Debatte Tarifrunde 2008: Mehr Geld ist zu wenig

Die Arbeitswelt im öffentlichen Dienst hat sich durch neue Techniken stark verändert. Die Gewerkschaften müssen das bei den jetzt beginnenden Tarifverhandlungen beachten

Die Forderungen der Gewerkschaften für die Tarifrunde 2008 sind klar: Es soll mehr Geld für die Beschäftigten geben. Ver.di fordert für den öffentlichen Dienst deutliche Lohnerhöhungen und wird dabei nicht nur von wahlkämpfenden Politikern unterstützt. Auch viele Volkswirtschaftler halten dadurch eine Steigerung der Binnennachfrage für möglich.

Die Forderung nach Tariferhöhungen allein wird dem Alltag in den Betrieben aber nicht gerecht. Mit dem neuen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst wurden auch Elemente der leistungsbezogenen Bezahlung eingeführt. Die Umsetzung erfolgt auf betrieblicher Ebene, durch Zielvereinbarung oder Beurteilungen. Die Verteilung wird in vielen Betrieben sehr subjektiv - nach Einschätzung des Vorgesetzten - vorgenommen. Mit dem Ergebnis: Viele Beschäftigte haben den Eindruck, dass Leistungszulagen nach der persönlichen Vorliebe des jeweiligen Chefs verteilt werden.

Erfahrungen mit Leistungsbezahlung bestehen im öffentlichen Dienst bisher kaum, sodass auch die Verwaltungsangestellten erst mit Konflikten umgehen lernen müssen. Mechanismen der betrieblichen Regulierung müssen erst gelebt werden. Ver.di ist auch in diesem Prozess gefordert und muss sich mehr einbringen. Denn eine einseitige Festlegung von Gehaltsbestandteilen durch Führungskräfte in vielen Betrieben wäre beispielsweise in der Metallindustrie kaum vorstellbar - da würden die meisten Produktionsarbeiter Aktivitäten ihrer Gewerkschaft einfordern oder aber direkt selbst aktiv werden.

Der verstärkte Technikeinsatz und die betriebswirtschaftliche Ausrichtung vieler öffentlicher Betriebe wirkt sich auf die Arbeitsbedingungen aus. Die Politik hat den vernetzten Einsatz digitaler Multimediatechnik im Behördenbereich entdeckt. Die Verwaltungsleistungen sollen online schneller, transparenter und kostengünstiger erbracht werden. Mit gravierenden Auswirkungen auf die Beschäftigten: Interne Verwaltungsabläufe werden weitgehend neu organisiert. Dies hat zur Folge, dass einfachere Tätigkeiten etwa von Schreibkräften entfallen, weil keine Notwendigkeit mehr besteht, Briefe in den behördeneigenen Computer zu übertragen.

Auch können bisher anspruchsvolle Aufgaben im Sinne des Technikeinsatzes normiert werden und damit zu einer Abqualifizierung der Arbeitsplätze führen. Sogenannte Expertensysteme können so bisheriges Spezialwissen, das z. B. bei der Bearbeitung von Anträgen von Bedeutung war, unwichtig werden lassen, da die neue Software durch die Arbeit "leitet" und Antworten als Varianten bereits vorgibt.

Andererseits kann die technische Steuerung der Arbeitsprozesse zu erheblicher Verdichtung der Arbeit führen. Die Schnelligkeit der Technik verdeutlicht ein Vergleich: Während ein Brief mehrere Tage unterwegs sein kann, erreicht eine E-Mail innerhalb von Sekunden den Empfänger. Eine Antwort wird dann auch in entsprechend kurzer Zeit erwartet. So entsteht Druck auf den Beschäftigten. Bedingt durch die Finanzlage öffentlicher Haushalte, werden sich Politiker an Entwicklungen in vielen Unternehmen orientieren. Immer mehr Betriebe legen Arbeitsaufgaben fest - nach dem Grundsatz "Lieber zu viel als zu wenig" - und verzichten auf die Erfassung der Arbeitszeit. Es zählt dann nur noch das Ergebnis. Für die Mitarbeiter bedeutet dies erhöhten Stress und oftmals Mehrarbeit ohne Bezahlung.

Hier ist die Gewerkschaft gefordert, auch Entwicklungspotenziale der Beschäftigten durch neue Technik einzubringen. So können erweiterte Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume und die Delegation von Verantwortung für den einzelnen Arbeitnehmer Forderungen sein. Qualifizierungsmaßnahmen nehmen an Bedeutung zu. In der Metallindustrie haben aus diesem Grund die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag zur Qualifizierung abgeschlossen.

Eine große Rolle spielt die Umqualifizierung, da durch Umstrukturierungen infolge des Einsatzes neuer Technik Aufgaben entfallen. So kann ein Arbeitnehmer nach Wegfall der Tätigkeit eine andere, zumindest gleichwertige Arbeitsaufgabe im Betrieb übernehmen. Der Tarifvertrag soll aber durch die Entwicklungsqualifizierung die Übernahme einer höherwertigen Arbeitsaufgabe im Betrieb ermöglichen. Der Begriff "lebenslanges Lernen" hat für viele Arbeitnehmer eine besondere Bedeutung. Die Umsetzung der Vereinbarung muss in vielen Betrieben aber erst erstritten werden, berichten IG-Metaller. Auch Ver.di ist für den öffentlichen Dienst gefordert.

Ein weiters tarifliches Thema: Standortpakt, betriebliche Bündnisse, Ergänzungstarifverträge -Gewerkschaften werden in letzter Zeit verstärkt mit der Forderung nach Personalkostensenkung durch Abweichungen vom Tarifvertrag konfrontiert. Die Probleme vieler Unternehmen hängen jedoch nicht mit den Personalkosten zusammen, sondern sind von der Produkt- und Marktpolitik der Geschäftsleitung abhängig. Eine besondere Rolle spielen dabei Innovationen. Das Thema Innovationen wird deshalb betrieblich von den Gewerkschaften aufgegriffen und bietet die Chance, sich aus der Defensive durch die Personalkostendiskussion zu lösen und zukunftsweisende Vorschläge zu erarbeiten, die das Unternehmen weiterbringen und so Arbeitsplätze sichern.

Die IG Metall hat erstmals in der Tarifrunde 2006 das Thema Innovationen unter dem Motto "Besser statt billiger" aufgegriffen. Die Gewerkschaft weiß: Innovationen durch neue Produkte oder verbesserte Dienstleistungen sind für viele Betriebe Grundlage des Unternehmenserfolgs. Die Erwartungen von Kunden werden größer, auch ist häufig ein schnelles Reagieren auf veränderte Kundenwünsche von Bedeutung. Konkurrenten können Produkte verbessern oder neue Produkte anbieten. Unternehmen benötigen deshalb die regelmäßige Weiterentwicklung ihrer Produkte und Dienstleistungen, um am Markt bestehen zu können.

Innovationen können einen Ausweg aus den oft desaströsen Preiskämpfen am Markt darstellen. Innovative Dienstleistungen und Produkte mit Nutzenvorteilen für die Kunden können die Basis steigender Nachfrage und neue Umsätze sein. Während oftmals Veränderungen nur genutzt werden sollen, um Kosten zu senken, kann mit den Beschäftigten gemeinsam ein Innovationsmanagement betrieben werden, das die Betriebe im Kundenservice voranbringt. Auch das kann ein Thema für den öffentlichen Dienst sein.

Auch für Ver.di sollten die Verhandlungen über die reine Lohnrunde hinausgehen. Es bietet sich eine Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten für eine innovative Tarifpolitik.

MARCUS SCHWARZBACH

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