Kommentar Warnstreiks: Logik der Erpressung

Die Arbeitgeber haben die Warnstreiks provoziert und auch bekommen. Jetzt sollten sie Ver.di entgegenkommen.

Darf Ver.di das? Einfach einen Warnstreik im öffentlichen Dienst ausrufen? Zumindest die kommunalen Arbeitgeber tun so, als seien sie empört. Was sie offiziell besonders stört: Ver.di habe die Warnstreiks ab Donnerstag nicht spontan angesetzt - sondern schon recht lange geplant! Statt ernsthaft zu verhandeln, würde Ver.di einem längst festgelegten "Drehbuch" folgen.

Tatsächlich können die Arbeitgeber jedoch froh sein, dass Ver.di so schnell zum Warnstreik ruft. Das spart Zeit und Nerven - bei Arbeitgebern wie Gewerkschaften. Denn Tarifverhandlungen folgen der Logik der Erpressung; sie verlangen die Inszenierung eines leidenschaftlichen Kampfes. Wenn gestreikt wurde, werden Beschäftigte wie Dienstherren hinterher eher glauben, dass der Lohnkompromiss unvermeidlich war, den ihre Abgesandten ausgehandelt haben. Ein ordentlicher Streik rettet die Ehre - auf beiden Seiten.

Jedenfalls haben die öffentlichen Arbeitgeber nichts getan, um die Warnstreiks zu vermeiden. Offiziell bieten sie zwar 5 Prozent mehr Lohn, doch faktisch gleicht ihr Angebot noch nicht einmal die Inflationsrate aus. Während die Finanzminister Steuerüberschüsse melden, sollen ihre Beschäftigten erneut Reallohneinbußen hinnehmen. Ein solches Angebot kann nur abgelehnt werden, wie die Arbeitgeber bestens wussten. Sie haben den Streik provoziert.

Für Ver.di geht es diesmal um alles. Schon seit Jahren sinken die Reallöhne im öffentlichen Dienst - die Gewerkschaft kann aufgeben, wenn es noch nicht einmal in Zeiten der Steuerüberschüsse gelingt, einen realen Zuwachs bei den Gehältern zu erzielen. Ver.di würde als Lobbytruppe erkennbar überflüssig, was einen Trend verstärkte, der sich sowieso schon abzeichnet: Wer immer im öffentlichen Dienst an einer zentralen Stelle beschäftigt ist, würde sich in einer Spartengewerkschaft zusammenschließen. Die Ärzte haben es längst vorgemacht. Diese Aussicht muss auch die Arbeitgeber schrecken. Es ist in ihrem höchsteigenen Interesse, Ver.di entgegenzukommen. Nach ein bisschen Streik natürlich. Es soll ja nicht aussehen, als habe man sich über den Tisch ziehen lassen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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