Vor Abstimmung in Pakistan: Wahlkampf mit einer Ermordeten

In Pakistan führt die Volkspartei der ermordeten Oppositionspolitikerin Bhutto vor den Parlamentswahlen am Montag die Umfragen an. Doch die Bevölkerung ist zutiefst verunsichert.

"Welche Wahl haben wir denn?": Plakate für Parlamentswahl in Pakistan Bild: dpa

LAHORE/ ISLAMABAD taz Alle größeren Straßen in Pakistans Kulturmetropole Lahore sind mit Wahlplakaten gepflastert. Lautsprecherwagen aller großen Parteien fahren bis spät in die Nacht durch die Wohnviertel und versuchen, Stimmung zu machen für die Wahlen, die über Pakistans schwierige Zukunft entscheiden sollen. Vereinzelt gehen Anhänger in kleinen Gruppen hinter mit Wagen mit, doch allzu viele sind es nicht; zu oft haben sich in den vergangenen Wochen inmitten solcher Umzüge Fanatiker in die Luft gesprengt. Die Terror-Taktik der Islamisten in der ansonsten überwiegend gemäßigt religiösen Islamischen Republik geht auf: Viele Pakistaner sind angesichts der Wahlen zutiefst verunsichert oder bleiben gleich zu Hause. Viele von ihnen blicken auf die Wahlen ohnehin mit einem Schulterzucken.

"Welche Wahl haben wir denn?", fragt Sherry. Der mittezwanzigjährige Mathematikstudent, krauses schwarzes Haar, Ziegenbart, hat sich in einem Café im Süden der Stadt mit Freunden getroffen. Sie alle studieren an der Hochschule für Managementstudien. "Die letzten acht Jahre hat die Armee das Land alleine regiert", sagt Sherry. Zur Wahl stünden jetzt eigentlich nur Nawaz Sharifs Muslimliga (PML-N), eine Partei von Großindustriellen, oder Bhuttos Volkspartei (PPP). "Großgrundbesitzer", erklärt Hasan, lockige schwarze Haare, Dreitagebart, BWL-Student. Zumal in Pakistan niemand mehr dem Quasi-Parteichef der PPP, Bhuttos Witwer Asif Ali Zardari, über den Weg traue. Zardari hatte sich während der beiden Amtszeiten seiner Frau an der Staatskasse bereichert und saß wegen etlicher Vergehen jahrelang im Gefängnis. Und die PML-Q, die Partei der Musharraf-Unterstützer? "Die möchte niemand im Amt sehen. Die meisten Menschen hassen Musharraf und die Armeeführung", sagt Hasan. Nach aktuellen Umfragen kommt die Partei der "Königsmacher" auf gerade einmal 15 Prozent der Stimmen.

Die Ahnung, einer kleinen herrschenden Elite ausgeliefert zu sein und das betäubende Gefühl der Ohnmacht angesichts des brutalen Bhutto-Mordes bringt zunehmend auch die Idee eines übergeordneten Vielvölkerstaates Pakistan ins Wanken. Adeel, Anfang 20, stammt aus Karatschi in der südlichen Provinz Sindh, der Heimat der ermordeten Benazir Bhutto. Er sagt: "Viele Sindhis sind überzeugt, dass die Regierung hinter dem Mord steckt. Daher wird die Forderung nach einer Loslösung von Pakistan dort seitdem immer stärker." Auch in vielen Zeitungen wird schon diskutiert, ob es Pakistan in ein paar Jahren überhaupt noch geben wird, oder ob das Land nicht schon bald in seine Provinzen zerfällt. Pakistan ist ein Staat in der Sinnkrise.

Zu der ohnehin schlechten Stimmung im Land trägt auch die aktuelle Wirtschaftskrise bei. Die Stromversorgung bricht im ganzen Land mehrmals am Tag zusammen, die Gaslieferungen aus der westlichen Provinz Belutschistan kommen wegen eines Konflikts mit dortigen Stammesrebellen immer wieder zum Erliegen. Wegen einer Weizenknappheit muss das Land gegen teure Devisen Getreide aus dem Ausland einkaufen, was wiederum die Inflation in die Höhe treibt. Der Staat kann sich nur noch durch Kredite aus Saudi-Arabien und den milliardenschweren Finanzspritzen aus den USA über Wasser halten.

