F-Wörter am Stuttgarter Staatsschauspiel: Lieber Samen geschluckt

Was hat Pornografie mit Revolution zu tun? Am Stuttgarter Staatsschauspiel will "The Cocka Hola Company" nach Matias Faldbakkens Roman aufrütteln.

Einen sehr speziellen Widerstand gegen Lohnarbeit proben Simpel und ein paar unerschrockene Gleichgesinnte, die sich unter dem programmatischen Namen Desirevolution zusammengetan haben und Sexfilme drehen. Geld verdienen mit dem, was Spaß macht, nach dem Motto "lieber Samen geschluckt als in die Hände gespuckt", das haben sich die Aussteiger auf die Fahnen geschrieben. Der Feind ist dabei die Konsensgesellschaft der Etablierten, die sich vom Mainstream abzuheben meinen durch Kultur und längst Teil des Systems sind.

Die Wut auf die moderne westliche Gesellschaft, die sich jede Rebellion und selbst jede Schamlosigkeit einverleibt, hat sich der norwegische Autor Matias Faldbakken in seinem Roman "The Cocka Hola Company", dem ersten Teil der Trilogie "Skandinavische Misanthropie", von der Seele geschrieben. Am Stuttgarter Staatsschauspiel hat der Regisseur Volker Lösch jetzt den Versuch unternommen, das sarkastische, nicht mit F-Worten sparende Parlando der Vorlage erstmals auf die Theaterbühne zu bringen - mit einem zwiespältigen Ergebnis. Anders als ein Autor hat ein Theaterregisseur die Möglichkeit, die Rezipienten direkt anzusprechen. Davon macht Volker Lösch ausgiebig Gebrauch. Cary Gayler hat eine spannende und offene Bühnensituation im Kammertheater gestaltet, die das zulässt. Die Zuschauer sitzen nah dran am Geschehen an vier Seiten einer ovalen, silbern ausgekleideten Vertiefung, wo sich die rebellische Pornofilmcrew austobt. Auf den Matten ums Geviert wiederum agieren sozusagen abgefedert von allem Unbill die Vertreter der Konsensgesellschaft - ein Schulpsychiater (Jens Winterstein) und seine Frau (Marietta Meguid), eine Lehrerin (Dorothea Arnold) und ein Reinigungsmittelproduzent (Boris Burgstaller). Lösch will das Publikum, das gewissermaßen den erweiterten Repräsentantenkreis der Gesellschaft gibt, aus der Reserve locken. Aber auch wenn die Einbeziehungsaktionen etwas deftiger ausfallen, als man das so gewohnt ist, entlocken diese Pseudoprovokationen den im Regietheater erprobten Zuschauern eher ein gequältes Lächeln.

Bleibt also die eigentliche Aktion auf der Bühne. Auch hier will Lösch sichtlich für Zündstoff sorgen, indem er den Arbeitsalltag im Pornofilmgeschäft möglichst realitätsgetreu auf die Bühne bringt, Intimrasur zur Vorbereitung auf den Filmdreh inklusive. Ob man das alles wirklich so genau wissen muss und was der inhaltliche Mehrwert dabei ist, bleibt fraglich. Bedenkenswert ist da schon eher manch theoretischer Exkurs in Faldbakkens Text. Leider geht gerade der durch den meist atemlosen Schnellsprech der Rezitation, der fast ein wenig an Polleschs Theater erinnert, zu sehr unter.

Die Schauspieler, die sich mit vollem Einsatz ins Zeug legen, bekommen seitens der Regie allerdings wenig Möglichkeit, ihre Figuren auszugestalten. Lösch mag keine psychologische Ausdeutung der Charaktere, und für eine solche bieten sich die Protagonisten der "Cocka Hola Company" auch nicht an. Dennoch interessieren letztlich diejenigen Figuren am meisten, die nicht nur Schablonen sind, sondern etwas ausdrücken von der existenziellen Leere und Verzweiflung, die hinter der lustigen Pornosause stecken: Speedo (Zvonimir Ankovic), der sich zu Tode saufen will, Simpels völlig asozialer Sohn Lonyl (famos dargestellt von Jascha Stiller) und schließlich Simpel selbst. Kai Schumann spielt den einzig wahren Rebellen inmitten der Hedonisten, der die Gesellschaft durch subversive Projekte aufzustören versucht, mit einer solch phänomenalen Energie, die für sich genommen schon mitreißt.

Einige individualpsychologische und gesellschaftliche Mechanismen spricht Lösch in seiner Inszenierung klug an. Die autoritären Strukturen in der scheinbar libertären Gruppe, die Verräter gnadenlos bestraft, sind da zu nennen oder die Vereinnahmung von Simpels subversiven Projekten durch die Medien. In der irrigen Annahme, dass sich darüber eine reflektierende Ebene schon kristallisieren wird, beschränkt sich die Regie jedoch zu sehr darauf, alles möglichst drastisch darzustellen und exaltiert spielen zu lassen - seien es Gags oder Gewalt. Eine Vergewaltigung auf der Bühne - war da was? Im schrillen Tohuwabohu der Aufführung wird selbst eine solch brutale (zudem überflüssige) Szene en passant subsumiert. "Wenn ihr mich gut findet, habe ich verloren", sagt Simpel zum Schluss der Aufführung. Eben das gilt auch für die Inszenierung, die aufrütteln will, aber über weite Strecken nur amüsiertes Gelächter provoziert.

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