Ungerechtigkeit bei Organspenden: Verwirrende Zahlenspiele

Das Verteilungssystem für Organspenden ist in die Kritik geraten. Vorliegende Daten lassen befürchten, dass Privatpatienten in Transplantationszentren bevorzugt wurden

Gibt es ein Zwei-Klassen-Transplantationswesen? Bild: dpa

Sprachschöpfungen gehören im Berliner Politikbetrieb zum täglichen Geschäft von Abgeordneten, Lobbyisten und Journalisten. Ein Spruch, der derzeit gern benutzt wird, um vermeintlich substanzlose Argumentationen zu brandmarken, heißt: "den Wodarg machen".

Als unfreiwilliger Namenspatron muss der SPD-Abgeordnete Wolfgang Wodarg herhalten. Denn der Gesundheitspolitiker hat vor Wochen viele, die ihr Geld in der Transplantationsbranche verdienen, mit zwei Vorwürfen nachhaltig verärgert. "Privatpatienten werden bei der Organspende bevorzugt!", hat Wodarg wiederholt gesagt und außerdem noch: "Es ist etwas faul im Transplantationswesen."

Ob Wodargs Kritik empirisch belegbar ist, wollte das Kölner Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie nun erforschen - sicher nicht ganz zufällig, denn Direktor des Instituts ist der SPD-Parlamentarier Karl Lauterbach. Also nahmen sich die Wissenschaftler die Berichte vor, die alle 46 deutschen Transplantationszentren für die Jahre 2004 und 2005 über ihre Arbeit veröffentlicht haben.

Laut Transplantationsgesetz (TPG) sind sie verpflichtet, ihre Tätigkeit alljährlich nach einheitlichen Kriterien öffentlich darzustellen. Bilanziert werden müssen unter anderem die Zahl der Organübertragungen und ihre Ergebnisse, die Entwicklung der Organwartelisten, Altersgruppe, Geschlecht, Familienstand und Versichertenstatus der Patienten.

Für ihre Erhebung interessierte die Kölner Gesundheitsökonomen um Studienleiter Markus Lüngen erst mal nur, "ob es Unterschiede nach dem Versichertenstatus (gesetzlich/privat) gibt." Doch bereits beim Erfassen der Datensätze entdeckten die Forscher Erstaunliches: Diverse Zentren hatten die gesetzlich vorgeschriebenen Angaben zur Art der Krankenversicherung einfach weggelassen.

Obendrein kam raus, dass viele Listen unvollständig und fehlerhaft ausgefüllt wurden. Ein typisches Beispiel für einen nicht stimmigen Datensatz findet man im Tätigkeitsbericht des Transplantationszentrums Kiel: 2005 hätten dort insgesamt 34 Patienten, 18 männliche und 16 weibliche, eine fremde Niere erhalten; 19 davon seien gesetzlich und 9 privat versichert gewesen, rechnen die Kieler vor - und verschweigen, welchen Versichertenstatus die übrigen sechs Nierentransplantierten hatten. Letztlich mussten die Kölner Forscher jeden zweiten Datensatz aussortieren, weil er mit fehlenden oder offensichtlich fehlerhaften Einträgen gespickt war.

Die verbliebenen "konsistenten Datensätze" werteten sie aus. Anschließend zogen sie folgende Bilanz: "Während im Jahr 2005 der Anteil der Privatpatienten an der Gesamtbevölkerung 10,25 Prozent ausmachte, erhielten sie 14,96 Prozent aller in den Jahren 2004 und 2005 transplantierten Organe."

Differenziere man nach einzelnen Körperteilen, seien "weitere Ungleichheiten zu erkennen", schreiben die Gesundheitsökonomen. Privatpatienten stellten einen Anteil von 10 Prozent auf der Warteliste, hätten 2005 aber insgesamt 21,5 Prozent der transplantierten Herzen erhalten; überrepräsentiert seien sie auch bei Übertragungen von Nieren, Lungen und Lebern.

Auffällig finden die Forscher zudem, dass die Transplantationszentren Privatversicherte "überdurchschnittlich oft mit Dringlichkeitsstatus" in die Warteliste eingestuft haben (15,97 Prozent der Patienten). Und vergleichsweise selten (5,4 Prozent der Fälle) sei ihnen die Aufnahme in die Warteliste verweigert worden.

Durch diese Auswertung sieht Wodarg seine Interpretation, wonach gesetzlich Versicherte bei der Verteilung von Organen tendenziell benachteiligt würden, im Grundsatz bestätigt. Gleichzeitig fordert er Krankenkassen, Aufsichtsbehörden, Kliniken und Ärzteschaft auf, nun endlich ins Detail zu gehen und weitere "alarmierende Sachverhalte" zu prüfen.

Tatsächlich werfen die Statistiken der einzelnen Transplantationszentren reichlich Fragen auf, zum Beispiel diese: Ist es Zufall, dass Ende 2005 auf der Warteliste für Lungentransplantationen in Hannover 130 privat versicherte und nur 38 gesetzlich versicherte Patienten verzeichnet waren? Wie kommt es, dass das Berliner Uniklinikum Charité (Campus Virchow Klinikum) für 2005 exakt 211 Nierentransplantierte angibt, aber nur von 158 Organempfängern den Versichertenstatus benennt (darunter 73 Privatpatienten)?

Verlässliche Antworten darf man nicht nur von den beteiligten Chirurgen und Klinikgeschäftsführungen erwarten. Gefordert ist auch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), deren Auftrag es ist, Organspenden hierzulande zu koordinieren. Das TPG verpflichtet die DSO, jedes Jahr einen detaillierten Bericht über die Tätigkeit sämtlicher Transplantationszentren zu veröffentlichen. Auf der DSO-Homepage steht gerade mal ein solcher Bericht - und zwar der mit zahlreichen Fehlern garnierte für 2005. Ein Vergleich mit den Daten vorhergehender Jahre, der auch Angaben zu Wartelistenzeiten und Funktionsraten transplantierter Körperteile einbeziehen könnte, ist so weder Wissenschaftlern noch der interessierten Öffentlichkeit möglich.

Und von unbequemen Politikern will sich die DSO offenbar gar nicht in die Karten schauen lassen. Jedenfalls weigert sich die Stiftung bislang schlicht, ältere Tätigkeitsberichte der Transplantationszentren an Wodarg herauszugeben. Zur Begründung schrieben die DSO-Chefs Günter Kirste und Thomas Beck am 30. November an den Bundestagsabgeordneten: "Sie haben mit Ihrer Fehlinterpretation der Zahlen für 2005 bereits großen Schaden für die Organspende-Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung angerichtet."

Wodarg findet, die seit 2000 offiziell als Organspende-Koordinierungsstelle fungierende DSO sei ihren Aufgaben nicht gewachsen und solle deshalb von diesen entbunden werden.

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