68er-Kongress in Berlin: Einmal nicht allein sein

"Die letzte Schlacht gewinnen wir" heisst ein Kongress über 1968, bei dem Damals-Dabeigewesene reden, Studenten zuhören und auf Inspiration für die eigene politische Arbeit hoffen.

Was also bleibt von 68 für die linken Studenten von heute? Bild: dpa

BERLIN taz Gut 20 Jahre ist es her, dass Jürgen Habermas auf die Frage, was von 68 übrig geblieben sei, mit einem pfiffigen Aperçu zu antworten wusste: Rita Süssmuth. Katharina Volk muss überlegen, was sie von diesem Befund hält. Und wenn wir Süssmuth durch Ole von Beust ersetzen? Ja, räumt sie dann ein, 68 habe zu einer Liberalisierung geführt. Das "emanzipatorische Glücksversprechen" aber sei noch immer nicht eingelöst.

Die 26-jährige Lehramtsstudentin aus Gießen ist Bundesgeschäftsführerin des Hochschulverbands "Die Linke.SDS", der am Wochenende zu einem Kongress an die Berliner Humboldt-Universität eingeladen hat. "40 Jahre nach 1968 - Die letzte Schlacht gewinnen wir" lautet das großspurig wie verstaubt anmutende Motto. Der Zweck: "Sich mit dieser Geschichte auseinandersetzen und sie für eine antikapitalistische Linke fruchtbar machen", sagt Katharina Volk.

Das Zitat aus dem plattesten Agitprop-Stück, das die Band Ton Steine Scherben jemals fabriziert hat - das ist der Song, in dem sich "Saarbrücken" auf "unterdrücken" reimt - schmückt auch das Audimax der Universität, in dem die großen Podiumsdiskussionen stattfinden. Dazwischen sprechen knapp hundert Referentinnen und Referenten in gut 40 Veranstaltungen. Die meisten davon sind, sofern sie nicht zum neuen SDS gehören, Veteranen der westdeutschen Linken der Sechziger- und Siebzigerjahre, darunter einige Politiker der Linkspartei. Die Alterszusammensetzung der Besucher - stolze 1.600 wollen die Veranstalter registriert haben - ist ähnlich, nur umgekehrt. Die meisten sind im Alter zwischen Erstsemester und Promotion, hinzu kommt eine qualifizierte Minderheit jenseits der 60. Dazwischen klafft eine Lücke.

Im Gespräch versichert Katharina Volk, das Motto sei nur eine "spielerische und provokative Aneignung". Dennoch bleibt der Verdacht der Mystifizierung, der noch gestärkt wird durch ihre Einlassungen auf dem Podium, auf dem sie am Freitagabend neben dem Frankfurter Publizisten Gerd Koenen und dem Marburger Politikwissenschaftler Frank Deppe sitzt. So verbucht Volk auf der Habenseite von 68, mit dem Tabu Sex vor der Ehe gebrochen zu haben - und muss sich von Gerd Koenen belehren lassen, dies sei eine "goldige", aber falsche Vorstellung.

Der ehemalige Funktionär des maoistischen KBW sticht aus der Reihe der Redner heraus; man habe ihn wohl, glaubt er, als "Kritiker vom Dienst" eingeladen. Dabei ist Koenen niemand, der Kritik am Kapitalismus für obsolet hält. Er ermahnt seine Zuhörer aber, das Scheitern von 68 innerhalb des Scheiterns der kommunistischen Bewegung einzuordnen. Dafür gibt es Applaus. Noch stärker fällt der jedoch aus, als ihm ein junger Mann aus dem Publikum entgegnet, dass sich niemand nach der DDR sehne, es aber um die Veränderung der Gegenwart gehe. Ein älterer Herr flüstert seinem Nachbarn zu: "Anders als der Koenen war ich immer ein Antiautoritärer, von einem früheren Pol-Pot-Fan brauche ich keine Stalinismuskurse."

Koenen hört das nicht. Am nächsten Tag erzählt er von seinen Eindrücken: Die Leute seien "brav" und in jeder Hinsicht "parlamentarisch". Dafür habe er vor allem Neugier vermisst.

Tatsächlich verlaufen die Debatten sehr manierlich. Man hält sich an die quotierten Redelisten, liefert keine Koreferate, wenn Fragen erwünscht sind, und überschreitet nur selten die Redezeit. In den Pausen sitzt man auf der Wiese und plaudert in Zimmerlautstärke. Revolte stellt man sich irgendwie lauter vor.

Der Verband, der sich des historischen Kürzels bedient, die allgegenwärtigen Ikonen vergangener Tage, selbst die Party mit den "Rebel Sounds of the 60th and 70th" - atmet das alles nicht den Muff von 40 Jahren? Die jungen Besucher stört das nicht. Bernd Barenberg etwa, ein 32-jähriger Philosophiestudent aus Duisburg und Mitglied des neuen SDS, findet die generationenübergreifende Debatte "klasse".

Am Samstagvormittag hat er sich für ein Podium zum "Kapital" entschieden. Es referieren der Berliner Politikwissenschaftler Elmar Altvater, sein Londoner Kollege Alex Callinicos - einer der wenigen internationalen Gäste - und eine Doktorandin aus dem neuen SDS. Als sie sich unter Berufung auf Marx gegen vereinfachende Unterscheidungen zwischen "Raffendem und Schaffendem" ausspricht, applaudiert Bernd besonders laut. Was Oskar Lafontaine dazu sagen würde? "Na ja, inhaltlich bin ich nicht mit ihm auf einer Linie", sagt er. "Aber dieser Kongress ist ja auch eine Intervention in die Partei und soll zeigen, dass die nicht nur aus DGB-West und Ex-Staatspartei-Ost besteht."

Tatsächlich? Das Programm verstärkt den Eindruck, dass es hier um eine Interpretation von 68 aus der Sicht der Linkspartei geht. Es gibt zwar ein Podium zum Prager Frühling, es fehlen aber die Staatskritik der 68er, ihre Debatten über das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft oder ihre Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Die Kölner Studentinnen Julia Rosenbrock (22) und Katharina Keil (20) sind nach Berlin gekommen, um die "Leute von damals mal zu sehen". Sind das für sie Helden? "Nicht die Einzelnen", sagt Katharina. "Aber die Bewegung als ganze. Die hat eine Hochschulreform in Gang gesetzt, während wir nicht einmal Studiengebühren verhindern konnten." Einen Lektürekurs zu Rosa Luxemburg haben sie schon besucht, später wollen sie zu einer Debatte über Simone de Beauvoir. Warum? Weil ihnen im Studium solche Themen nicht begegnen würden - aber nicht wegen der Frauenfrage, die spiele für sie "keine so große Rolle".

"Die meisten in unserer Generation glauben nicht daran, dass man etwas ändern kann", sagt Julia. "Wenn ich an der Uni Flugblätter verteile, schauen mich die Leute mitleidig an." Etwas einsam fühle man sich da schon. Zumindest für einige Tage konnten die letzten linken Studenten diese Einsamkeit vergessen.

Allerdings sind sie nicht die Ersten, die dieses Gefühl verspüren. Der Unterscheid zu früheren Generationen: Politik an der Uni zu machen ist ihnen wichtig. Aber so schnell wie möglich zu studieren ebenso.

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