60 Jahre Vertreibung der Palästinenser: "Nicht gut, Palästina zu zerschneiden"

Viele Palästinenser leben noch immer in Flüchtlingscamps. Die Bilanz des langen Befreiungskampfes ist ernüchternd. Konflikte zwischen Hamas und Fatah erschweren die Situation.

Viel hat sich für palästinensische Flüchlinge in den letzten 60 Jahren nicht geändert. Bild: dpa

JERUSALEM taz Abd-el Fattah Ghanem war acht Jahre alt, als jüdische Soldaten das benachbarte Dorf Beith Guvrin angriffen, das heute in Israel liegt. Die knapp 700 Einwohner aus Ghanems Heimatort Dir Nachas zogen zu Fuß Richtung Osten nach Hebron. Die meisten landeten in Flüchtlingslagern, wo sie bis heute leben. Ghanem hatte Glück. Seine Großmutter wohnte in Assamua, einem Dorf bei Hebron. Sie nahm die Familie auf. "Wir waren so arm", erinnert sich Ghanem an den Beginn der "Nakba", der palästinensischen Katastrophe, vor 60 Jahren. "Ich hatte nicht einmal Schuhe."

Viele der Flüchtlinge haben die Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre Heimat nicht aufgegeben. Auch Ghanem hält die Idee einer Teilung des umstrittenen Landes in zwei Staaten und damit die Aufgabe des 1948 verlorenen Gebietes für "dumm". Der Friedensprozess dauerte schon so lange. "Man sieht doch, dass nichts dabei herauskommt." Die PLO brauchte über 20 Jahre, um sich vom Traum der Rückgewinnung des palästinensischen Heimatlandes zu verabschieden.

"Wir waren überzeugt, dass es keinen anderen Weg als großangelegte militärische Aktionen gibt, um Palästina zu befreien", resümiert Ibrahim Barghuti, der im PLO-Exekutivrat saß, als Jassir Arafat 1969 zum Vorsitzenden gewählt wurde. Barghuti hatte schon 1948 militanten Widerstand gegen die Zionisten zu leisten versucht, bis die arabischen Truppen den Palästinensern den Kampf abnahmen. "Sie versprachen uns, Palästina auf einem Silbertablett zurückzubringen", spottet er heute. Der zweite verlorene Krieg 1967, in dem die Israelis das Westjordanland und Gaza besetzten "öffnete uns die Augen. Ab sofort wollten wir selbst kämpfen."

Im Exil stellte der neue PLO-Chef Truppen auf. "Er guckte immer zuerst auf die Schuhe", erinnert sich Barghuti. "Ohne gute Schuhe konnte man nicht kämpfen." Erst im Verlauf der Konferenz in Algier im November 1988 erkannte die PLO Israel an und erklärte die Unabhängigkeit Palästinas. "Die zwei Staaten können nur eine Zwischenstation sein", schränkt Barghuti 20 Jahre danach ein. "Palästina ist ein Land, ein Körper. Es ist falsch, einen Körper zu zerschneiden."

Ein Jahr vor der Erklärung in Algier stieß im Flüchtlingslager Dschabalia, nördlich der Stadt Gaza, ein israelischer Lastwagen mit einem vollbesetzten Taxi zusammen und tötete alle Insassen. Studenten und Schüler zogen auf die Straße und bewarfen einen israelischen Jeep mit Steinen. Die Soldaten schossen zurück und töteten den 17-jährigen Hatem Abu Sisi, das erste Opfer des palästinensischen Volksaufstandes, der Intifada. Sami Abu Salim stand damals in der Nähe seines Freundes. "Wir wollten Hatem am nächsten Tag beerdigen, aber die Soldaten griffen an", erinnert er sich. "So viel Schießen und so viele Verwundete hatte es vorher nicht gegeben."

Die Demonstrationen breiteten sich bis ins Westjordanland aus. "Wir haben nie daran geglaubt, die Soldaten vertreiben zu können", resümiert Sami. "Aber sie demütigten selbst alte Menschen auf der Straße. Die Leute wurden zornig." Auch darüber, dass sie von der Welt und vor allem den arabischen Nachbarn alleingelassen wurden.

"Wir haben nichts erreicht", sagt Sami. "Stattdessen warten wir an den Grenzübergängen auf die Spenden der UNO."

Dabei hätte alles anderes laufen können. Mit Ölzweigen und Kuchen für die Soldaten feierten die Palästinenser 1993 das "Gaza-Jericho-Abkommen", mit dem der Friedensprozess erstmals konkrete Formen annahm. Arafat kehrte aus dem Exil zurück. "Oslo zuzustimmen hätte bedeutet, auf unser Land zu verzichten", rechtfertigt Fausi Barhum von der Hamas die Attentate, die den Prozess bremsten. Seit den Kämpfen zwischen Hamas und Fatah in Gaza steht die Bevölkerung unter einem Embargo. Zudem drohen, solange Raketenangriffe aus Gaza andauern, neue Invasionen. Genau das fürchtet die moderate Führung im Westjordanland. "Jedes militärische Vorgehen in Gaza wird die Dinge verkomplizieren", glaubt der Friedensdelegierte Saeb Erikat (Fatah). Für ihn besteht die einzige Lösung des innerpalästinensischen Konflikts in einem Friedensvertrag mit Israel und der Gründung eines Palästinenserstaates.

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