Viele Pakistaner hatten große Hoffnungen in Imran Khan gesetzt, den ehemaligen Teamchef der pakistanischen Kricket-Nationalmannschaft, der vor einigen Jahren seine eigenen Partei gegründet hat. Khan genießt, im Gegensatz zu den meisten anderen Politikern des Landes, den Ruf von Integrität und Unbestechlichkeit. Doch Khan tritt bei den Wahlen nicht an. "Ich führe eine Kampagne an für einen generellen Boykott der Wahlen, so lange nicht die Justiz des Landes wiederhergestellt wird", sagt er. Ohne eine freie Justiz könne es keine Demokratie geben.

Im November hatte Musharraf den Notstand verhängt und die Richter des Obersten Gerichts abgesetzt, als die damit drohten, seine erneute Kandidatur zum Präsidenten zu kippen. Mehr als die Hälfte der höheren Richter des Landes mussten damals gehen und wurden durch Gefolgsleute der Regierung ersetzt. Anschließend ließ sich Musharraf von den Abgeordneten seiner Unterstützerpartei PML-Q zum Präsidenten wählen und baute seine Befugnisse durch umstrittenen Verfassungszusätze aus. Erst danach nahm er den Notstand zurück und kündigte Wahlen an. So abgesichert, ließ Musharraf auch Nawaz Sharif, den er 1999 aus dem Amt geputscht hatte, nach acht Jahren im Exil wieder einreisen.

Nawaz Sharifs Hauptquartier in Lahores besseren Viertel Model Town ist gesichert wie eine Festung. Die Außenwände der Villa, in der sich die Wahlkampfzentrale seiner PML-N befindet, sind flächendeckend mit Wahlplakaten beklebt. Private Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren stehen auf dem ganzen Gelände. Spätestens seit dem spektakulären Mord an Benazir Bhutto wissen pakistanische Spitzenpolitiker, wie gefährlich sie leben.

Die Tür zu Sharifs Wahlkampfzentrale öffnet sich. Der Politiker tritt nach außen und steigt, bewacht von seinen Bodyguards, in seinen großen gepanzerten Toyota-Geländewagen ein. "Er fährt in eine nahe gelegene Moschee zum Gebet", sagt ein Anhänger seiner Partei.

Vermutlich deswegen ist er den USA suspekt. Die Supermacht hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass Sharif ganz sicher nicht ihr Wunschkandidat wäre. Zu sehr betont er seine guten Beziehungen zu den Religiösen im Land. Benazir Bhutto hingegen hatte immer gesagt, sie werde den Kampf gegen die Islamisten in den Nordwestprovinzen fortsetzen. Lange sah es danach aus, als würden sich Bhutto und Musharraf die Macht teilen, was vor allem in den USA als optimale Lösung gesehen wurde. Die Hoffnung darauf starb am 27. Dezember mit Bhuttos spektakulärer Ermordung.

Heute erinnert nur noch ein riesiges Plakat mit ihrem Porträt an der Ausfahrt des Liaquat-Parks in Rawalpindi an den Ort ihres tragischen Todes. Davor liegen nur einige wenige Blumensträuße, Kränze und Lampen. Auf einem Tisch neben dem Plakat liegen Poster und gerahmte Bilder von Bhutto zum Verkauf aus. Es scheint, als wolle sich Pakistan den schmachvollen Mord an der charismatischen Benazir nicht eingestehen. Auf allen Wahlplakaten, in allen Wahlwerbespots, auf Autos, Rikschas und LKW ist sie abgebildet. "Wählt die Pakistanische Volkspartei", sagt ihr 19-jähriger Sohn Bilawal in einem Werbespot. "Denn sie hat für diese Wahlen ihr Leben geopfert."

Bhuttos kraftvolle Rede, die sie kurz vor ihrem Tod gehalten hat, wird wieder und wieder durch übersteuerte Megaphone durch die Straßen Islamabads getragen. Ihre Anhänger fahren in einem lauten durch die Planquadrate der am Reißbrett entworfenen Hauptstadt Pakistans. Aus allen Fenstern der zwei Dutzend Wagen strecken sich die meist jungen Anhänger der PPP nach außen und schwenken die rot-schwarz-grünen Flaggen ihrer Partei. Die Stimmung bei ihnen ist gut, denn die PPP liegt in allen Umfragen vorne.

