Wahlkampf in Hamburg: "Schwarz-Grün ist unwahrscheinlich"

Steuerflucht-Affäre oder die DKP-Schlagzeilen der Linken entscheiden nicht die Hamburg-Wahl. Wichtiger sind die Themen Armut und Bildung, so die Politologin Christine Landfried.

Naumann hat die Kinderarmut zu seinem Thema gemacht, Beust inszeniert sich als Bürgermeister. Bild: rtr

taz: Frau Landfried, am Sonntag wählt Hamburg - haben Sie dafür schon geübt?

Christine Landfried: Es ist tatsächlich viel Papier, aber da kann man sich reinfuchsen.

Jeder Wähler hat nun 12 Stimmen und muss sich durch 30-seitige Listen wühlen - der Wahlleiter fürchtet schon, dass manche Bürger überfordert sein könnten.

Dennoch war es eine notwendige demokratische Korrektur. Nun kann man Personen in Wahlkreisen wählen; früher gab es nur die starren Parteilisten.

Nach dem polarisierten Wahlkampf in Hessen fiel in Hamburg auf, wie respektvoll die beiden Spitzenkandidaten Kandidaten Ole von Beust (CDU) und Michael Naumann (SPD) miteinander umgingen. Kommt die große Koalition?

Sie wird von den Parteien nicht angestrebt - und von den Bürgern nicht gewollt. Umfragen zeigen: Je nach politischer Heimat wünschen sich die Wähler entweder ein rot-grünes Bündnis, eine CDU-Alleinherrschaft oder eine schwarz-gelbe Koalition.

Aber laut Umfrage dürfte keine dieser Optionen eine Mehrheit erreichen. Wird Hamburg also zum bundesweiten Trendsetter - mit der ersten schwarz-grünen Regierung?

Die Hamburger Grünen sind tatsächlich sehr ausgeprägte Realos. Wenn eine schwarz-grüne Koalition überhaupt möglich ist, dann am ehesten in Hamburg. Aber nach den neuesten Umfragen hätte auch diese Konstellation nicht unbedingt eine Mehrheit. Vor allem aber ist Schwarz-Grün bei den Wählern sogar noch unbeliebter als eine große Koalition! Insofern war es von den Grünen strategisch richtig, dass sie im Wahlkampf ein Bündnis mit der CDU faktisch ausgeschlossen haben. Das bedeutet aber auch, dass die Grünen ein Problem mit ihrer Glaubwürdigkeit bekämen, wenn sie hinterher doch eine Koalition mit der Union eingingen. Daher halte ich Schwarz-Grün für eher unwahrscheinlich.

In Hessen zeichnet sich ab, dass sich Rot-Grün von den Linken tolerieren lässt. Wäre das auch ein mögliches Modell für Hamburg?

Nein. Die SPD hat sich ganz klar von den Linken distanziert. Eher wäre noch eine große Koalition denkbar, so unbeliebt sie ist.

Profitieren die Linken eigentlich von der Liechtensteiner Steueraffäre?

Im Wahlkampf scheint die Steuerflucht keine Rolle zu spielen.

Und wie wichtig ist, dass bei den Linken auf Platz 10 ein DKP-Mitglied kandidiert? Schließlich hat eine DKP-Abgeordnete in Niedersachsen jüngst die Stasi und die Mauer verteidigt.

Die DKP-Diskussion hat den Linken in Hamburg nicht erkennbar geschadet. Viel wichtiger waren die sozialen Themen. In dieser reichen Stadt leben 23 Prozent der Kinder von Hartz IV. Vor wenigen Jahren waren es noch 15 Prozent. Die Linke profitiert davon, dass die SPD wie alle Parteien in die Mitte drängt - aber so groß ist die Mitte gar nicht.

Michael Naumann hat doch die Kinderarmut zu seinem Thema gemacht.

Die SPD steht mit 35 Prozent in den Umfragen ja nicht schlecht da. Aber letztlich schadet es ihr in Hamburg, dass sie im Bund in einer großen Koalition regiert.

Spielt die Bundespolitik im Wahlkampf überhaupt eine Rolle? Ole von Beust inszeniert sich doch ausdrücklich als ein Bürgermeister, der sich nur zu Hamburger Themen äußert.

Diese Inszenierung wird aber nicht konsequent durchgehalten. Schließlich hat die CDU eine "Hamburger Erklärung" verabschiedet, die bundesweit ein höheres Kindergeld verspricht. Dabei wurde so getan, als mache man den Bürgern ein Geschenk. Tatsächlich besteht jedoch laut Bundesverfassungsgericht ein Anspruch auf mehr Kindergeld, wenn die Kosten für den Nachwuchs etwa durch die neue Mehrwertsteuer steigen. Statt die Bürger aufzuklären, hat sich die SPD leider an dieser Täuschung beteiligt und eine eigene Variante der Kindergelderhöhung vorgeschlagen.

Was würde es für Kanzlerin Merkel bedeuten, wenn FDP und CDU auch in Hamburg keine Mehrheit erlangen?

Die Wahl ist ein Barometer für den Bund - und auch für Angela Merkel, weil sie sich im Hamburger Wahlkampf sehr stark engagiert hat. Es wird starke Diskussionen in der Union auslösen, wenn die Hamburger CDU deutlich verliert.

Wenn die Wahl also mehr ist als die Stimmabgabe in einem kleinen Stadtstaat: Was lässt sich von Hamburg lernen?

Die sozialen Probleme sind das Topthema auf der Agenda. Die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich wird von den Wählern nicht mehr hingenommen. Zudem wird die Bildungsfrage wichtig, die sich zum Teil auch mit den sozialen Themen verknüpft. So hat die CDU vollkommen unterschätzt, welche Dynamik allein die Debatte über die neu eingeführten Studiengebühren entwickeln würde.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN

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