: Grelle Szene, erotische Abenteuer
HISTORIE Der stete Wandel Berlins spiegelt sich auch in den Kulissen zahlreicher Filmklassiker
Der Wandel, den Berlin seit der Wende erlebt, mag tiefgreifend sein, doch hat es schon früher radikale Veränderungen gegeben. Die wohl radikalste war die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Die halbe Stadt verschwand, verwandelte sich in Schutt. Noch immer, wenn auch aus anderen Gründen, sind markante Gebäude plötzlich weg, Stadtansichten ändern sich. Der über 100 Jahre alte, viel zitierte Satz Karl Scheffers, Berlin sei dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein, hat noch immer Bestand.
Irgendwann jedoch gerät auch der Verlust in Vergessenheit. Fotos in Stadtarchiven und historische Postkarten sind eine Möglichkeit, die verschwundene Stadt in Augenschein zu nehmen. Eine andere, spannendere, vielleicht lebendigere sind alte Filme, denen die Stadt als Kulisse diente. „Die Sinfonie der Großstadt“ (Regie: Walter Ruttmann, 1927) etwa zeigt größtenteils ein verschwundenes Berlin.
Futuristisches Tempelhof
Weniger bekannt dürfte „Emil und die Detektive“ in der Verfilmung von Gerhard Lamprecht sein (1931, nach dem Roman von Erich Kästner, Drehbuch: Billy Wilder), der die quirlige Geschäftigkeit der Berliner Mitte, den Bahnhof Friedrichstraße und den Alexanderplatz vorführt, gerade so, als handele es sich um eine Berlinwerbung (mitten im Film und von der Handlung gänzlich entkoppelt betrachtet Emil minutenlang ein Prachtgespann der Berliner-Kindl-Brauerei). Die Nachkriegsverfilmung des Kinderkrimis von 1954 zeigt eine sonnendurchflutete, manchmal seltsam leere und dadurch futuristisch anmutende Weite zwischen den Genossenschaftsbauten Tempelhofs.
In Roberto Rossellinis „Deutschland im Jahre Null“ (1948) treten die Verheerungen des Krieges, die Ödnis des Tiergartens, die Überreste der Neuen Reichskanzlei als äußerliches Äquivalent der psychischen Verfasstheiten ihrer Bewohner fast gleichberechtigt neben den Darstellern auf. Wie man vergessen und sich zu einem im materiellen wie im moralischen Sinne besseren Leben hinarbeiten will, ist Thema in „Und über uns der Himmel“ (1947, Regie: Josef von Baky, mit Hans Albers) und „Unter den Brücken“ (1946, Regie: Helmut Käutner, mit Gustav Knuth und Hildegard Knef). Beide Filme spielen im Milieu hart arbeitender Proletarier, die in kriminelle Machenschaften oder Liebesdinge verstrickt sind.
Im Kalten Krieg wurde Berlin ein Hauptschauplatz. Die besten Spionagefilme der 1950er- und 60er-Jahre („The Man Between – Gefährlicher Urlaub“, „Das Quiller-Memorandum“, „Funeral in Berlin“) nutzen die immer noch deutlich sichtbaren Zerstörungen der Stadt als Kulisse, zeigen allerdings zunehmend die wieder erblühten Orte des Sozialen sowie die Berliner Mauer in ihrem Frühstadium. Eva Renzi und Paul Hubschmid, das spätere Traumpaar des deutschen Films, spielen nicht nur in „Funeral in Berlin“, sondern auch in dem bemerkenswerten, doch fast vergessenen „Playgirl –Berlin ist eine Sünde wert“, das die Stadt als einen temporeichen Ort des erotischen Abenteuers und weltlicher Vergnügungen inszeniert.
In „Ich, ein Groupie“ (Regie: Erwin Dietrich, 1970) spielt nur das letzte Drittel in Berlin, doch scheint hier kurz eine Szenevergangenheit auf: Eine ganz junge Ingrid Steeger trifft im damaligen Club Old Eden auf einen ebenfalls noch jungen Rolf Eden. Den Rolls-Royce hat er da schon, man fährt gemeinsam durch das nächtliche Berlin. Das Ende ist tragisch: Das Mädchen stirbt an einer Überdosis, auf dem Kopfsteinpflaster im Wedding.
Erwähnt werden soll schließlich noch der seltsame Gruselthriller „Possession“ mit Isabelle Adjani und Sam Neill, die in Kreuzberg, wo die Waldemar- und die Luckauer Straße in einem toten Winkel an der Mauer enden, ein Monster züchten. Die desolat-romantische Stimmung jener Zeit wird trefflich eingefangen. Das Lokal Stiege, ebenfalls Drehort, existiert nahezu unverändert bis zum heutigen Tag. Manchmal findet sich in vergessenen Filmen eben auch ein Stück Gegenwart. HEINRICH DUBEL