: Grabenkrieg im Einheizer-Milieu
KREUZBERG UNTERTUNNELT Der Kachelofen hat ausgebullert. Im Kampf um potenzielle Neukunden überbieten sich Fernwärme-Anbieter mit immer neuem Erdaushub für Rohrleitungen. Erfahrungsbericht eines Anwohners
VON ANDREAS BECKER
Untergrundkampf ist ziemlich out. Doch in dieser Stadt scheint es konkurrierende Unternehmen zu geben, die kompromisslos Straßen erobern, ja ganze Viertel zunächst aufbuddeln, dann wieder zuschütten und dann auf Jahrzehnte für sich beanspruchen. Das Ende des Kachelofens und neue Abgasbestimmungen für Heizungsanlagen kommen ihnen gerade recht, um schleichende Territorialgewinne einzustreichen. Der Kampf ist simpel, sie verlegen jeweils zwei dicke Stahlrohre, mit ordentlich Isolierung drumrum. Im einen heißes Wasser, im anderen kühleres. Sie forschen sogar heimlich an Möglichkeiten, das Internet aus der Fernheizung zu beziehen – nicht aus dem gut leitenden Wasser, sondern aus dem Stahl. Aber das ist Zukunftsmusik.
Die Grenzüberschreitung
Die Gegenwart begann letztes Jahr mit einer radikalen Grenzüberschreitung. Plötzlich standen die Bagger vorm Moviemento-Kino am Kottbusser Damm. Als ich auf den Bauwagen das Schild der Lichtenberger Baufirma Otto Wöltinger las, hatte ich gleich einen Verdacht. Naiv hatte ich angenommen, Kreuzberg sei vor Eroberungsversuchen des Fernheizwerks Neukölln (FHW) sicher. Hatten uns doch bislang natürliche Hindernisse wie der U-Bahn-Tunnel und der Kanal abgeschottet. Dass spanische Hippness-Touristen aus Nord-Neukölln nach Kreuzberg rüberschwappen, ist wohl nicht mehr zu stoppen, aber jetzt auch noch Fernwärme? Einheizen konnten wir noch gut alleine in Kreuzberg.
Dann riss Otto Wöltinger die Straße am Zickenplatz auf. Tatsächlich wurden schwarze Stahlrohre mit Isoliermantel angeliefert. Am Kotti war der Durchbruch gelungen. Hatten nicht schon Tunnel den Vietnamkrieg entschieden – weil die großen Amis nicht durchpassten. Widerstand war nicht zu erkennen. In den Hauseingängen Zettel mit dem Angebot, sich doch demnächst Fernwärme „liefern“ zu lassen. Ein profitables Business: Im ersten Halbjahr erzielte FHW einen Gewinn von 3,2 Millionen Euro. Lustigerweise hatte ich dem Fernheizwerk vor Jahren schon ein gebogenes, leicht angerostetes Kurvenstück geklaut, das super als TV-Ständer funktioniert. Als ich in den Achtzigern an der Sonnenallee wohnte, war ich sogar etwa zwei Jahre Kunde des Fernheizwerks. Hatte ich zuvor autark über die Heizzeiten meines Kachelofens bestimmen können, war ich 1989 an der Sonnenallee vom Wohlwollen der FHW-Heizer abhängig. Nach 23.00 Uhr noch gemütlich rumsitzen ging nicht: die Spießerwärme wurde pünktlich gedrosselt – die gefürchtete Nachtabsenkung. Billig war’s auch nicht. Monate später – FHW hatte sich mittlerweile vor unserer Stammkneipe in der Dieffenbach ausgebreitet, Getränke-Hoffmann befürchtete die bevorstehende Aufgrabung seiner Parkplätze. Die Schlacht schien längst verloren, da tauchten aus der anderen Richtung konkurrierende Bagger auf. Genau vorm Prinzenbad! Diese Kampfeinheit war eindeutig vom Gegner (andere Rohre, andere Baufirma, bunteres Schild). Vattenfall grub sich kraftvoll Richtung Urban-Krankenhaus, auch die Reichenberger ist voller Sandhaufen. Mit etwas mehr Leuten hätte FHW das Urban längst erreicht gehabt – man hatte sich aber entschieden, dem direkten Kampf auszuweichen, und Richtung Urbanstraße und Hasenheide zu expandieren. Kräfte sammeln – oder der Rückzug nach Neukölln? Atomwärme gegen Spießerhitze – für wen sollte man jetzt sein? Sogar das geliebte Prinzenbad wurde angeschlossen.
Gerade schließt Vattenfall die ehemaligen Psychoabteilung des Urban an, aus der Öko-Familien-Wohnraum wird.
In einer komplett neoliberal bekloppten Welt müssten ja eigentlich mehrere Rohre mit Heizwasser parallel durch die Straßen verlaufen. Toll bei Fernwärmerohren ist, dass sie alle paar hundert Meter einen Knick brauchen. Das war in Ostberlin immer super zu sehen, wo sie die Rohre einfach über der Erde verlegten. An diesen Knicken kann man ohne zu krabbeln die dicken Rohre unterqueren.
Auch wenn Vattenfall doof ist – sie haben die schöneren Kanaldeckel. Enttäuschend dann das Ergebnis einer Besitzer-Recherche. Kein Kleinkrieg: FHW gehört zu über 80 Prozent Vattenfall. Wahrscheinlich werden die Netze der beiden Einheizer irgendwann verknüpft. Und die letzten Grabenkämpfe enden im Frieden eines den Menschen wärmenden Monopols.