: Straßenschlacht in Christiania
PROTEST Heute soll das UN-Konferenzzentrum gestürmt werden. Im Vorfeld gibt es viele Festnahmen, auch von Protestanführern. Amnesty kritisiert dänische Sicherheitskräfte
AUS KOPENHAGEN SUSANNE GÖTZE UND CHRISTIAN JAKOB
Vor den für den heutigen Mittwoch geplantem Marsch des Protestnetzwerks „Climate Justice Action“ (CJA) auf den Tagungsort des UN-Klimagipfels in Kopenhagen steigen die Spannungen. Wie gestern Abend die kanadische Globalisierungskritikerin Naomi Klein bei der Verleihung des „Angry Mermaid Awards“ auf dem Gegengipfel „Klima Forum“ mitteilte, wurde der deutsche Klimaaktivist Tadzio Müller, einer der Organisatoren des geplanten Marsches, am Nachmittag von der dänischen Polizei verhaftet. „Die Polizei glaubt offenbar, den Protest dadurch stoppen zu können, dass sie einige der Köpfe dahinter verhaftet“, sagte sie vor mehreren hundert Menschen. „Aber wir werden morgen trotzdem zu Tausenden auf der Straße sein.“
Müller hatte am Vorabend bei einer Veranstaltung mit Klein im „Freistaat Christiania“ die Entschlossenheit der Gipfelgegner bekräftigt, mit „offensiver Gewaltfreiheit massenhaft auf die Straße zu gehen“. Heute soll für einen Tag der Klimaverhandlungsort besetzt und in einen „Gipfel der Völker“ umgewandelt werden. „An diesem Tag werden wir Geschichte schreiben, und wir werden nicht in diesen gottverdammten Käfigen enden,“ hatte Müller den Zuhörern zugerufen und an die Blockade des G-8-Gipfels in Heiligendamm 2007 erinnert.
Seit Samstag hat die dänische Polizei bereits über 1.500 Gipfelgegner festgenommen, die allermeisten von ihnen „rein vorbeugend“. Das im Vorfeld des Gipfels vom dänischen Parlament verabschiedete „Lümmelpaket“ erlaubt eine Präventivhaft von bis zu 12 Stunden. Es genügt der Verdacht, dass ein Demonstrant „Ordnung und Sicherheit gefährdende“ Absichten haben könnte. Die Festgenommenen werden während des Gipfels in einer Lagerhalle im Polizeihauptquartier in Stahlkäfige eingesperrt, die sich die Polizei aus Deutschland geliehen hat, wo sie in Heiligendamm zum Einsatz gekommen waren. Mindestens 600 Demonstranten haben sich zusammengeschlossen, um dagegen eine Sammelklage einzureichen.
Freigelassene Demonstranten berichten, dass Beamte in der Nacht auf Sonntag und auf Montag mit Pfefferspray auf Festgenommene losgegangen seien. „Als die Leute begonnen haben, in den Zellen Lärm zu machen, hat die Polizei ihnen mit Pfefferspray gedroht. Dann haben sie ihre Matten und Decken vor die Gitter gestellt, um sich zu schützen“, berichtet die Demonstrantin Anna Kollerup. Daraufhin seien Polizisten auf die Käfige geklettert und hätten sie von oben mit Pfefferspray besprüht. Anschließend hätten sie die Decken, Matten und Wasserflaschen aus den Zellen geholt.
Schon bei den Festnahmen war die Polizei hart vorgegangen. „Hunderte von uns mussten im Kessel stundenlang mit gegrätschten Beinen auf dem eiskalten Boden sitzen“, sagt Marie, eine 21-jährige Demonstrantin aus Deutschland. „Als ich es nicht mehr ausgehalten habe, so zu sitzen, hat mich ein Polizist mit dem Knie in die Seite getreten.“ Die Festgenommenen hätten so lange nicht zur Toilette gedurft, bis sich einige in die Hose machten. Die Polizei habe die Festnahmen auch auf mehrfache Nachfrage nicht begründet.
Die dänische Sektion von Amnesty International kritisierte, das Vorgehen der dänischen Sicherheitsbehörden sei „vollkommen unverhältnismäßig“. Lediglich gegen 13 der 968 am Samstag Festgenommenen seien konkrete Vorwürfe erhoben worden.
Heftige Auseinandersetzungen gab es auch in der Nacht zum Dienstag. Mehr als 200 Personen wurden festgenommen. Am Abend besuchten etwa 1.000 Menschen ein Fest im „Freistaat Christiania“, ein seit den 70er-Jahren besetzt gehaltenes Kasernengelände in unmittelbarer Nähe des Zentrums von Kopenhagen. Gegen 22 Uhr errichteten Demonstranten vor den Toren von Christiania Barrikaden. In den nächsten Stunden flogen Steine und Molotowcocktails in Richtung Polizei, die sich vor Christiania postiert hatte. Die schoss immer wieder große Mengen Tränengas auf das Gelände. Die Schwaden zogen in die Gebäude und ein in der Nähe aufgebautes Zirkuszelt, in dem das vom „Climate Justice Action“ ausgerichtete Fest stattfand. Viele Besucher flüchteten in ein nahe gelegenes Wohngebiet. Gegen 23.30 Uhr rückte die Polizei vor und verhaftete viele der in Christiania Zurückgebliebenen. Das Gebiet wurde weiträumig abgesperrt. Später zündeten Unbekannte abseits von Christiania gegen 1 Uhr in der Nähe einer Unterkunft der Klimademonstranten im Norden der Stadt zwei Autos an. Am Dienstag beteiligten sich mehrere tausend Menschen in Kopenhagen am Aktionstag gegen die Agrarindustrie.