Debatte öffentlich-rechtliches Internet: Western von gestern

Verlage und öffentlich-rechtliche Sender streiten übers Internet: Was dürfen die einen, was die anderen? Interessante Konzepte fürs neue Medium haben beide Parteien nicht.

In der digitalen Welt nähern sich bisher klar voneinander getrennte Medien an. Websites von Zeitungen und Magazinen bieten längst nicht mehr nur Texte, sondern neben ganzen Bildergalerien auch in immer stärkerem Maße Töne. Wer es sich leisten kann, integriert Videoangebote bis hin zu kleinen Nachrichtensendungen, bei denen sogar das ultramarinblaue Setting an die Infoklassiker "Tagesschau" oder "heute" gemahnt. Umgekehrt sind die Sender selbst längst mit Text und Hintergrund im Netz aktiv, bieten Schriftliches auch über das zuvor gesendete Maß hinaus - Produkttests und Flirttipps fanden so auch Eingang ins gebührenfinanzierte Onlineangebot von ARD und ZDF.

So viel Ähnlichkeit provoziert Streit. Die aktuelle Auseinandersetzung zwischen Verlagen und öffentlich-rechtlichen Sendern wird sogar zur Schicksalsfrage der deutschen Medienbranche stilisiert. Vor allem Verlage und Privatsender ziehen gegen die öffentlich-rechtlichen Angebote im Internet zu Felde. Es ist ziemlich offensichtlich, dass es sich schlicht und ergreifend um einen schnöden Verteilungskampf handelt. Doch wirklich begriffen haben beide Seiten nichts.

Die deutschen Verleger haben das Internet zunächst souverän ignoriert, bis ihnen auffiel, dass ihr altes Geschäftsmodell endlich ist. Nun drängen sie ins Netz, um verlorenen Boden wieder gutzumachen. Publizistische Konkurrenz stört da. Wie vor knapp zehn Jahren bei den Gratiszeitungen versuchen sie, durch Verbote logische Entwicklungen aufzuhalten. Die IntendantInnen und ChefredakteurInnen von ARD und ZDF appellieren dagegen an das vermeintlich gemeinsame Ziel - nämlich verlässliche "Leuchttürme" in der tosenden See der Informationsschleuder Internet aufzustellen, die dem orientierungslosen Nutzer sicher heimleuchten. Der so vehement öffentlich ausgetragene Gegensatz zwischen Presse und Öffentlich-Rechtlichen besteht nach dieser Logik gar nicht: Denn schließlich gehe es beiden Lagern um die publizistische Qualität, die von Angeboten Dritter ja gar nicht geleistet werden könne, so die Vertreter der öffentlich-rechtlichen Anstalten - vom "Marktversagen" der Privatsender ist dann gern die Rede.

Das Argument hätte sogar einigen Charme, wenn es nur nicht so sehr an die Geschichte vom Lahmen und dem Blinden erinnern würde: Denn welche Leuchtturmwärter sollen sich denn da verbünden? Auf der einen Seite die Zeitungsverleger, denen allerdings, was ihr gedrucktes Produkt angeht, die jüngeren Menschen in Scharen den Rücken kehren. Und auf der anderen Seite die Öffentlich-Rechtlichen, bei denen der Zuschaueraltersschnitt ebenfalls solide jenseits der 50 liegt. Aber ergibt minus mal minus hier wirklich plus? Das zumindest sollte getestet werden bei der Mitte März verkündeten Kooperation des größten ARD-Einzelsenders WDR mit dem größten Verlagshaus Nordrhein-Westfalens, der Essener WAZ-Gruppe. Allein: Ein knappes Vierteljahr nach Abschluss der im März verkündeten Vereinbarung wartet man weiter auf ihre Umsetzung, andere geplante Projekte wie die von ZDF und der Süddeutschen Zeitung oder zwischen Focus und Bayerischem Rundfunk sind dezent schon wieder beerdigt worden. So dürfte hier wohl der Vorsitzende der SPD-Medienkommission, Marc-Jan Eumann, recht behalten, der die WAZ-WDR-Kooperation eine "Episode in einer Phase des digitalen Übergangs" genannt hatte und prophezeite, man werde in diesen "konvergenten Zeiten" noch "die ein oder andere derartige Hybride erleben".

