Zum Tod von Mel Cheren: Er war der Godfather of Disco

Mel Cheren war Mitbetreiber der legendären Diskothek Paradise Garage, dem Gegenpart zum Studio 54. Er gründete das Label West End und war einer der Erfinder der Maxisingle.

Mel Cheren starb mit 74 an den Folgen von Aids. Bild: west end records

Gerne schreibt man es nicht hin - aber es ist ein kleines Wunder, dass Mel Cheren es überhaupt bis ins Jahr 2007 geschafft hat. Nimmt man seine Autobiografie "Keep On Dancin" zur Hand und blättert sie bis zum Ende durch, landet man bei einer 14 eng bedruckte Seiten langen Liste verstorbener Freunde von Cheren. Gut ein Viertel hat ein kleines Sternchen hinter dem Namen. Es heißt: Mit dem hatte ich Sex.

Mel Cheren war der Godfather der New Yorker Discoszene. Er gründete das Label West End, er war Mitbetreiber der Paradise Garage, jenes legendären Ladens, in dem der DJ Larry Levan das moderne Plattenauflegen erfand. Und er war einer der letzten Überlebenden dieser Zeit. "Dies ist die Geschichte meiner schwulen Generation, der Welt, die wir aufgebaut haben, und der Welt, die wir verloren haben", schreibt er im Vorwort zu "Keep On Dancin".

Cheren hatte eine so erfolgreiche wie typische New Yorker Plattenfirmenkarriere hinter sich, als er im Zentrum von Disco landete. Bei ABC-Paramount hatte er mit allem möglichen Mainstreampop angefangen und brachte es vom Praktikanten zur Leitung. Nebenbei malte er auch, eines seiner Bilder wurde das Cover von "East Broadway Rundown", einem Album des Jazzsaxofonisten Sonny Rollins. 1970 ging er zu Scepter Records nach Los Angeles und war einer der Erfinder der Maxisingle (wer genau es war, ist bis heute unklar), des Mediums der Discorevolution. Auch die Idee, auf die B-Seite ein Instrumental des jeweiligen Songs zu pressen, stammt von Cheren. Als Scepter 1976 dichtmachen musste, ging Cheren zurück nach New York und gründete West End Records. Ein Jahr später eröffnete er zusammen mit seinem Freund Michael Brody die Paradise Garage.

Auf West End kamen Platten wie das berühmte "Is It All Over My Face" von den Loose Joints heraus, eines der vollkommensten Discostücke, oder Raw Silks "Do It to the Music". Die Paradise Garage wiederum kann man sich als den Gegenpart zum Studio 54 vorstellen. Dort ging man hin, um gesehen zu werden. Hierhin kam man, um beim Feiern nicht gesehen zu werden. Das Stammpublikum war schwul, schwarz und hispanic. Und es besuchte die Paradise Garage mit religiöser Hingabe - einen Laden, den Levan mit dem Charisma eines Predigers bespielte.

1987 musste die Garage schließen, seitdem ist ihr Ruhm als wichtigster Club in der Geschichte der Tanzmusik in mythische Größe gewachsen, ein zerstörter Tempel mit einem verstorbenen Erlöser an den Plattenspielern (heute ist es übrigens wieder ein Parkhaus). Wahrscheinlich habe es seit dem antiken Griechenland keine so glückliche Community sich liebender Männer gegeben wie im schwulen New York der Siebzigerjahre mit seinen Clubs, Saunen und Bars und der der Stadt vorgelagerten Insel Fire Island, schreibt Cheren in seinen Memoiren.

Als Aids wie ein Feuersturm durch die Community zu fegen begann, stellte Cheren der Organisation Gay Mens Health Crisis Räume in seinem Haus zur Verfügung und organisiert zahllose Veranstaltungen, um Geld für den Kampf gegen Aids aufzutreiben. In den letzen Jahren betrieb er in seinem Haus ein schwules Bed-and-Breakfast-Hotel.

Am Freitag ist Mel Cheren in New York an den Folgen von Aids gestorben. Er wurde 74 Jahre alt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.