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Archiv-Artikel

„Ich will nicht immer souverän sein“

Ulrich Matthes

„Heimat ist für mich ein völlig freundlicher und unaufgeladener Begriff. Dass die NPD ihn anders benutzt, ist mir in diesem Zusammenhang scheißegal“

Das Café Savigny ist Charlottenburg in Reinkultur. Nicht modern, aber äußerst apart. Der Latte Macchiato wird hier mit einer um das schlanke Glas geknoteten Serviette serviert. Ulrich Matthes trinkt Bionade und hat gute Laune. 2005 ist ein Glücksjahr für den Schauspieler: Zuerst gewann er den wichtigsten deutschen Theaterpreis, den Gertrud-Eysoldt-Ring, für seine Darstellung des George in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ am Deutschen Theater, dessen Ensemble er seit der Spielzeit 2004/2005 angehört. Nun ist der 46-Jährige für den Europäischen Filmpreis nominiert, der am 3. Dezember in seiner Heimatstadt Berlin verliehen wird. Am Donnerstag läuft sein neuer Film „Mitfahrer“ im Kino an

INTERVIEW DAVID DENK

taz: Herr Matthes, haben Sie heute schon Zeitung gelesen?

Ulrich Matthes: Klar! Drei sogar.

Welche?

Ich bedaure sagen zu müssen, dass die taz nicht dabei war. Wird das gedruckt?

Klar!

Ich habe den Tagesspiegel im Abo – schon aus familiären Gründen. Und habe mir heute die FAZ und die Süddeutsche gekauft, was ich allerdings nicht immer mache.

Was lesen Sie – außer dem Feuilleton?

Grundsätzlich alles, bis auf den Wirtschaftsteil. Der wird gnadenlos überblättert. Ich gucke mir noch nicht mal die Überschriften an. Da bin ich wie ein zeitungslesender Analphabet. Ansonsten achte ich immer auf die Autoren, was wohl wenige Zeitungsleser machen.

Ihr Vater war Journalist beim Tagesspiegel. Lesen Sie deshalb so gerne Zeitung?

Denk ich. Wobei mein Bruder, der ja in derselben Familie groß geworden ist, ein relativ unambitionierter und unleidenschaftlicher Zeitungsleser ist. Ich hingegen bin da konditioniert worden.

Hat das Ihr Verhältnis zu diesem Berufsstand beeinflusst?

Ich mag Journalisten gern, grundsätzlich. Ich finde die Spezies Journalisten interessant, irgendwie prickelnd.

Warum?

Dadurch, dass das Thema Journalismus und das Gespräch über andere Journalisten zu Hause natürlich am Mittagstisch stattfand, erotisierte sich der Beruf auf eine seltsame Art. (lacht)

Trotzdem war Ihnen stets klar, nie selbst Journalist werden zu wollen?

Gar nicht so bewusst allerdings. Ich habe mich nicht über den Beruf von meinem Vater abgegrenzt. Für mich gab’s eigentlich immer nur die Auswahl zwischen Schauspieler – zunächst nur als dusseliger Kindheitstraum – und später Lehrer. Dann habe ich auch fünf Semester Germanistik und Anglistik studiert, aber nie um Journalist zu werden, sondern Lehrer. Doch dann kam der Schauspielerwunsch wieder hoch.

Sie waren nie auf einer staatlichen Schauspielschule.

Das ist so ein blinder Fleck in meiner Biografie. Ich beneide Schauspielschüler immer wahnsinnig um ihre Jahre in dieser großen Gemeinschaft – wie in „Fame“, diesem Film aus den 80ern. An einer richtigen Schauspielschule wird kreuz und quer gevögelt, gefochten, die ganzen wunderbaren Autoren werden entdeckt …

Sie verklären das total.

Egal.

Warum haben Sie sich dann nie an einer Schule beworben?

Ich war damals wahnsinnig verliebt und wollte nicht weg aus Berlin. Die Ausbildung an der HdK hatte einen schlechten Ruf. Deswegen hatte ich nur ein gutes Jahr lang Privatunterricht bei Else Bongers, die die Knef entdeckt hat. Sie war eine wunderbare Frau, aber die Ausbildung irgendwie unbefriedigend. Man saß in ihrem Wohnzimmer und hat einen Romeo-Monolog uffjesacht.

