Die Berlinale ist vorbei: Schlag auf den Solarplexus

Die Welt ist mies. Wer darüber einen wütenden Film dreht, hat gute Chancen, wie die Preise für "Tropa de Elite" oder "Standard Operating Procedure" belegen.

Sie tragen Gold und Silber nach Hause: Errol Morris, Sally Hawkins und José Padilha. Bild: dpa

Die Schönheiten der Berlinale liegen an den Rändern. In einer nachmittäglichen Vorführung im Delphi, einem Kino im alten Westen Berlins, läuft "Tenshi no kokotsu" ("Ekstase der Engel", 1972) des japanische Regisseur Wakamatsu Koji, ein Film über eine linksradikale, revolutionäre Gruppe, den Wakamatsu als Pink Eiga, als Softporno, inszenierte. Die Figuren, Frauen wie Männer, heißen Herbst, Montag, Oktober oder Februar, und weil sich Wakamatsu für die Selbstzerfleischungen im revolutionärem Prozess interessiert, schaut er ihnen in erster Linie dabei zu, wie sie sich untereinander bekämpfen, statt ihre Energie wider das verhasste System zu richten.

Besonders seltsam ist, dass die militanten Kämpfer ihre Strategien und Theorien debattieren, während sie eher lustlos, fast gelangweilt Sex haben. Was Wakamatsu am Genre des Pink Eiga gereizt habe, will ein Zuschauer im anschließenden Gespräch wissen, und Wakamatsu antwortet, dass es für ihn ein Mittel zum Zweck gewesen sei - für die Produktion eines Pink Eiga habe er Geld bekommen, die Produktionskooperative Art Theatre Guild sei hinterher trotz der vielen nackten Haut nicht zufrieden gewesen. Christoph Terhechte, Leiter des Forumprogramms, will wissen, ob Wakamatsu je darüber nachgedacht habe, sich der terroristischen Japanischen Roten Armee anzuschließen. O ja, antwortet der Regisseur. Nur habe man ihm zu verstehen gegeben, dass er als Filmemacher der revolutionären Sache besser diene denn als Kämpfer.

Aus dieser Mischung aus Sex, bewaffnetem Kampf und politischem Aufruhr einer vergangenen Zeit bleibt etwas Krudes, Unaufgelöstes zurück, etwas, was sich der Durchschaubarkeit entzieht. Eine Kinoerfahrung, die keine Antworten bereithält, sondern Fragen stellt: Wie verhält sich die Radikalität der Figuren zur Softporno-Oberfläche? Wie die von den filmsprachlichen Neuerungen der 60er-Jahre beeinflusste Ästhetik zum Anspruch, als kommerzielles Produkt zu funktionieren? Wie der historisch durchaus berechtigte Unwillen angesichts der politischen Verhältnisse zum Wahnsinn der militanten Akteure?

Wakamatsu, dessen jüngster Film "United Red Army" - zu sehen im Programm des Forums - noch einmal und mit großer Hartnäckigkeit verfolgt, wie sich die jungen Revolutionäre im Japan der frühen 70er selbst fertig machten, scheint halb noch immer der Radikalität von einst anzuhängen, halb hat er sie schon damals mit seinen Filmen infrage gestellt. Daraus resultiert eine produktive Unruhe, von der im Zentrum der Berlinale, im Wettbewerbsprogramm und in den Juryentscheidungen, leider nur sehr wenig zu spüren ist.

Paradigmatisch hierfür ist der Film, der am Samstagabend den Goldenen Bären erhielt, José Padilhas "Tropa de Elite" ("Eliteeinheit"). Er handelt vom Einsatz einer Polizeitruppe in einer Favela von Rio und spielt im Jahr 1997, kurz vor dem Besuch des Papstes in der südamerikanischen Stadt. Der Papst hat sich in den Kopf gesetzt, bei einem befreundeten Bischof am Rande einer Favela zu übernachten. Damit er ruhig schlafen kann, muss die entsprechende Favela pazifiziert werden. Damit beauftragt werden Capitão Nascimento (Walter Moura) und dessen Mannen von der Eliteeinheit Bope. Die gewöhnliche Polizei ist so korrupt, dass mit ihr nicht zu rechnen ist, die Eliteeinheit ihrerseits nimmt keine Schmiergelder an; dafür findet sie Folter okay. Einmal zum Beispiel drohen Nascimentos Leute einem 13-Jährigen, ihn mit einem Besenstiel zu vergewaltigen, damit er verrät, wohin der Drogenboss und Oberschurke geflüchtet ist.

Padilhas Inszenierung ist dabei so unruhig, so druckgeladen, dass sie nur zu einer schockhaften, nie zu einer nachhaltigen Verstörung führt. Die Kamera schwenkt, zoomt und zittert. Was sie nicht von sich aus an Bewegung und Überdruck mitbringt, besorgen Montage und Soundtrack. In Brasilien wurde dem Film vorgehalten, er idealisiere die Arbeit der Elitetruppe. Ein etwas schneller Vorwurf, da die Methoden von Bope nicht wirklich gefeiert werden. Sicherlich, es gibt den von Heavy Metal unterlegten, glorifizierenden Zoom auf das Abzeichen von Bope, einen Totenkopf. Zugleich aber wird deutlich, dass Nascimentos Wahrnehmung der Ereignisse, die als Off-Kommentar die Tonspur beherrscht, mächtig verstrahlt ist. Mit keinem der Akteure sympathisiert Padilha, alle bekommen seinen heiligen Zorn zu spüren, egal ob Dealer, normale Polizisten, Elitepolizisten oder idealistische Studenten, die mit ihrem Drogenkonsum die Geschäfte in der Favela am Laufen halten. Wenn überhaupt, dann ist der Film in diesem Punkt reaktionär: wo kleine Kiffer denunziert werden und noch mehr diejenigen, die sich mit den herrschenden Kräften in der Favela arrangieren, um dort soziale Arbeit zu leisten.

