Gewalt: "Wenig Täter gehen in Therapie"

Bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt kann Berlin sich sehen lassen, sagt Patrizia Schneider von der Initiative gegen Gewalt an Frauen. Gerichte sollten schlagende Männer aber öfter in Kurse schicken.

Häusliche Gewalt wird in Berlin häufiger gemeldet.

In Berlin kommen immer mehr Fälle von Gewalt gegen Frauen in Familie und Partnerschaft ans Licht. Im Vorjahr seien 13.222 Delikte der häuslichen Gewalt registriert worden, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch gestern. Das seien über 50 Prozent mehr als noch 2002. "Es ist gelungen, das Dunkelfeld häuslicher Gewalt ganz erheblich aufzuhellen."

Der seit 2002 gültige Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt in Familien läuft nun aus. Regelmäßig hatten sich Akteure aus mehreren Ressorts zu einem Runden Tisch getroffen. Die Antigewaltprojekte von sozialen Trainingskursen bis zu einer Telefon-Hotline sollen aber fortgeführt werden. Auch künftig sollen dafür jährlich mehr als sechs Millionen Euro bereitgestellt werden, sagte Frauensenator Harald Wolf (Linke).

Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) betonte, dass sich noch immer viele Betroffene schämten, prügelnde Ehemänner oder Partner anzuzeigen. Die Hälfte der Frauen ziehe ihre Anzeigen wieder zurück. Im Vorjahr wurden nach ihren Angaben mehr als 14.600 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Viele Verfahren müssten aber wegen schlechter Beweislage eingestellt werden.

Interview:

taz: Frau Schneider, bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt können sich alle anderen Bundesländer von Berlin eine Scheibe abschneiden, meint Frauensenator Harald Wolf. Ist das nicht übertrieben?

Patrizia Schneider: Nein. Die Stadt ist wirklich sehr gut aufgestellt. In der Berliner Gesellschaft ist in den letzten Jahren ein immenser Bewusstseinswandel eingetreten. Es wird nicht mehr stillschweigend toleriert, wenn ein Mann seine Frau schlägt. Es gibt Hilfe, man kann sich wehren.

Wie lange engagieren Sie persönlich sich schon gegen häusliche Gewalt?

Ich habe 1993 die Interventionszentrale gegen häusliche Gewalt (BIG) mit ins Leben gerufen. Davor hatte ich neun Jahre in einem Frauenhaus gearbeitet. Eines Tages haben wir uns gesagt: "So geht es nicht weiter. Alle Projekte müssen an einen Tisch."

Wie muss man sich die Situation damals vorstellen?

Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Egal, ob es sich um die Frauenhäuser in Ost und West handelte, oder um autonome Frauenprojekte beziehungsweise staatliche Organisationen und Behörden wie Polizei und Jugendämter - jeder hat für sich gearbeitet. Heute kooperieren all diese Einrichtungen ganz selbstverständlich.

Inzwischen sind 118 Maßnahmen gegen häusliche Gewalt eingeleitet worden. Können Sie einige Bespiele nennen?

Ganz wichtig ist der Leitfaden für die Polizei bei häuslichen Einsätzen. Darin wird dezediert beschrieben, was die Beamten tun können - vom ersten Notruf bis zu der Frage, wie sie das Opfer zu einer Aussage motivieren und Hilfsangebote näher bringen können. Ein weiterer großer Meilenstein war der Erlass des Gewaltschutzgesetzes im Jahr 2001. Das Gesetz, das auf einen Entwurf von Berliner Projekten zurückgeht, ermöglicht, dass einer Frau, die Opfer häuslicher Gewalt geworden ist, vom Gericht die Wohnung zugewiesen wird.

Vor zehn Jahren habe die Polizei häusliche Handgreiflichkeiten eher als Privatsache abgetan, sagt Polizeipräsident Glietsch.

Ich kann ihm nur zustimmen. Zwischen dem Verhalten der Polizei von damals und heute liegen Welten.

Ein künftiger Schwerpunkt soll die täterorientierte Arbeit sein. Was ist damit gemeint?

Wir haben pro Jahr rund 13.000 Fälle häuslicher Gewalt. Wenn es hochkommt, melden sich rund 200 Männer zu Tätertherapiekursen an. Das Ganze geschieht bisher überwiegend auf freiwilliger Basis. In Zukunft wird es verstärkt darum gehen, die Gerichte zu motivieren, mehr Männer in diese Kurse zu weisen. Die Gerichte haben dazu die Möglichkeit. Die Teilnahme an einem solchen Kurs bringt der Gesellschaft mehr, als wenn der Mann zur gemeinnützigen Arbeit im Park oder zu einer Geldstrafe verdonnert wird.

Was ist unter dem so genannten proaktiven Ansatz zu verstehen, den Polizei und BIG praktizieren?

Wenn die Polizei einen Mann aus der Wohnung weist, bitten die Beamten die Frau um ihr Einverständnis, ihre Daten per Fax an die BIG-Hotline weitergeben zu dürfen. Die Hotline nimmt dann von sich aus Kontakt mit der Frau auf und bietet Hilfe an. Unsere Erfahrung ist, dass es oft nicht ausreicht, wenn die Polizei den Frauen das Merkblatt mit unserer Telefonnummer in die Hand drückt. Die Schwelle, von sich aus zum Hörer zu greifen, ist zu groß.

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