Eisschnellläuferin Jenny Wolf: Mit Kuchen in die Kurve

Jenny Wolf ist Deutschlands beste Eisschnellläuferin. Das weiß nur kaum jemand, weil sie im langen Schatten der Zickenkriegerinnen Friesinger und Pechstein steht.

Bald will sie die Schallmauer von 37 Sekunden auf 500 Metern unterschreiten. Bild: reuters

BERLIN taz Erschöpft und apathisch liegt Jenny Wolf auf dem Boden. Mit dem Gleichmut einer Schichtarbeiterin sagt sie: "In einer Stunde bin ich fertig." Im Sportforum Hohenschönhausen werden heute Gewichte gestemmt.

In Krafträumen trifft man selten fröhliche Menschen. Und auch Jenny Wolf gehört nicht zu dieser ungewöhnlichen Spezies. Dabei hätte die Berlinerin viele Gründe für gute Laune: die Verteidigung des Gesamtweltcupsieges über 500 Meter in der vergangenen Saison; ihr erster WM-Titel über diese Strecke im März; die Wahl zur besten deutschen Eisschnellläuferin des Jahres 2007 vor den Dauerabonnentinnen Anni Friesinger und Claudia Pechstein. Und zuletzt das Rennen vor gut einer Woche: Im kanadischen Calgary lief sie über 500 Meter die schnellste Zeit, die je gemessen wurde.

Doch Wolf fällt es schwer, sich mit der Schinderei an diesem Morgen anzufreunden. Sie sagt, sie habe noch mit dem Jetlag zu kämpfen. Dazu diese Herbststimmung. Und außerdem sei sie müde. Zu Beginn der Saison sind die Glieder noch nicht an die Wettkampfbelastung gewöhnt. Der Trainingsalltag hat Wolf längst wieder eingeholt. Zurück, sagt sie, denke sie nicht. Dabei wird gerade vom Eisschnelllauf-Weltverband noch untersucht, ob ihre Weltrekordzeit von Calgary (37,02 Sekunden) anerkannt werden kann. Fernsehbilder offenbarten Unregelmäßigkeiten. Die betrafen allerdings nicht die Bahn, auf der Wolf lief.

"Schade" fände sie es, wenn die Zeit gestrichen würde. Die 28-Jährige kann gelassen sein. Gilt die neue Bestmarke nicht, bleibt sie mit ihrer WM-Zeit vom März (37,04) Weltrekordhalterin.

Hier in Hohenschönhausen hat sie vor etwa 22 Jahren mit dem Eisschnelllaufen angefangen. Tag für Tag, Jahr für Jahr hat sie sich verbessert. Immer nur ein ganz kleines bisschen. Ihr großes Potenzial, sagt ihr Trainer Thomas Schubert, habe er sofort erkannt, als sie vor elf Jahren zu ihm kam. "Sie verfügt über unglaubliche Sprintfähigkeiten." Ihr Weg in die Weltspitze hat er sich allerdings ein wenig kürzer vorgestellt. Nach fünf, sechs Jahren, so Schubert, habe er schon gedacht: "Mensch, ist das alles schwer." Die Technik in den Kurven habe sie sich hart erarbeiten müssen. "Beharrlichkeit" ist für Schubert das Schlüsselwort, das den Erfolg von Wolf erklärt.

Gute Technik und Sprinterqualitäten allein reichen aber nicht aus. Mehr als bei anderen Distanzen ist auf der Kurzstrecke mentale Stärke gefragt. Wer mit knapp 50 Stundenkilometer in die Kurve rauscht, der braucht gute Nerven. Schnell sein, ohne aus der Bahn zu geraten, das ist ein heikler Balanceakt. Früher ist dies Wolf oft nicht gelungen.

Sie habe lange vieles zu ernst genommen, erinnert sie sich. "Es musste in der Vorbereitung alles perfekt sein. Ich war fast schon abergläubisch." Als sie feststellte, dass diese Akribie sie nicht weiterbrachte, hat sie es anders versucht. Und merkte, dass sie auch trotz einer zehnminütigen Verspätung beim Training oder eines Stücks Kuchen zwischendurch keine Zeit einbüßte. Im Gegenteil. Mit der neu gewonnenen Lockerheit nahm die Versagensangst ab und die Geschwindigkeit zu.

Diese Saison hat sie auf dem hohen Niveau begonnen, das sie zu Ende der vergangenen erreicht hatte. Mit weiteren Steigerungen ist zu rechnen. Wolf sagt: In den Kurven kann ich mich noch verbessern. "Der Po muss weiter runter." Sie ist zuversichtlich, dass sie bald die Schallmauer von 37 Sekunden unterschreiten wird. In diesem Winter richtet sie ihr Augenmerk aber vor allem auf die Weltmeisterschaft im März im japanischen Nagano. Dort will sie ihren Titel verteidigen. Und nach den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver soll Schluss sein, auch wenn sie sicherlich noch vier weitere Jahre dranhängen könnte. Aber Wolf ist der Ansicht: "24 Jahre Eisschnelllauf sind genug. Ich will auch mal etwas anderes machen."

Gerade ist sie dabei, ihr Studium der Literaturwissenschaft abzuschließen. Die Sprinterin hat sich noch nie allein über den Sport definiert. Auf Außendarstellungen ihrer Leistungen legt sie keinen sonderlichen Wert. Der deutsche Eisschnelllaufverband hat auf seiner Homepage knapp 30 Links zu den Seiten seiner Athleten geschaltet. Nur Jenny Wolf, die derzeit erfolgreichste, ist nicht dabei: "Wozu? Auf so einer Website stände auch nichts anderes als das, was ich den Journalisten sowieso schon erzähle."

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