heißt es in der Erklärung. Ein Militäreinmarsch würde jedoch dem Irak, der Türkei und dem gesamten Nahen Osten schaden.

Tausende Schüler und Studenten haben am Donnerstag in Kurdistan gegen den Parlamentsbeschluss demonstriert. Es ging friedlich zu, doch ein Militäreinsatz, der unter den Kurden in Türkei, aber auch in Iran und Syrien eine Welle der Solditarität auslösen würde, könnte unabsehbare Folgen haben.

Für die Kurden der Nachbarländer hat die große politische Automie des irakischen Kurdistan mit seinen Schulen und Universitäten, an denen auf Kurdisch unterrichtet wird, Modellcharakter. Wie viele Kurden glaubt auch der alte Kattani, dass es Ankara im Grunde genommen genau darum und nicht um die PKK geht. "Die Türkei will einfach nicht, dass wir in Frieden leben können", sagt Kattani. So sehen es auch die drei kurdischen Abgeordneten des irakischen Parlaments, die an diesem Tag gekommen sind, um die Schäden in Augenschein zu nehmen, die durch den türkischen Artilleriebeschuss vor wenigen Tagen entstanden sind. Verletzt wurde niemand, aber am Ortsrand von Bainatha sind mehrere Felder abgebrannt. Es sei unglaublich, dass die Regierung in Bagdad die Souveränitätsverletzung nicht entschiedener veruruteile, sagt die Abgeordnete Kamila Ibrahim Badi.

"Wir sind Teil des föderalen Irak, damit ist die Regierung für den Schutz des ganzen Landes verantwortlich", sagt Badani. Doch nicht nur in Ankara, sondern auch in Bagdad zweifelt man, dass die Kurden es mit ihrem Bekenntnis zum Irak tatsächlich ernst meinen und nicht am Ende des Tages doch die Unabhängigkeit ausrufen.

Zwar forderte Regierungssprecher Ali Dabbagh Ankara auf, von einem Einmarsch abzusehen. Sami al-Askari, ein enger Berater von Ministerpräsident Nuri al-Maliki, giftete jedoch, die Kurden erinnerten sich immer nur an Bagdad, wenn sie in Bedrängnis seien. Für den Schutz ihrer Region seien die Kurden selbst verantwortlich.

Viele Araber im Irak beobachten mit Unmut, dass die Kurden ihr Gewicht in der Regierung vor allem in den strittigen Fragen wie dem Status von Kirkuk und dem Ölgesetz in die Waagschale werfen - eine Entwicklung, die man auch in Ankara argwöhnisch verfolgt. Dass Misstrauen auf allen Seite ist gross, was eine diplomatische Lösung auch so schwer macht.

Gemäss der Verfassung obliegt die innere Sicherheit tatsächlich in den Händen der Regionalregierung. Dass Soldaten oder Polizisten aus anderen Landesteilen in Kurdistan diese Aufgabe übernehmen könnten, ist heute unvorstellbar. Nach Regierungsangaben verfügen die Kurden über 110.000 Soldaten und Sicherheitskräfte, Befehle kann ihnen Bagdad nicht erteilen.

Die Frage, ob die kurdischen Einheiten im Fall eines türkischen Einmarschs zur Landesverteidigung aufgeboten würden, wollten kurdische Politiker am Donnerstag nicht beantworten. Verstärkte Patrouillen oder gar eine Mobilmachung gab es nicht. Direkt an der türkischen Grenze taucht nur hier und dort mal ein Wachposten auf. Für die Präsenz der PKK haben sie meist nur ein Schulterzucken übrig. Sie wissen nur zu gut, dass für eine Guerilla das unwegsame Berggebiet kein Hindernis ist.

Der alte Kattani und die Abgeordnete Badi meinen, dass neben Bagdad vor allem die Amerikaner gefordert seien. Ein türkischer Einmarsch könnte Iran zum gleichen Schritt verleiten, sagt Badi. Diese Sorge teilen auch die US-Streikräfte im Irak, die auf die kurdische Unterstützung angewiesen sind und ohnehin schon über die Maße im Kampf gegen die Extremisten beansprucht sind.

Im Grenzgebiet rechnet derzeit niemand damit, dass Ankara die Drohung wahrmacht. Aus Sicht des Scheichs und der Politikerin hat die diplomatische Offensive Washingtons gegenüber ihrem Bündnispartner Türkei Früchte getragen - zumindest für den Augenblick. "Bald liegt dort oben in den Bergen meterhoch Schnee", sagt Kattani. "Und im Winter hat hier noch nie jemand Krieg geführt"

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