Trotzdem sind Sie mittlerweile ein erfolgreicher und bekannter Schauspieler, über den viel geschrieben wird. Lesen Sie eigentlich Ihre Kritiken?

Natürlich. Wobei ich mir danach manchmal denke, dass ich auch vorher hätte wissen können, was drin steht. Trotzdem finde ich die Vorstellung völlig ballaballa zu sagen: Ich lese meine Kritiken nicht. Ich trete doch mit meiner Kunst an die Öffentlichkeit, werde wahrgenommen und möchte auch wahrgenommen werden. Das ist doch ein wesentlicher Motor meines Tuns.

Haben Sie manchmal das Bedürfnis, den Kritiken nachzugehen?

Ohrfeigen?

Muss doch nicht gleich Gewalt sein.

Doch! Kellertreppen runterschubsen. Genickbruch. Pusterohre mit vergifteten Pfeilen.

Um’s noch mal eine Spur harmloser anzugehen: Sprechen Sie Kritiker an?

Ja, manchmal.

Wie reagieren die auf Ihre Kritik?

Zuhörend. Natürlich ist man viel mächtiger, wenn man zu Hause vor seinem Computer sitzt und quasi anonym Giftpfeile verschießen kann. Wenn man dann mit dem Individuum konfrontiert wird, entwickelt sich ja sofort eine persönliche Beziehung.

Haben Sie keine Angst, dass Ihnen das als Unsouveränität ausgelegt wird?

Ich will doch nicht immer souverän sein. Die können ruhig merken, dass es mich trifft. Ich bin ja ein Mensch und daher verletzbar. Das wissen die aber auch. Deswegen schreiben sie ja manchmal unter der Gürtellinie.

Woher kommt Ihre Vorliebe für klare Worte?

Durch die Erziehung meiner Eltern, denke ich. Vor allem meine Mutter hat mir beigebracht, dass es immer produktiver ist, über Dinge, die mich bewegen, zu sprechen als diese durch Schweigen mit mir selbst ausmachen zu wollen. Ich suche immer den Konflikt, auch bei der Arbeit.

Hat der Dramatiker Moritz Rinke Sie deshalb in seiner Laudatio zum Gertrud-Eysoldt-Ring einen „Mistkerl“ genannt?

Das Wort Mistkerl hat mich gar nicht gestört, weil es sympathiegetränkt ist, aber einige Wörter später folgt „divenhaft“. Und darüber hab ich mich erbittert bei ihm beklagt, weil ich wirklich das Gegenteil einer Diva bin. Ich kann manchmal sehr fordernd, cholerisch und unangenehm sein auf der Probe. Das hat aber mit meinem Temperament zu tun. Ich bin sehr anspruchsvoll mir selbst gegenüber und daher auch gegenüber anderen. Wenn man unseren superprivilegierten Beruf des Theatermenschen luschig und kantinenschauspielerisch betreibt, das kann ich nicht leiden. Deswegen bin ich auf der Probe manchmal ein Mistkerl. Divenhaft aber ist caprice um der caprice willen.

Wie bitte?

Also Sinnlosigkeiten zu fordern, um sich wichtig zu machen. So bin ich null. Um eine Diva zu sein, bin ich viel zu sozialdemokratisch erzogen. Das hat Moritz Rinke mir dann auch bestätigt. Aber das schreibt sich natürlich so schön. Beim Interviewtag für meinen neuen Film „Mitfahrer“ haben mich zwei Journalisten gleich als Erstes gefragt: „Herr Matthes, Ihr Laudator Rinke hat geschrieben, Sie wären eine Diva. Warum?“ So hängt einem das dann nach.

Aber eigentlich überschütten Sie die Medien doch mit Lob. „Nicht spielen bedeutet bei ihm spielen, bis man das Spiel vergisst“, schrieb zum Beispiel die taz über Ihre reduzierte Darstellung des Priesters in Schlöndorffs „Der neunte Tag“. Jetzt hätten Sie Gelegenheit zurückzuloben.

Dafür lese ich die taz zu selten.