Das Fatale am Streit übers Internet ist, wie niveaulos die Kontrahenten agieren: Kühne Entwürfe oder gar Visionen haben beide Seiten nicht zu bieten. Und solange sie nicht einmal selber wissen, was sie genau mit dem neuen Medium wollen und wie sie mit ihm Geld verdienen können, versuchen sie erst mal ersatzweise, den anderen das Recht streitig zu machen, ebenfalls in den Zug einzusteigen. Den Blick über den Tellerrand versagen sich beide Seiten.

Dabei reicht ein Abstecher nach Großbritannien, wo für die nicht eben kleine BBC der gesamte Onlinebereich seit Jahren wie selbstverständlich dazugehört - als dritte Säule neben dem klassischen Fernsehen und dem Hörfunk. BBC.co.uk, das BBC-Portal für alle Lebenslagen von der großen Politik bis zum Kochrezept, ist heute die meistgeklickte Website im Vereinigten Königreich - ohne dass die großen Londoner Blätter, vom Guardian bis zur Times, je um ihre Existenz gefürchtet hätten. Im Gegenteil: Sie präsentieren ihrerseits Onlineangebote, von denen sich selbst Deutschlands unangefochtener Marktführer Spiegel Online noch eine Scheibe abschneiden kann. In Großbritannien gibt es zudem ein funktionierendes Prozedere, wie neue Onlineangebote der BBC auf ihre Notwendigkeit zu prüfen sind und wie ihre Auswirkungen im Markt festgestellt und bewertet werden.

Doch die hiesige Medienpolitik begibt sich lieber wieder einmal auf einen deutschen Sonderweg: angeblich, weil die föderale und staatsferne deutsche Rundfunkordnung dies gebietet. Doch dieses Argument wirkt in der aktuellen Debatte reichlich vorgeschoben. Denn im vorliegenden Entwurf des Rundfunkstaatsvertrags, dessen zwölfter verbesserter Aufguss die Onlinewelt einhegen soll, wird wieder einmal versucht, alle Eventualitäten im Voraus zu regeln. Der aktuelle Reformeifer geht auf EU-Vorgaben zurück, die bis April 2009 in Deutschland Gesetzeskraft erlangen müssen. Brüssel hatte dabei nach britischem Vorbild eine Freigabe der Onlineausgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgeschlagen. In einem sogenannten Dreistufentest sollten zusätzliche Aktivitäten im Internet aber auf ihre Übereinstimmung mit dem Programmauftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio, ihren tatsächlichen publizistischen Mehrwert und die Auswirkungen auf andere Marktteilnehmer - also Privatsender, Verlage und sonstige Anbieter - überprüft werden. Ein für Deutschland neues und für die Öffentlich-Rechtlichen nicht ganz risikoloses Verfahren. Doch für die Glaubwürdigkeit und die öffentliche Debatte über die Rolle von ARD, ZDF und Co. im digitalen Zeitalter wäre es ein Gewinn, wenn sich die Anstalten vor dem Start eines neuen Angebots, wie beispielsweise eines neuen digitalen TV-Kanals, etwas konkreter über Sinn und Zweck der ganzen Angelegenheit verbreiten und Einsprüche Dritter zulassen müssten.

Doch die Politik spielt auf Nummer sicher und will nun im neuen Staatsvertrag so wenig wie möglich dieser öffentlichen Meinungsbildung überlassen. Vielmehr sollen die Öffentlich-Rechtlichen durch eine sogenannte Beauftragung klar gesagt bekommen, was sie zu tun haben - und durch eine ebenso schön benamste "Negativliste", was sie zu lassen haben.

In einer Welt, die vor zehn Jahren noch nichts von Google ahnte und die heute immerhin weiß, dass alles ständig im Fluss ist und niemand mit Bestimmtheit sagen kann, was kommt, ist das ein aberwitziger Ansatz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.