Das größere Problem von "Tropa de Elite" freilich liegt dort, wo der Film darauf setzt, die Gewalttätigkeit der Zustände ästhetisch zu verdoppeln. Wie ein permanenter Schlag auf den Solarplexus geriert er sich. Mag sein, Padilha ist wütend und will diese Wut nicht filtern, was dabei aber herauskommt, ist ein Kino, das lieber wild um sich schlägt, als irgendeine Form der Reflexion zu ermöglichen.

Die von Costa Gavras präsidierte Jury schien das nicht weiter zu stören. Sie gab "Tropa de Elite" den Vorzug gegenüber der allseits favorisierten Ölsaga "There Will Be Blood" von Paul Thomas Anderson. "There Will Be Blood" erhielt zwei Silberne Bären, einen für die beste Regie, den zweiten für eine herausragende künstlerische Leistung, nämlich für Jonny Greenwoods fremdartigen, kalten, insektenhaft sirrenden Soundscape. Man hätte dem Film den Hauptpreis allein schon deshalb gegönnt, weil "There Will Be Blood" sich zuallererst als Film ernst nimmt - und nicht als Kommentar zum Weltgeschehen.

Das ist das grundlegend Verhängnisvolle am Wettbewerb der Berlinale: dass man in jedem Jahr von Neuem den Eindruck gewinnt, es gehe Dieter Kosslick und seinem Team weniger ums Kino als um Statements zur miesen Lage der Welt. Zwar brüsten sich auch in Cannes die Festivalmacher damit, den jeweils neuen Film von Michael Moore zu zeigen. Doch mit großer Hingabe kümmern sie sich um Regisseure wie Gus Van Sant, Alexander Sokurow oder die Brüder Dardenne. Den Spaß, den ein neuer Film der Brüder Coen oder von Quentin Tarantino macht, haben sie deshalb nicht weniger im Blick. Im Berliner Wettbewerbsprogramm hingegen sind sowohl die Autorenfilmer als auch der Spaß mit der Lupe zu suchen. Es ist schlichtweg bedauerlich, wenn tolle, reiche Filme wie Jacques Doillons "Le premier venu" ("Der Erstbeste") im Forum laufen und im Wettbewerb Banalitäten wie Robert Guédiguians "Lady Jane". Es ist nicht minder schade, wenn die Jury an wichtigen Filmen des Wettbewerbs - an Hong Sang-soos "Bam gua nat" ("Nacht und Tag") oder an Lance Hammers "Ballast" - vorbeivotiert.

"Tropa de Elite" ist nur ein Beispiel für die Ausrichtung des Wettbewerbs auf die Konfliktzonen der Welt. Errol Morris Dokumentation "Standard Operating Procedure" über Folter und Fotografien in Abu Ghraib wäre ein weiteres. Morris, der den Großen Preis der Jury erhielt, beweist dabei allerdings mehr Geschick als Padilha, da es ihm gelingt, die Denkweisen und Handlungsmuster der US-Soldaten in dem irakischen Gefängnis anschaulich zu machen. "Standard Operating Procedure" ist damit ein wichtiges Stück Tätergeschichte. Ob die zwischen die Interviews montierten Nachinszenierungen der Folter zum Verständnis beitragen oder nicht, ist damit nicht entschieden. Immerhin weiß Morris, was er mit diesen extremen Re-Enactment-Szenen will - er zerstückelt, was er zeigt, weil er eine kohärente, Überblick und Ordnung stiftende Wahrnehmung aushebeln will.

Vollends naiv wiederum gerät der deutsche Wettbewerbsbeitrag "Feuerherz" von Luigi Falorni. Falorni hat die umstrittene Autobiografie der eritreisch-deutschen Sängerin Senait Mehari adaptiert; auf der Pressekonferenz sagte er, er wolle das einzelne Schicksal zu einer universellen Geschichte über Kindersoldaten weiten. Dementsprechend tilgt er in seiner Inszenierung alles, was spezifisch ist. Über Eritrea als Land mit konkreten Konflikten erfährt man wenig; warum sich zum Beispiel die beiden Befreiungsbewegungen so bitterlich bekämpften, bleibt im Dunkeln. Im Begriff des Kindersoldaten klingen zudem Gräuel an, wie sie aus dem Norden Ugandas, aus Sierra Leone oder aus dem Osten des Kongos überliefert sind; damit aber hat Eritrea zu Beginn der 80er-Jahren nicht allzu viel gemein.

Was aber bleibt, wenn das Spezifische nivelliert wird? Betroffenheitskino. Eine gedankliche Anstrengung macht es nicht nötig, lieber fördert es den wohligen Schauer, der aus dem Anblick fremden Elends resultiert.

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