Dann haben Sie wahrscheinlich auch folgende Schlagzeile verpasst: „Raus hier, aber dalli! Warum es Gerhard Schröder (SPD) nicht mehr verdient hat, Kanzler von Deutschland zu sein“. Mittlerweile wurde er abgewählt. Werden wenigstens Sie ihn vermissen?

Ich muss gestehen, dass ich Schröder auf eine mir selber rätselhafte Weise wahnsinnig gern mag. Ich hatte selten eine so direkte Sympathiebeziehung zu einem Politiker wie zu Schröder. Seine Direktheit und Authentizität unterscheidet ihn von so vielen anderen Politikern. Ich habe mich wahnsinnig aufgeregt über seinen Auftritt in der Elefantenrunde. Und trotzdem werde ich ihn richtig vermissen.

Vermissen Sie auch das Berlin Ihrer Kindheit und Jugend? Die Stadt hat sich ja seitdem sehr verändert.

Manchmal überkommt mich schon ein Vertriebenenschmerz … Hinter dem Mietshaus in Schmargendorf, wo wir damals gewohnt haben, erstreckte sich zum Beispiel ein riesiger wild bewachsener Garten mit Goldruten und vielen Obstbäumen. Da konnte man gut Indianer spielen, wir kleenen Steppkes waren ja so groß wie die Goldruten im Sommer. Heute ist das alles abgeholzt, der Garten halbiert, auch mein Mirabellenbaum ist weg. Wo wir früher gespielt haben, stehen jetzt zwei Stadtvillen. Wie im „Kirschgarten“ von Tschechow, meinem nächsten Stück am DT.

Heute wohnen Sie am Savignyplatz. Warum?

Die Gegend ist lebendig, vielleicht ein bisschen zu bürgerlich, aber es ist schön. Es gibt Bäume auf der Straße, Cafés, und wenn ick mir mal ne Suppe koofen möchte, kann ick mir ooch ne Suppe koofen.

Sie wirken leicht genervt.

Diese Kiezkultur wird übertrieben in Berlin. Das ist doch alles auch von Zufällen abhängig. Ich habe in Berlin schon in vielen Bezirken gewohnt. Im Moment suche ich eine Wohnung. Haben Sie nicht eine schöne? Möglichst ein Dachgeschoss, gerne auch mal in Mitte. Nicht weil’s da besonders hip ist, sondern weil da das Deutsche Theater ist. Aus dem Alter, wo man sich an diesem Volkssport beteiligt, bin ich raus.

Ein waschechter Westberliner im Osten. Kann das gut gehen?

Weiter in den Nordosten würde ich nicht ziehen. Mitte ist ein Kompromiss. Ich mach’s wohl einfach von der Wohnung abhängig. Eigentlich will ich nämlich nirgendwo anders wohnen als hier. So spinnenwebig es hier vielleicht ist.

Ist das eine Liebeserklärung an Charlottenburg?

Pizza bei Ali Baba, Kino im Filmkunst 66 – und dann mit dem Bus nach Hause. Das war für mich als pubertierender Knabe ein Ausflug in die große, weite Welt. Jeder Mensch hat doch sentimentale Bindungen an seine Heimat.

Ein großes Wort …

Heimat ist für mich ein völlig freundlicher und unaufgeladener Begriff. Dass die NPD ihn anders benutzt, ist mir in diesem Zusammenhang scheißegal.

Mit wie vielen Urberlinern sind Sie befreundet?

Ich würde sagen: mit zweien. Eine aus dem Westen und einer aus dem Osten.

Wie ausgewogen! Spielt deren Herkunft für Sie eine Rolle?

Ja! Ich merke einfach, dass der Humor ähnlich ist. Diese Art von lakonischer Direktheit, die man auch bei Busfahrern, Pförtnern oder am Kiosk beobachten kann, zieht mich an, das finde ich schön.

Zugezogene stößt die Berliner Schnauze eher ab.

Ich würd das so nicht sagen. Berliner Schnauze – da denkt man an die Schwangere Auster, diese schrecklichen Ansichtskarten-Berlinismen. Es gibt aber trotzdem einen spezifisch berlinerischen Humor, schnoddrig, selbstironisch. Pfitzmann mochte ich sehr gern. Als der gestorben ist, war ich sehr traurig. Das war für mich ein Prachtexemplar von einem Berliner.