Debatte Altersbezüge: Populistische Rentenpolitik

Eine "Rentnerdemokratie" gibt es nicht. Denn die Gegensätze zwischen den Rentnern sind größer als die zwischen den Generationen. Das zeigt die Forschung schon lange.

Kaum hatte die Bundesregierung kürzlich die Rentenerhöhung beschlossen, löste der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog eine öffentliche Diskussion aus, weil er das Entstehen einer "Rentnerdemokratie" befürchtet. Diese These beruht auf zwei Annahmen. Zum einen: Rentner haben bestimmte materielle Interessen, deren Durchsetzung sie über ihre Wahlbeteiligung verfolgen wollen. Und zum anderen: Politiker erkennen die vermeintlich einheitlichen Interessen der Rentner und machen deshalb in vorauseilendem Gehorsam rentnerfreundliche Politik.

Beide Annahmen geistern ungeprüft durch die Diskussion. Dabei lassen sich für die erste Annahme überhaupt keine Belege finden. Nur die zweite Annahme scheint einer Überprüfung standzuhalten: Politiker machen kurzfristige Politik für die jetzigen Rentner, die sie als eine geschlossene Wahlmacht wahrnehmen und daher nicht vergrätzen wollen.

Wenn die erste Annahme über Rentnerinteressen zuträfe, woran würde man ihre Richtigkeit erkennen? Vor allem müsste es klar definierbare Rentnerinteressen geben. Natürlich ist die staatliche Rente für die jetzigen Rentner sehr wichtig und für viele die Haupteinnahmequelle. Doch ist das Interesse an der Rente stark durch soziale Hintergründe bestimmt. Beispielsweise hat ein ehemals Selbstständiger kein großes Interesse an einem hohen staatlichen Rentenniveau, weil er oder sie privat vorgesorgt hat. Ebenso wenig sind Rentner mit einem erheblichen Einkommen aus anderen Quellen stark an einer hohen Rente interessiert, weil die staatliche Rente für sie nur einen kleinen Einkommensteil ausmacht.

Neben der Rentenhöhe fällt es schwer, weitere politische Interessen zu benennen, die Rentner teilen. Als Beispiel könnte man die Gesundheits- und Pflegeversorgung anführen. Immerhin steigt gerade in sehr hohem Alter die Wahrscheinlichkeit, der Pflege zu bedürfen oder selbst zu pflegen und medizinische Versorgungseinrichtungen in Anspruch zu nehmen. Umfragen zeigen jedoch, dass alle Altersgruppen für eine großzügige Versorgung in diesem Bereich sind, weil wir alle ein Risiko tragen, davon selbst oder als Angehörige betroffen zu werden. Deswegen kann man ein Interesse in diesem Bereich kaum als rentnerspezifisch bezeichnen.

Neben der Schwierigkeit, Rentnerinteressen zu definieren, gibt es auch keine Belege dafür, dass Rentner sich bei der Wahl von ihnen leiten lassen. Rentner sind keine apolitischen Wesen ohne Überzeugungen oder Werte. Doch: Die Politik, die sie vor ihrem Renteneintritt für wichtig und richtig hielten, bleibt für sie wichtig und richtig.

Die schwer zu definierenden Rentnerinteressen müssten also durch die bereits vorhandenen politischen Überzeugungen dringen, um die Wahlentscheidung zu beeinflussen. Umfragen jedoch zeigen, dass das Alter an sich keine Bedeutung für Wahlen hat. Zwar wählen in Westdeutschland die Wähler, die älter als 60 Jahre sind, seit Jahren überproportional CDU/CSU, doch der Grund dafür ist in den politischen Erfahrungen dieser Generation als Erstwähler in den 1950er- und 1960er-Jahren zu suchen. Diese Erstwähler wurden sehr stark durch die Regierungen Konrad Adenauers und Ludwig Erhards geprägt und behielten diese Neigung zur christdemokratischen Partei bis ins hohe Alter. Ihre Präferenz für die CDU/CSU heute hat also nichts mit der Rente, sondern mit ihrer Erstwahlerfahrung zu tun.