Mohammad Siddiq, ein 20-jähriger Mathematikstudent aus den Stammesprovinzen im Nordosten des Landes steht auf einer Hauptstraße und schaut dem Autokorso hinterher. Hinter ihm liegt Islamabads Rote Moschee. Hier hat vor rund einem halben Jahr der Krieg der Islamisten gegen den pakistanischen Staat seinen Ausgang genommen.

Monatelang hatte die Koranschule der Moschee im Zentrum von Islamabad mit ihren über tausend Schülern den Staat provoziert. Aufgehetzt von religiösen Fanatikern haben die Koranschüler das gesamte Viertel in Angst versetzt. "Ein Mal", erzählt Mohammad, "bin ich in einem Internetcafe gesessen. Da sind zwanzig von denen reingestürmt und haben sich angeschaut, auf was für Webseiten die Besucher surfen." Auf einem Monitor sei ein Bollywood-Musikvideo gelaufen, an einem anderen Rechner habe sich ein junger Mann "detaillierte Fotos" heruntergeladen. Die Koranschüler zwangen alle, erzählt Mohammad, das Café zu verlassen und drohtem dem Besitzer, sie würden wiederkommen, wenn er so etwas in Zukunft nicht verhindere. Alle DVD- und Musikgeschäfte in dem Viertel haben aus Angst vor den Koranschülern geschlossen. Die Fanatiker haben somit ausgerechnet den "Melody Market" im Zentrum von Islamabad zum Verstummen gebracht.

Immer öfter kam es aber auch zu Schießereien mit Sicherheitskräften. Im Juli griff Präsident Musharraf gegen die Hardliner hart durch. Er ließ seine Armee die Anlage stürmen, mehr als hundert Menschen kamen ums Leben. Heute befindet sich an der Stelle der einstigen Koranschule nur noch eine Schotterfläche. Die Regierung hat das Gebäude, das durch die Kämpfe schwer beschädigt wurde, bis auf den letzten Stein abtragen lassen. In dem Wohnheim der Schule auf der anderen Straßenseite sind alle Fenster zerschossen, Rußspuren deuten auf heftige Kämpfe auch in diesem Gebäudekomplex hin. Ein Teil des Gebäudes ist bei den Gefechten eingestürzt. Davor sitzen rund ein Dutzend Frauen in schwarzen Burkas. Vor der Moschee, einem unscheinbaren modernen Zweckbau mit spitzen weißen Minaretten, steht ein religiöser Lehrer in traditionellen Gewändern. Der zerstörte Gebäudekomplex ist zu einem Wallfahrtsort für Islamisten aus ganz Pakistan geworden.

"Viele Pakistaner fanden es berechtigt, dass Musharraf gegen die Radikalen vorgegangen ist", sagt Mohammad. "Aber die vielen toten Glaubensbrüder und -schwestern bedauern alle." Musharraf hätte mit den Extremisten vor seiner Haustür verhandeln sollen, meint der junge Student.

Für die Militanten war der Sturm auf die Rote Moschee die Stunde Null im Kampf gegen die Regierung. Seitdem vergeht fast kein Tag, an dem sich nicht irgendwo im Land ein Attentäter vor Soldaten oder Vertretern des Staates in die Luft sprengt. Auch Politiker geraten immer wieder in die Schusslinie der Fanatiker. Erst am Samstag starben bei einem Anschlag auf ein Büro eines PPP-Abgeordneten im unruhigen Nordwesten mehr als 30 Menschen.

Daher sollen 60.000 Soldaten und Polizisten die Wahllokale im ganzen Land sichern. Sie haben den Befehl, bei ernsten Vorfällen sofort zu schießen. Denn mehrere Islamistenführer haben angekündigt, sie würden die Wahlen stören.

Doch die wirklich kritischen Phase kommt erst in den Tagen danach. Sollten sich die vielen Vorwürfe von Manipulationen bewahrheiten oder gar die Partei der Musharraf-Unterstützer gewinnen, drohen ganz Pakistan Unruhen, wie es sie nach dem Bhutto-Mord gesehen hat. Dem Land steht eine turbulente Woche bevor.

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