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Archiv-Artikel

Ein echter Krieger

Der Isländer Gudjon Valur Sigurdsson wirft Handball-Rekordmeister VfL Gummersbach in die Erfolgsspur

GUMMERSBACH taz ■ Der Lärm, die schiere Begeisterung des Publikums schwillt schon an, wenn die Nummer 22 nur den Handball erhält. Weil das Drehbuch in diesem Moment vorgeschrieben ist: Nun wird Gudjon Valur Sigurdsson, einer der schnellsten Männer der Liga, dem gegnerischen Tor mit Hochgeschwindigkeit entgegenfliegen. Und da er diese atemberaubenden Tempogegenstöße für gewöhnlich mit der Präzision einer Maschine verwandelt, kulminiert das Getöse dann regelmäßig in einem Torschrei. Zehnmal haben die 1.492 Zuschauer in der Eugen-Haas-Halle am Samstag das neue Idol des VfL Gummersbach bejubelt, denn zehnmal traf Sigurdsson beim 42:22 im EHF-Pokal gegen den slowenischen Vertreter RK Koper. „Es bringt wirklich sehr viel Spaß im Moment“, sagt Sigurdsson und lächelt.

Die Renaissance des Rekordmeisters ist derzeit das Gespräch der Liga. Die letzte Deutsche Meisterschaft liegt 14 Jahre zurück, und im Jahr 2000 drohte gar der Zwangsabstieg, aber in dieser Saison ist der Bundesliga-Tabellenführer als einzige Profi-Mannschaft Deutschlands noch ungeschlagen. Und wenn man nachfragt, warum der VfL plötzlich nicht mehr gegen schwächer eingestufte Gegner zittert und sich zudem beharrlich weigert, enge Spiele zu verlieren, dann gibt es naturgemäß viele Antworten. Die häufigste aber lautet: Sigurdsson. Die grimmige Präsenz des 26-jährigen Linksaußen, sagen viele, habe den VfL auf eine neue Stufe gehoben. „Ein solcher Spieler hat uns gefehlt“, sagt VfL-Boss Hans-Peter Krämer: Diese Entschlossenheit, diese Furchtlosigkeit, diese Kompromisslosigkeit, mit der Sigurdsson auftritt und seine manchmal lethargischen Mitspieler mitreißt. Ein „echter Krieger“ sei Sigurdsson, schwärmt Krämer, ein echter Isländer: „Die kämpfen so lange, bis der Fisch tot ist.“

Dieser Junge ist in der Tat eine Sensation. Nicht seiner Schnelligkeit wegen; auch sein Wurfrepertoire von Linksaußen und seine Fähigkeiten als Spielgestalter auf der Mittelposition sind wirklich außergewöhnlich. Und dennoch provozieren die veritablen Lobeshymnen bei ihm noch lange keine Allüren. Der Frage, wie es sich anfühle als neuer Star, begegnet er trocken: „Keine Ahnung. Da müssen Sie mal einen fragen.“ Ihn interessiert es ohnehin wenig, wenn ihn die Boulevardmedien als „Island-Turbo“ feiern, überhaupt ist er gegenüber der Presse kein Mann der lauten Töne. „Eine große Fresse zu haben, das mag ich nicht“, sagt der Vater zweier Töchter, „ich konzentriere mich auf meine Familie und auf den Handball“. Ein Profi durch und durch. Sein Trainer Velko Kljaic hat ihn, den Neuzugang, deswegen schon in der Vorbereitung als Führungsspieler vorgesehen. Er habe in seiner Karriere „selten einen Mann gesehen, der in jedem Training eine solche Einstellung zeigt“, lobt der 59-jährige Kroate. Nach dem Spiel wundere er sich manchmal, dass sein verlängerte Arm auf dem Feld „schon wieder 13 Tore geworfen hat“. Freilich ist Sigurdsson auch deswegen mit 95 Treffern der beste Schütze der Liga, weil er nun viele Siebenmeter wirft und zudem stets als Spitze in einer 5:1-Deckung agiert und so die erste Anspielstation bei Gegenstößen dient.

Begeistert vom vielleicht besten Einkauf der letzten Jahrzehnte, hat der VfL dem 148maligen Nationalspieler schon eine Anhebung der Bezüge und eine Vertragsverlängerung um zwei Jahre bis 2009 angeboten. „Er weiß, dass wir ihn wollen“, sagt dazu Krämer. Er fühle sich sehr wohl in Gummersbach und spiele auch gern in der Kölnarena, sagt Sigurdsson. Aber mit der Vertragsverlängerung habe er „noch keine Eile“. Für Francois-Xavier Houlet, Kapitän der Mannschaft und zukünftigen VfL-Sportdirektor, steht freilich jetzt schon fest: „Er wird in der Zukunft sogar eine noch wichtigere Rolle spielen.“ ERIK EGGERS