Dass Rentnerinteressen für die Wahlentscheidung eine geringe Rolle spielen, zeigt sich auch in den Misserfolgen von Seniorenparteien. In vielen europäischen Staaten existieren Parteien, die versuchen, sich für die Rente als primäres Politikziel starkzumachen. Doch schaffte es bisher keine einzige Partei, mit solch einer Politik erfolgreich zu sein - obwohl die Zahl der Rentner ebenso steigt wie deren Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien.

Seniorenparteien wie die gerade aufgelöste Partei Die Grauen und ihre beiden Nachfolgeparteien haben das erkannt und versuchen daher, zu zeigen, dass sie nicht nur Interessen der Senioren vertreten. Im strengen Sinne sind sie nun auch keine Seniorenparteien mehr.

Obwohl sich die Annahme, dass es eine "Rentnerdemokratie" gäbe, offenkundig nicht belegen lässt, glauben nicht wenige Politiker, dass es diesen einheitlichen Rentnerblock gibt, den sie mit rentnerfreundlicher Politik bedienen müssen, um Wahlen zu gewinnen. Im Moment jedenfalls scheint vieles für die Existenz dieser Fehlwahrnehmung zu sprechen.

Erstens wurde eine bereits existierende Rentenregel wieder verändert, die nachhaltig zukünftige Generationen berücksichtigt hat. Stattdessen hat die große Koalition kurzfristig die jetzigen Rentner zum Nachteil späterer Generationen begünstigt. Zweitens handelt es sich bei der geringen Erhöhung vor allem um ein Symbol, das ausdrücken soll: Die Regierung kümmert sich um "die Rentner". Drittens wurde diese Politik von beiden großen Parteien getragen, was den parteiübergreifenden Charakter dieser Fehlwahrnehmung zeigt.

Der Effekt ist fatal: Es werden knappe Ressourcen auf Kosten späterer Generationen an die jetzigen Rentner verteilt. Warum sehen Regierungspolitiker also nicht, dass es "die Rentner" nicht gibt?

Ein Grund hierfür könnte sein, dass sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse übergangen werden, die uns schon lange zwei Dinge sagen: Unterschiede innerhalb der Rentnergruppe sind größer als die zwischen Rentnern und Nichtrentnern. Und: Bürger empfinden und leben Solidarität für andere Altersgruppen zum Beispiel innerhalb der Familie.

Ein weiterer Grund für diese Fehleinschätzung ist der kurzfristige Zeithorizont von demokratisch gewählten Politikern, der nur bis zur nächsten Wahl reicht. Eine für zukünftige Generationen ausgewogene Politik zu machen scheint auf den ersten Blick nur langfristig eine politische Rendite zu versprechen. Lieber wollen die Regierungsparteien bei dieser Wahl mit Blick auf diesen Rentnerblock nichts falsch machen als langfristig für alle etwas richtig machen.

Anstatt der Fehlwahrnehmung zu erliegen, sollten Politiker versuchen, die Solidarität zwischen den Generationen anzusprechen. Beispielsweise sollten Veränderungen des Rentensystems nur innerhalb eines grundsätzlichen Reformpakets durchgeführt werden, in dem die Solidarität zwischen den Generationen für die Wähler sichtbar und verständlich ist.

Junge Wähler brauchen langfristige Planungssicherheit für ihre Altersversorgung. Sie müssen wissen, welche Regeln ihre Rente in der Zukunft bestimmen. Ältere Wähler brauchen die kurzfristige Sicherheit, dass der Verlauf ihrer Rentenhöhe vorhersehbar bleibt. Jede Art von Ad-hoc-Politik bei der Rente verwirrt alle Wähler in Bezug darauf, was sie für ihre eigene Rente zu erwarten haben und welcher Stellenwert der Solidarität zwischen den Generationen in der Politik eingeräumt wird.

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